Stahl, Eisen, Wissenschaft
Zur Geschichte der Stadt Esch-sur-Alzette im Südwesten von Luxemburg und der Bedeutung der Cité des Sciences
Text: Lorang, Antoinette
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Schichtwechsel in den 60er Jahren – im Vordergrund die Häuser an der Route d’Esch
Foto: Photothèque de la Ville de Luxembourg/Marcel Schroeder
Schichtwechsel in den 60er Jahren – im Vordergrund die Häuser an der Route d’Esch
Foto: Photothèque de la Ville de Luxembourg/Marcel Schroeder
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Hochofenterrasse von Belval 1995, kurz vor Stilllegung. Links die Hochöfen A, B und C, rechts die Gebläsehalle. Hochofen C wurde 1996 nach China verkauft.
Foto: Service des sites et monuments nationeaux Luxembourg
Hochofenterrasse von Belval 1995, kurz vor Stilllegung. Links die Hochöfen A, B und C, rechts die Gebläsehalle. Hochofen C wurde 1996 nach China verkauft.
Foto: Service des sites et monuments nationeaux Luxembourg
An allen Ecken und Enden stößt man in Esch-sur-Alzette auf Zeugen industrieller Vergangenheit. Gleichzeitig ist die Industrie auch heute noch präsent – mit dem Elektrostahlwerk, dem Zementwerk und den alten Schlackenhalden in einem Gürtel rund um die Stadt. Dazwischen entsteht viel Neues, vor allem das umfangreiche städtebauliche Projekt Belval-West, das von nationaler und grenzüberschreitender Bedeutung ist.
Die eigentliche Stadtentwicklung beginnt mit der Inbetriebnahme der ersten Eisenbahnlinie im Jahre 1860 und dem Bau zweier Hochofenanlagen um 1870. Geologisch ist der Süden Luxemburgs Teil des großen Lothringer Eisenerzbeckens, das sich bis in die Gegend von Nancy erstreckt. Während der industriellen Revolution erreicht Luxemburg 1913 den weltweit sechsten Rang in der Roheisenproduktion und den siebten Rang in der Stahlproduktion.
Zwischen 1909 und 1913 baut die Gelsenkirchener Bergwerks AG, Besitzerin von zwei Hochofenanlagen und ausgedehnten Erzgruben im Raum Esch und im benachbarten, damals von Deutschland besetzten Lothringen, ein Stahlwerk mit sechs Hochöfen und mehreren Walzstraßen am westlichen Rand der Stadt. Dafür wird ein großer Teil des Gemeindewaldes geopfert. Der Name Belval ist offensichtlich abgeleitet von der Mineralwasserquelle „Eau minérale Bel-Val“ westlich des Hüttengeländes. Das Gesamtterrain, das am Ende für das Stahlwerk zur Verfügung steht, beträgt 200 Hektar. Auf diesem Gelände entsteht ein Werk nach mustergültigem Plan, das größte in Luxemburg und eines der modernsten seiner Zeit in Europa. Zeitgleich werden zwei ausgedehnte Arbeitersiedlungen, Beamtenhäuser und Villen für Ingenieure sowie ein Kasino und ein Verwaltungsgebäude gebaut.
Die Stadtentwicklung von Esch – stolz als „Métropole du Fer“ betitelt – folgt dem Rhythmus der Industrie und des Weltgeschehens. Von 1000 Einwohnern einer dörflichen Gemeinschaft im Jahre 1825 vervielfacht sich die Bevölkerung bis zum Ersten Weltkrieg auf fast 24.000 Einwohner. Die Massenzuwanderung von Arbeitern, vor allem aus Italien, Frankreich, Deutschland und Polen, erreicht einen Höhepunkt in den 1890er Jahren, löst eine große Wohnungsnot aus und zieht prekäre Lebensverhältnisse nach sich. 1925 wird der Stadterweiterungsplan von Hermann Josef Stübben vom Gemeinderat angenommen. Das Projekt entspricht dem zu Beginn der Verhandlungen geäußerten Wunsch: „Bei einer eventuellen Erweiterung des Stadtgebietes soll den Grünanlagen ein besonderes Interesse zugewandt werden, denn die Frei- und Grünflächen können als die ‚Lungen‘ einer modernen Stadt bezeichnet werden.“
Der Stübben-Plan ist zunächst als Bestandsaufnahme der damaligen Bebauung interessant. Die kleine Stadt wird von riesigen Industriearealen eingekesselt, im Südwesten liegt die Grenze zu Frankreich, im Süden und Südosten befinden sich die Erzgruben und der „Galgenberg“ mit dem Stadtpark. Das Erweiterungsgebiet ist in etwa fünf Mal so groß wie die bestehende Stadt.
Stübben setzte, wie gewünscht, den großen Industriearealen ein Gebiet entgegen, das durch Grünanlagen, Baumalleen, begrünte Wege und eine größtenteils lockere Bebauung geprägt ist. Dem Stadtpark wird ein Pendant am nördlichen Rand der Stadt gegenübergestellt und die Überreste des Gemeindewaldes in der Nähe des Stahlwerks Belval werden zu einem kleinen Park ausgedehnt. Das Erweiterungsgebiet wird durch mehrere große Achsen und ein dichtes Netz von Nebenstraßen und Wegen erschlossen. Typisches Merkmal der Stübbenpläne ist die Inszenierung großer öffentlicher Gebäude, in diesem Fall eine Stadthalle und ein neues Krankenhaus, Kirchen und vor allem Schulen. Die Bebauung besteht größtenteils aus Gruppen von Wohnhäusern in offener Blockrandbebauung. Ein häufig wiederkehrendes Element sind die grünen Wege, die quer durch die Häuserinseln verlaufen.
Denkmal als Teil der Cité des Sciences
Die Cité des Sciences ist ein Vorzeigeprojekt des Luxemburger Staates, das auf der ehemaligen Industriebrache Belval-West umgesetzt wird. Das gesamte Terrain umfasst 120 Hektar und ist in mehrere Bereiche eingeteilt. Der Schwerpunkt liegt auf der Hochofenterrasse, einem gemischten Viertel, in dem sich auch Wohnungen, Büros und ein Einkaufszentrum befinden und zwei Hochöfen aus den Jahren 1965 und 1970 als Industriedenkmal konserviert sind. Mit der Cité des Sciences ist ein neues Areal entstanden, das vom 2002 gegründeten Fonds Belval geplant und weiter entwickelt wird. Im nördlichen Teil der Hochofenterrasse liegt der Schwerpunkt auf universitären Einrichtungen mit der Maison du Savoir als Hauptgebäude, im südlichen Teil auf dem soziokulturellen Bereich.
Zu Beginn der 1960er Jahre hatten die alten Hochöfen ausgedient. Sie werden durch drei neue ersetzt, die Hochöfen A,B,C, letzterer 1979 in Betrieb genommen. Alle drei haben nur eine kurze Lebensdauer, da die Arbed-Gruppe auf das Elektrostahl-Verfahren umsattelt. 1996 wird der Hochofen C, der mit der größten Produktionskapazität, nach China verkauft, 1997 ist mit der Schließung des Hochofens B das Aus für die Roheisenproduktion in Belval besiegelt. Das Werk aber bleibt bestehen und heute wird hier immer noch Stahl hergestellt, hauptsächlich für Spundwände.
Als letzte in Luxemburg noch erhaltene Hochöfen wurden die beiden Industrieriesen nach Stilllegung in das Projekt der Cité des Sciences aufgenommen, um an die wirtschaftliche Bedeutung der Eisen- und Stahlindustrie für die Region im 19. und 20. Jahrhundert zu erinnern. Die Einbettung in das neue Stadtviertel gehört zum Erhaltungskonzept. Eine zu starke Musealisierung sollte aber vermieden werden. Ein Hochofen ist heute begehbar und wird mit angrenzenden Flächen als kulturelles Zentrum genutzt, der andere wurde bis auf die Silhouette reduziert und hat einen Neubau zur Seite gestellt bekommen.
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