Bauwelt

Umgebaute Kirche


Inlay für St. Sebastian


Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf


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    Foto: Markus Hauschild

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    Foto: Bolles + Wilson

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    Foto: Christian Richters

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Ein überzeugender Wettbewerbsgewinn für die neue Kita gab den Anstoß: Die Architekten Bolles + Wilson konnten nachweisen, dass der Umbau des elliptischen Kirchenbaus nicht nur einen überdeckten Spielbereich wie unter einem Zirkuszelt möglich macht, sondern auch stadträumlich für neue Identifikation im Quartier sorgt. Höhere Kosten wurden in Kauf genommen.
Annähernd 45.000 katholische und evangelische Kirchen gibt es noch in Deutschland, und die Zahl der Gemeindemitglieder sinkt stetig. Profanierung lautet das Schlagwort. Es bezeichnet die Aufgabe bzw. Auflösung von Kirchen, einen seit zwei Jahrzehnten anhaltenden, flächendeckenden, wenn auch regional stark unterschiedlich geprägten Prozess, der in einigen Gegenden, wie etwa dem Bistum Essen, bis zu einem Drittel der Kirchen betrifft, deren Sanierungsbedarf die Möglichkeiten der Kirche übersteigt. Welches aber sind die Konsequenzen? Aus wirtschaftlichen Gründen wird häufig der Abriss favorisiert, der auch vor architekturhistorisch interessanten Kirchenbauten – vor allem der Nachkriegszeit – nicht Halt macht. Eine Alternative zum Abriss ist die Umnutzung zu Eigentumswohnungen oder Turnhallen, Pferdeställen oder Kultureinrichtungen oder auch Restaurants, wie etwa dem „Zur Glückseligkeit“ in Bielefeld. Öffentliche Aufmerksamkeit gibt es meist nur dann, wenn aus der Kirche eine Moschee werden soll, wie jüngst in Hamburg. Der Trend zur Profanierung ist längst auch in den traditionell katholischen Kernländern angekommen. Das Beispiel der ehemaligen Filialkirche St. Sebastian in Münster ist in mehrerer Hinsicht interessant. Die Münsteraner Architekten Bolles + Wilson haben sie zu einer Kita umgewandelt. Gerade wurde sie feierlich eröffnet.
Kein Denkmalschutz
Interesse verdient zunächst das Kirchengebäude, das aus den sechziger Jahren stammt. Überraschenderweise ist es nicht denkmalgeschützt, obwohl die seltene Ellipsenform des aus Backsteinziegeln errichteten Baus, wie auch die über die gesamte Fassade gleichmäßig verteilten, kleinen quadratischen Lichtfenster dem hermetisch wirkenden Volumen einen skulpturalen Charakter verleihen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Schwung, mit dem das Flachdach zu den beiden schmalen Enden hin ansteigt. Assoziationen an den experimentellen Kirchenbau der Fünfziger, auch an Corbusiers Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp, liegen nahe. 1962 wurde die von dem Münsteraner Architekt Heinz Esser erbaute Kirche eröffnet. Damals war sie noch von schmalen Riemchen aus Carrara-Marmor umhüllt, die einige Jahre später wieder abgenommen worden sind. Fraglos besaß St. Sebastian dank der prägnanten Form innerhalb des Viertels schon immer einen hohen Wiedererkennungs-, Erinnerungs- und Identifikationswert.
Ein städtischer Entwicklungsträger
Nach Profanierung im Jahr 2008 lobte die Kirchengemeinde 2009 einen Architekten- und Investorenwettbewerb aus. Der Erhalt des Kirchengebäudes war nicht vorgeschrieben, die Aufgabe sah vielmehr den Bau von Wohnungen sowie einer erweiterten, 5-stufigen Kita für 95 Kinder vor, mit ausreichendem Spielgelände. Eine Einrichtung dieser Art gab es auf dem Grundstück in kleinerer Form bereits.
Bolles + Wilson gewannen den Wettbewerb. Nur zwei der eingereichten Entwürfe sahen überhaupt einen, verglichen mit einem Neubau absehbar teureren, Erhalt der Kirche vor. Nachdem der erste Investor abgesprungen war, realisierte das städtische Wohnungsunternehmen Wohn + Stadtbau GmbH das Vorhaben. Zuvor hatten sich die Verantwortlichen vom „baukulturellen und soziokulturellen Wert“ (Julia Bolles-Wilson) der Kirche überzeugen lassen. Die Architekten argumentierten damit, dass der Bau ein vertrauter Identifikationsort des Quartiers sei, was die höheren Kosten rechtfertigen würde. Die Wohnungsbaugesellschaft machte sich diese Argumentation zu eigen. Die Sanierungskosten, so der Geschäftsführer Klemens Nottenkemper, könnten durch eine „Koppelinvestition“ kompensiert werden. Im nächsten Bauabschnitt ist die Errichtung von 53 Wohnungen geplant, knapp die Hälfte davon in sozial gefördertem Mietwohnungsbau (Wohngruppenmodell für Senioren mit Pflegebedarf und für Behinderte), neben 28 Eigentumswohnungen, die mit einem Preisen von etwas 3200 Euro pro Quadratmeter auf dem Markt angeboten werden sollen. Die große Nachfrage nach Wohnungen in der wachsenden Stadt Münster verspräche den Erfolg dieser Querfinanzierung.
Rund drei Millionen Euro kosteten Sanierung und Umbau der Kirche, wofür es in der Bevölkerung, vor allem aber bei den Eltern in der Umgebung, große Unterstützung gab. Nicht unwesentlich dazu beigetragen haben sicher auch die kolorierten Handzeichnungen der Architekten, die in den lokalen Zeitungen publiziert wurden.
Haus-in-Haus-Konstruktion
Die Architekten lösten die Aufgabe, in den großen Hallenbau eine Kita einzubauen, durch eine einfache, leichte Haus-in-Haus-Konstruktion. Auf teure Fundamentierung, Fassaden- oder Dachbekleidung konnten sie so verzichten. Allerdings musste die Erdgeschossebene um gut einen Meter tiefer gelegt werden. Clou des Entwurfs ist das Dach der eingestellten, teilweise zweigeschossige Kita, das als Spielfläche angelegt worden ist. Unvorhersehbare Schwierigkeiten haben den Umbau knapp 20 Prozent teurer werden lassen, als ursprünglich geplant. Die Statik der Kirche erwies sich als weniger belastbar als angenommen, das Dach war morsch und musste ersetzt werden, zum Teil durch quer verlaufende gläserne Flächen, zwischen denen nun die breiten Einbinder aus hellem Holz den Raum dominieren. Das Entwurfskonzept sah möglichst wenig neue Einschnitte in die Fassade vor. Dank der vorhandenen kleinen, schießschartenartigen Lichtfenster wur-de der Hallenraum zum frei bewitterten, d.h. belüfteten Raum. Baurechtlich gilt er als Außenraum. Der ursprüngliche Kirchenraum blieb in seinem Volumen erkennbar. Für die Kinder ist eine Art doppelstöckige Arche Noha mit grünem Dach entstanden, dessen 500 Quadratmeter zugleich Indoor-Spielplatz ist. Wenn später einmal der Wohnungsneubau in Form eines viergeschossigen Riegels die gesamte Anlage zur angrenzenden Hauptverkehrsstraße abschirmt, werden die Außenräume vor der Kirche eine zusätzliche Aufwertung erfahren.
Lauter Sonderfälle
Die architektonischen und räumlichen Vorteile dieser Haus-in-Haus-Lösung sind unübersehbar. Als beliebig wiederholbares Modell allerdings taugt St. Sebastian nicht. Insgesamt drei Kirchen hatte die Münsteraner Wohnungsbaugesellschaft in den letzten Jahren gekauft. Für die Dreifaltigkeitskirche aus den dreißiger Jahren wurde eine Kombi-Lösung aus betreutem Wohnen und Büros im oberen Geschoss entwickelt (Umbau: Preckel/Ellermann/Pfeiffer); für die dritte Kirche allerdings ließ sich keine Konzeption finden, die eine Umnutzung gerechtfertigt hätte. Sie musste abgerissen werden. Kirchen sind bautypologisch keine einfachen Fälle. 



Fakten
Architekten Bolles + Wilson, Münster
aus Bauwelt 16.2013
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