Ungers stand Pate
Interview mit Kai-Uwe Lompa und Martin Linge über die Barmenia Firmenzentrale
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Kai-Uwe Lompa und Martin Linge waren die Projektleiter beim Neubau der Hauptverwaltung der Barmenia in Wuppertal. Oswald Mathias Ungers (1926–2007) stand Pate. Die Architekten der aib agiplan aus Duisburg können aber auch mit anderen Architektursprachen umgehen. Der Bauherr entscheidet.
Die weit sichtbare Präsentation des Neubaus über der Stadt war so gewünscht?
Kai-Uwe Lompa | Das war von uns immer so vorgeschlagen gewesen. Die Barmenia zeigte sich zunächst eher bescheiden. Wir haben aber gesagt: Ihr seid hier das größte private Unternehmen mit den meisten Mitarbeitern in der Stadt. Das muss man auch sehen können. Der wesentliche Punkt war aber der, dass wir gesagt haben, wir wollen das Volumen an dieser Stelle konzentrieren. Wir nutzen dabei weniger Grundfläche als früher, obwohl wir jetzt mehr Quadratmeter Nutzfläche haben. Man hätte auch alternativ im Park ein weiteres Gebäude hinsetzen können. Wir haben den Park erhalten.
Zehn Jahre dauerte es von der Planung bis zur Fertigstellung. Ein Grund war, dass Bauteil für Bauteil separat errichtet werden musste.
Martin Linge | Die lange Bauzeit ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass wir immer erst ein Stück Gebäude gebaut haben, damit ein Teil der Mitarbeiter umziehen konnte, um anschließend eine altes Gebäude zurückbauen zu können. Eine provisorische Unterbringung war nicht gewünscht.
Die drei Riegel sind ziemlich schlank.
KL | Wir haben sie abgeleitet aus Proportionsstudien, die wir gemacht haben. Es sind allerdings zwei Geschosse zu wenig. Theoretisch könnten wir sie noch draufbauen. Die Statik ist so gerechnet. Erst dann passen die Proportionen. Ich sage deswegen immer, die fehlen da oben.
Ich kann nicht umhin, Sie nach Oswald Mathias Ungers zu fragen. Er hat Ihre Ausbildung sehr geprägt?
KL | Bei Ungers bin ich gleich beim ersten Projekt 1991 ins kalte Wasser gesprungen. Man musste sich durchbeißen. Danach war ich mehrmals Projektleiter.
Ungers war es wichtig, einem geplanten Bauwerk ein Thema zugrunde zu legen und ihm damit einen künstlerischen Ausdruck zu geben. Folgen Sie seiner Feststellung: ein Bauwerk ohne ein Thema, ohne eine Idee ist Architektur ohne einen Gedanken? Welches Thema hatten Sie vor Augen?
KL | Es gibt mehrere Themen in Wuppertal. Ein Hauptthema hat sich der Bauherr am Ende auch zu eigen gemacht: „von der Erde zur Luft“. Das ist eigentlich ein Zitat von Schinkel. Wir haben die Zeichnungen gegenübergestellt und zeigen damit die Entwicklung des Gebäudekörpers vom Felsen über den Sockel und den aufsteigenden Türmen zum Himmel. Wir haben dieses übergreifende Thema auch im Detail beachtet. Im Sockel sind die Laibungen aus Naturstein, im Erdgeschoss aus Aluminium, und oben ist alles bündig ausgeführt. Beim Stein haben wir uns auf Wuppertal bezogen: Den Schwarz-Weiß-Kontrast, der dem Gebäude unterliegt, gibt es bei vielen wichtigen Gebäuden in der Stadt. Und wir haben die Ausrichtung der Baukörper u.a. daraus abgeleitet, dass die Frischluft von den Hängen ungehindert ins Tal streift.
Hätte Ungers in die Fassade bündig eingefasste Kastenfenster akzeptiert?
KL | Wir haben sie genauso gebaut wie bei Ungers’ Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Dort wurden sie aus Sicherheitsgründen so eingebaut. Hier entschieden wir uns dafür, weil wir einen Baukörper und kein Glashaus bauen wollten. Trotzdem war der Wunsch da, möglichst viel Tageslicht in die Räume zu bringen. Aus der Kombination der Anforderungen ist die alte Idee der Kastenfenster aufgekommen. Außen ist die Prallscheibe, die mit offener Fuge die Luft hineinlässt. Der Bauherr hatte zudem den Wunsch, dass man die Fenster öffnen kann. Die alten Gebäude waren alle vollklimatisiert gewesen.
In der Broschüre zur Eröffnung ist davon die Rede, dass dieses Gebäude in Anlehnung an die Architektur von Ungers entstanden ist. Würden Sie das auch so sehen?
ML | Dies trifft zu. Wir haben allerdings andere Innenräume und Wege, als Ungers sie geplant hätte.
Ungers war strikt und sagte, er sieht einen klaren Unterschied zwischen einer gesetzten Ordnung in der Architektur und der Bindungslosigkeit im Chaos. Wie stehen Sie dazu?
KL | Ich würde es nicht so strikt sehen. Es gibt durchaus spannungsvolle Gegensätze, die man aufbauen kann zwischen einer klaren Ordnung und zusätzlichen Elementen. Wir haben dies zum Beispiel mit den Kunstwerken von Tony Cragg auf dem Vorplatz zum Ausdruck gebracht.
Wäre ihr Planungsbüro auch bereit, mit einer ganz anderen Architektursprache ein Gebäude zu entwerfen?
KL | Das ist so.
Man kann also sagen, dass die Architektursprache von der Barmenia ausgewählt wurde?
KL | Wir haben eine Sprache vorgeschlagen, die sich nach den ersten Gesprächen aus der Frage ergab: Wie wollt ihr euch darstellen? Dem Bauherr war bekannt, dass ich aus der Ungers-Schule komme. Das fand der Vorstand gut. Dies war der ausschlaggebende Punkt, warum sie uns dann beauftragt haben. Wir haben in der Zwischenzeit einige andere Bauvorhaben realisiert. Und da gibt es ganz klar auch andere Architektursprachen.
Der Vorplatz, eine große Geste, ist vom Tal abgewandt. Der wunderbare Blick ins Tal ist jedoch sehr wichtig. Gab es nicht den Wunsch, ein Belvedere zu schaffen, wo man weit vortreten und hinunterschauen kann?
KL | Wir hätten uns gerne ein öffentliches Belvedere vorgestellt, aber der Bauherr hat das nicht gewollt. Die Mitarbeiter können aber die Dächer der Sockelebenen betreten. Dort sind große Terrassen.
Wenn man das Gebäude erreicht, erlebt man eine Art Arkade. Auch dies ein Thema von Ungers: der Eingang, das Tor, das Portal, das Hineintreten. Welches Bauwerk von Ungers hatten Sie da vor Augen?
KL | Kein spezielles. Parallelen sind auch hier zur Bundesanwaltschaft zu finden, obwohl es sich um ein komplett nach außen abgeschlossenes Gebäude handelt.
Was war bei den Büroarbeitsplätzen wichtig?
KL | Das Wesentliche beim Entwurfsprozess war zunächst, den genauen Nutzerbedarf zu ermitteln. Wir führten eine Untersuchung durch, um herauszufinden, wie der ideale Arbeitsplatz für einen Barmenia-Mitarbeiter aussieht. Als wir das hatten, haben wir aus der Erkenntnis und aus den architektonischen Ansätzen das Raster des Gebäudes entwickelt, ein unübliches 1x1-Meter-Raster. Die Arbeitsplätze sind ungewöhnlich angeordnet. Man sitzt sich nicht gegenüber, man sitzt nebeneinander.
Fakten
Architekten
aib, agiplan Integrale Bauplanung Gmbh, Duisburg
Adresse
Kronprinzenallee 12-18 42119 Wuppertal
aus
Bauwelt 11.2011
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