Universitätsbibliothek in Freiburg
Die Diskussionen um den Neubau der Universitätsbibliothek in Freiburg nehmen kein Ende. Die Fassaden sind in der Tat fragwürdig. Im Inneren aber wartet der Bau mit zahlreichen Ideen auf.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
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Der „geschliffene schwarze Diamant“ mit der 2000 m2 großen Photovoltaikanlage auf dem Dach
Foto: Guido Kirsch
Der „geschliffene schwarze Diamant“ mit der 2000 m2 großen Photovoltaikanlage auf dem Dach
Foto: Guido Kirsch
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Auf der Westseite der Bibliothek, zur Milchstraße, wird der Stadtraum negiert. Im Hintergrund das Stadttheater. Im Erdgeschoss drohen Beschädigungen der Fassade durch parkende Autos.
Foto: Guido Kirsch
Auf der Westseite der Bibliothek, zur Milchstraße, wird der Stadtraum negiert. Im Hintergrund das Stadttheater. Im Erdgeschoss drohen Beschädigungen der Fassade durch parkende Autos.
Foto: Guido Kirsch
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Altbau der Bibliothek aus dem Jahr 1978, vom Platz der Alten Synagoge aus gesehen. Der Eingang befand sich im 1. Obergeschoss und wurde vom Campus über eine Brücke erreicht.
Foto: Degelo Architekten
Altbau der Bibliothek aus dem Jahr 1978, vom Platz der Alten Synagoge aus gesehen. Der Eingang befand sich im 1. Obergeschoss und wurde vom Campus über eine Brücke erreicht.
Foto: Degelo Architekten
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Nach dem Abriss blieben nur die Kerne stehen. Die Untergeschosse mit dem Magazin für 3,5 Millionen Bücher blieben unangetastet.
Foto: Guido Kirsch
Nach dem Abriss blieben nur die Kerne stehen. Die Untergeschosse mit dem Magazin für 3,5 Millionen Bücher blieben unangetastet.
Foto: Guido Kirsch
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Blick vom Kollegiengebäude 1, im Vordergrund die Baustelle der neuen Straßenbahnlinie
Foto: Guido Kirsch
Blick vom Kollegiengebäude 1, im Vordergrund die Baustelle der neuen Straßenbahnlinie
Foto: Guido Kirsch
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Foyer mit Drehtür, im Hintergrund der Übergang zum Café
Foto: Barbara Bühler
Foyer mit Drehtür, im Hintergrund der Übergang zum Café
Foto: Barbara Bühler
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Blick von der Bertoldstraße im Norden, rechts das Stadttheater
Foto: Guido Kirsch
Blick von der Bertoldstraße im Norden, rechts das Stadttheater
Foto: Guido Kirsch
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Blicke in einen der Lesesäle und ins Café Libresso mit Außenterrasse im Erdgeschoss
Foto: Barbara Bühler
Blicke in einen der Lesesäle und ins Café Libresso mit Außenterrasse im Erdgeschoss
Foto: Barbara Bühler
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Der Treppenaufgang ins Parlatorium
Foto: Barbara Bühler
Der Treppenaufgang ins Parlatorium
Foto: Barbara Bühler
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Atrium der Lesesäle, vom 1. Untergeschoss aus gesehen.
Foto: Barbara Bühler
Atrium der Lesesäle, vom 1. Untergeschoss aus gesehen.
Foto: Barbara Bühler
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Das Atrium von dem aus die Lesesäle erschlossen werden, im Erdgeschoss der Infotresen
Foto: Barbara Bühler
Das Atrium von dem aus die Lesesäle erschlossen werden, im Erdgeschoss der Infotresen
Foto: Barbara Bühler
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Die besonders große Faltung der Ostfassade zum Campus hebt den Haupteingang hervor
Foto: Guido Kirsch
Die besonders große Faltung der Ostfassade zum Campus hebt den Haupteingang hervor
Foto: Guido Kirsch
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Bei Dunkelheit strahlt das Haus im gleißendem Licht
Foto: Barbara Bühler
Bei Dunkelheit strahlt das Haus im gleißendem Licht
Foto: Barbara Bühler
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Das Atrium des Parlatoriums an der Nordfassade, mit der Abtreppung nach oben. Links die Vitra-Ruhesessel, dahinter das Stadttheater.
Foto: Barbara Bühler
Das Atrium des Parlatoriums an der Nordfassade, mit der Abtreppung nach oben. Links die Vitra-Ruhesessel, dahinter das Stadttheater.
Foto: Barbara Bühler
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Blick durch den Freihandbereich in einen Lesesaal
Foto: Barbara Bühler
Blick durch den Freihandbereich in einen Lesesaal
Foto: Barbara Bühler
Was ist in Freiburg geschehen? Wie konnte mitten in der Stadt ein Gebäude errichtet werden, das als Solitär seine Umgebung derart negiert und sich mit seinen Fassaden von ihr abschottet? Man fragt sich, ob die Jury bereits beim Wettbewerb für die Universitätsbibliothek vor neun Jahren (
Bauwelt 21.2006) für eine solche Gebäudeidee mehrheitlich votierte oder ob etwas anderes, als das Prämierte, realisiert wurde. Der Entwurf von Degelo Architekten schlug damals tatsächlich gefaltete Glasfassaden vor, die unterschiedlich geneigt aufragen. Ein „aufregendes Juwel“ war prämiert worden – allerdings deutlich offener, heller, als jetzt gebaut – und mit Photovoltaik in der Fassade. Man sah ein transparentes Haus der Bücher, von großer Leichtigkeit und Freundlichkeit.
Um den Gründen der Wandlung auf die Spur zu kommen, muss man sich zunächst einmal mit der Lage des Gebäudes beschäftigen. Die Universitätsbibliothek befindet sich auf dem Grundstück des Vorgängerbaus, ist Teil des innerstädtischen Campus’ und liegt schräg gegenüber des Kollegiengebäudes 1 – 1911 aus rotem Sandstein errichtet, mit der großen goldenen Inschrift „Die Wahrheit wird Euch frei machen“ über den Fenstern der Aula. Im Norden steht das Stadttheater.
Der Vorgängerbau, 1978 nach einem Entwurf des Universitätsbauamtes fertiggestellt, war wegen Asbestbelastung, mangelhafter Gebäudetechnik und Betonschäden in schlechtem Zustand und sollte – so der ursprüngliche Plan des Bauherrn – bis auf das Betongerippe mit den Erschließungskernen zurückgebaut werden. Degelos Entwurfsstrategie ging davon aus, in die Betonkonstruktion einzuschneiden, sie sozusagen „auszufräsen“. Die „Umhüllung“ des Rohlings stellte eine neue Haut in freier Faltung dar. Die einzelnen Falten sollten mit Rücksicht auf die Umgebung entworfen werden.
Doch es kam anders. Nachdem der Altbau auf den Rohbau reduziert worden war, stellte man fest, dass die Betondecken nicht für die geforderten Belastungen ausreichen und die Anpassung mit neuen Betonteilen auf statische Probleme stoßen würde. Es kam zur Entscheidung, die Decken und Stützen abzureißen. Vom Altbau blieben nur die Kerne und, wie von Anfang an geplant, die drei Untergeschosse mit dem geschlossenen Magazin der Bibliothek erhalten. Das war wichtig, weil so der Bestand, 3,5 Millionen Bücher, während der Bauzeit nicht ausgelagert werden musste. So ließen sich Kosten in erheblicher Höhe sparen. Die einstige Tiefgarage im ersten Untergeschoss wurde in eine Abstellzone für 400 Fahrräder und einen weiteren Buch-Ausleihbereich umgewandelt. Den Studenten wurde für die Zeit der Bauarbeiten die ehemalige Stadthalle als Lesesaal zur Verfügung gestellt.
Heinrich Degelo sieht seine Fassade als eine „völlig neue, sich der Nachbarbebauung sinnlich angleichende, skulpturale Kristallform“. Für ihn scheint es keinen Unterschied zu machen, ob die 14 Fassadenflächen eine alte Gebäudestruktur oder einen Neubau verkleiden. Er versteht die Kritik an der Wucht der Fassaden nicht. Auch der Vorgängerbau habe sich, seiner Ansicht nach, mit seiner Betonfassade aus Rücksicht auf die Nachbarbebauung zurückgestaffelt. Für die Fassade an der Westseite, zur Milchstraße mit den kleinen Häusern hin, trifft dies zu: Ohne die Schräge wäre das Gegenüber noch stärker erdrückt worden. Trotzdem ist diese kleine Straße mit dem Neubau zu einem verlorenen Ort geworden, der die Anwohner noch immer irritiert. Die Fassade ist weder stadträumlich noch architektonisch zu erklären.
Die Bibliothek ist als abstrakter Baukörper wahrzunehmen, der in keiner Weise an das Bild eines solchen Gebäudes erinnert. So lassen sich zum Beispiel die einzelnen Geschosse nicht ablesen. Die versetzt angeordneten Felder der Fassadengliederung, in Glas oder in Chromstahl, erwecken den Eindruck, als könnte man sie verschieben. Für den Architekten soll sich die dunkle Haut aus einem pragmatischen Grund ergeben haben, den er im Interview erläutert. Warum hat man während der Planung nicht interveniert, um der Bibliothek nicht doch noch ein freundlicheres Aussehen zu verleihen?
Bei Dunkelheit ändert sich das Bild: Das Haus leuchtet! Das Licht der horizontal und, in den
Atrien, vertikal angeordneten Leuchtröhren ist allerdings kalt und erinnert an die Beleuchtung einer Maschinenhalle. Zum Glück ist die Bibliothek das ganze Jahr über rund um die Uhr in Betrieb. So wird man wenigstens nachts keinen schwarzen Felsen auf dem Campus finden.
Lesesaal und Parlatorium
Die Fassaden passen nicht zum Eindruck, den man im Inneren gewinnt. Vom Campus im Osten kommend, tritt man nach einer langsamen, Geduld fordernden Drehtür in ein offenes, helles Foyer ein. Es ist atmosphärisch eher nüchtern ausgefallen. Die Bibliothek ist tagsüber immer gut besucht und das Erdgeschoss ein Ort der Begegnung und von großer Lebendigkeit. Freiburg hat 25.000 Studenten, die Bibliothek verfügt über 1700 Plätze (500 mehr als in der alten Bibliothek). Eine eingestellte Holzbox für das Café mit dem schönen Namen „Libresso“ und ein geschwungener Holz-Infotresen fallen ins Auge. Auf der gegenüberliegenden Seite liegen die langen Reihen Schließfächer und der zweite Drehtür-Eingang an der Milchstraße.
Ab dem ersten Obergeschoss teilt sich das Haus in zwei Hauptbereiche auf: Im Norden liegt der offenere Bereich mit dem Parlatorium – dort darf „laut gelacht und lebhaft diskutiert werden“. Überall gibt es unterschiedlich konzipierte Sitzmöglichkeiten für Arbeitsgruppen. Hier kann man zum Beispiel Notebooks an einen Bildschirm anschließen, um gemeinsam eine Präsentation vorzubereiten. Diesem ausgesprochen kommunikativem Bereich wurde mit rund 500 Plätzen viel Raum gegeben.
Ganz anders der südliche Teil des Gebäudes. Nachdem man den Kontrollbereich am Infotresen im Erdgeschoss passiert hat, gelangt man zu den Lesesälen, die in den Obergeschossen eins bis vier liegen. Die beiden Teilbereiche der Bibliothek sind auch separat erschlossen. Im nördlichen Teil öffnet sich hinter der Fassade eine kaskadenartig nach oben aufsteigende Halle. Im Süden, wo leise gearbeitet wird, sorgt ein Atrium mit den Treppen für Großzügigkeit. Es reicht bis ins erste Untergeschoss. Der Geräuschpegel in dieser Halle wird von Studenten, die in den Lesesälen konzentriert arbeiten wollen, als kritisch betrachtet.
Glaswände zwischen den beiden Nutzungsbereichen der Bibliothek lassen den Blick durch das Gebäude zu. Schön sind die Ausblicke, besonders vom Parlatorium auf der Nordseite, auf das Theater und den Platz der Alten Synagoge.
Die Medien werden in der Selbstverbuchung im ersten Untergeschoss ausgeliehen, die UniCard ist zugleich Leseausweis. Beeindruckend ist die Einrichtung für die automatisierte Rückgabe im ersten Untergeschoss. Die Technik stammt von einer Firma, die sonst Gepäckverteilanlagen für Flughäfen baut. Eine verstärkte Digitalisierung der Medien stand in Freiburg weniger im Mittelpunkt. Im dritten Obergeschoss des Parlatoriums stehen den Studenten Radio- und TV-Studios zur Verfügung. In den Lesesälen gibt es kleine Tischreihen mit Abschirmungen zum Gegenüber. Die „Schwanenhals“-Tischlampen wurden speziell für die Bibliothek entworfen. Begehrt sind die Ruhesessel von Vitra vor den Fenstern. Die insgesamt schlichte Ausstrahlung gehört zur Handschrift des Architekten. Im gesamten Haus dominiert heller, bis in die Kanten gut ausgeführter Sichtbeton. Installationen unter der Decke sind sichtbar, das meiste liegt aber im Doppelfußboden verborgen.
Selbstverständlich wurde auf das ökologische Gesamtkonzept und die Energieeffizienz besonderes Augenmerk gelegt. Im Gebäude sind 7000 Sensoren installiert, die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung und Bewegungen im Haus registrieren und an die Technikzentrale weiterleiten. Die Sonnenschutzverglasung ist dreifach isoliert. Auf der Innenseite gibt es Blendschutzrollos. Die Energieeinsparung soll bei 50 Prozent im Vergleich zum Vorgängerbau liegen. Die Photovoltaikanlage befindet sich auf dem Dach. Für die Gebäudekühlung mit Betonkerntemperierung kann klimaneutral auf das Wasser eines Grundwasserbrunnens in der Nähe zurückgegriffen werden.
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