Lager, Werkstatt und Atelier in Gleißenberg
In der Oberpfalz, unweit der tschechischen Grenze, haben Florian Nagler Architekten für einen Künstler einen Neubau errichtet, der so gar nicht ins Dorfidyll passen will. Dem Entwurf liegt ein unsentimentaler Kunstbegriff zugrunde: In diesen Räumen kann produziert werden, heute Bilder, morgen vielleicht etwas anderes
Text: Kleilein, Doris, Berlin
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Kunst versus Eigenheim: Auf den ersten Blick Gewerbehallen, auf den zweiten ausgefeilte Architektur
Foto: Stefan Müller-Naumann
Kunst versus Eigenheim: Auf den ersten Blick Gewerbehallen, auf den zweiten ausgefeilte Architektur
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Am Ortsrand von Gleißenberg, auf einem leicht geneigten Grundstück, wurden 600 Quadratmeter Fläche ins Dorf eingepasst.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Am Ortsrand von Gleißenberg, auf einem leicht geneigten Grundstück, wurden 600 Quadratmeter Fläche ins Dorf eingepasst.
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Verkehrsgrau A (RAL 7032) auf sorgsam nachlässig verputzten Wänden. Auch die einfachen Holztüren und Rahmen an der Südseite sind in dieser Farbe gestrichen.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Verkehrsgrau A (RAL 7032) auf sorgsam nachlässig verputzten Wänden. Auch die einfachen Holztüren und Rahmen an der Südseite sind in dieser Farbe gestrichen.
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Das Kunstlager: unverputzte Ziegelwände und ein raumfüllendes Regalsystem als Fortführung des Dachstuhls
Foto: Stefan Müller-Naumann
Das Kunstlager: unverputzte Ziegelwände und ein raumfüllendes Regalsystem als Fortführung des Dachstuhls
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Die Wand zwischen Atelier (links) und Werkstatt ist als Betonsturz ausgebildet: So können die Hallen stützenfrei zusammengeschlossen werden. An den Stirnseiten sind Küche und Bad angeordnet.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Die Wand zwischen Atelier (links) und Werkstatt ist als Betonsturz ausgebildet: So können die Hallen stützenfrei zusammengeschlossen werden. An den Stirnseiten sind Küche und Bad angeordnet.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Peter Lang ist gerne unterwegs, doch dafür ist er erstaunlich sesshaft. Der Maler und Bildhauer hat mit seinem Container-Atelier bereits in Patagonien, Island und der Mongolei gearbeitet, die meiste Zeit verbringt er jedoch in Gleißenberg in der Oberpfalz, wo er seit vielen Jahren mit seiner Familie im „Plastikhaus“ von Florian Nagler wohnt. Das Plastikhaus kennt jeder im Dorf, Architekten ist es eher als „Haus und Atelier Lang-Kröll“ ein Begriff, seit es als Teil der Deutschlandschaften 2004 auf der Architekturbiennale in Venedig zu sehen war. Jetzt hat Peter Lang ein zweites Mal in Gleißenberg gebaut, mit demselben Architekten, nur diesmal nicht auf einer Anhöhe über dem Dorf, sondern unten am Südrand, im Mischgebiet.
Wall gegen den Stumpfsinn
Der Neubau begeistert durch seine Klarheit. Drei Hallen stehen leicht zurückgestaffelt nebeneinander an der Straßenkreuzung. In jeder Halle ist eine der Nutzungen untergebracht, die der Bauherr sich gewünscht hatte: Kunstlager, Werkstatt und Atelier, jeweils gut 200 Quadratmeter groß und mit viel Luft nach oben. Durch die Dreiteilung fügt sich die große Baumasse in den kleinmaßstäblichen Kontext am Ortsrand ein. Augenscheinlich hat Florian Nagler auf das lapidare Vokabular von Gewerbebauten zurückgegriffen: einfache Kubaturen, serielle Anordnung, grauer Putz, große geschlossene Flächen, Schiebetore. Doch dabei ist es nicht geblieben. Kleine Verschiebungen und Irritationen – seien es die flachen Satteldächer mit Oberlichtbändern entlang des Firsts oder die abnehmende Länge der drei Hallen – machen aus generischen Kisten Architektur. Was so unprätentios an der Ecke steht, könnte ebenso gut eine Schreinerei sein wie ein Museum.
Doch das sehen nicht alle im Dorf so. Bei den Gleißenbergern rief der Neubau zunächst wenig Begeisterung hervor: ein Bunker und ein „greislicher Kasten“ sei das, zu massiv, zu verschlossen, zu schmucklos. Vor allem die fensterlose, ungegliederte Nordwand der Lagerhalle stieß auf Ablehnung. „Welt-Architektur stört Dorffrieden“, titelte die Mittelbayerische Zeitung 2015 kurz nach der Fertigstellung. Der Bauherr verteidigt den Entwurf mit dem Verweis auf die regionaltypischen Glashütten, denen die Architektur nachempfunden sei – und mit der Lage im Mischgebiet. Nicht nur ausladende Einfamilienhäuser verschiedener Stilrichtungen umrunden das Atelier, auch der Kofferbauer Lankes hat ein Stück dorfeinwärts eine Betriebsstätte, zudem steht ein paar Häuser weiter ein Lagerhaus der Raiffeisenbank. Dass Gleißenberg überhaupt ein ausgewiesenes Mischgebiet hat, wurde vielen Bewohnern wohl erst bewusst, als das eingespielte Duo aus Künstler und Architekt die Möglichkeiten des Baurechts ausreizte.
Die Hinwendung zu Gewerbetypologien ist allerdings nicht nur eine Inspirationsquelle für die Architektur gewesen, sondern könnte in Zukunft werterhaltend sein: Warum sollte nicht tatsächlich eine Schreinerei oder ein anderer Betrieb einziehen, wenn irgendwann die Nachnutzung ansteht? Abmessungen, Gebäudestruktur und robuste Oberflächen sind jedenfalls dafür ausgelegt: Die Hallen können mit 7,5-Tonnern direkt von der Straße aus befahren werden. Die Grenzen zwischen Kunst und Gewerbe, in diesem Gebäude werden sie mit Leichtigkeit eingerissen. Die ästhetischen Grenzen zwischen Gestaltern und Häuslebauern sind, so scheint es, schwerer zu überwinden. Weshalb sonst hätte Peter Lang Holzskulpturen mit Titeln wie „Wall gegen den Stumpfsinn“ und „Turm der Dummheit“ im Garten aufgetürmt?
Denkbar einfach
Die lakonische Architektursprache ist durchdekliniert bis hinein in die Konstruktion, die Materialwahl, die Behandlung der Oberflächen. Das einschalige, hoch dämmende Mauerwerk ist raumseitig weiß geschlämmt und an der Außenseite grob verputzt. Es brauchte einige Überredungskünste, um die Handwerker davon zu überzeugen, dass der Außenputz wirklich nicht glatt gestrichen werden müsste. Die Fensteröffnungen sind – bis auf Schiebetore – festverglast. Eine kleinteilige Binderkonstruktion aus weiß lasierten, sägerauen Hölzern spannt das Dach auf. Die Oberlichtbänder entlang der Firstlinien sind mit Polykarbonatplatten belegt, die Dachdeckung, einfacher gehtʼs nicht, besteht aus beschieferten Bitumenbahnen. Bei so viel Zurückhaltung werden die verzinkten Regenrinnen und die Führungsschienen der Schiebetore zu prägenden Elementen der Fassade.
Ein gigantischer Betonsturz
Der Innenraum überrascht dann doch mit einer großen Geste: Werkstatt und Atelier können für die Kunstpräsentation zu einer stützenfreien Halle zusammengeschaltet werden: Eine weiße Schrankwand auf Rollen trennt und vereint die beiden Hallen, sie ist eingepasst unter einem gigantischen Betonsturz, der einen Großteil der Hallenwand ausmacht. Ohne Einbaumöbel wirken die beiden Hallen wie der zweischiffige Innenraum eines Industriebaus, mit Möblierung entsteht eine introvertierte Werkhalle in der Gebäudemitte und ein langgestrecktes Atelier, das sich mit seiner horizontalen Fensterfront nach Süden öffnet.
Ganz anders, und das ist die zweite Überraschung, erscheint die gedämpfte Innenwelt des Kunstlagers: In der Lagerhalle, die sich äußerlich lediglich durch das geschlossene Holztor abhebt, wurde die Konstruktion im Rohzustand belassen. Die Innenwände sind unverputzt, das Mauerwerk sichtbar, der Dachstuhl unbehandelt. Die lichte Raumhöhe von 6,80 Metern bietet Platz für ein raumgreifendes Regal, das mit dem Dachstuhl verbunden ist, quasi aus ihm herauswächst. Einfache Stiegen verbinden die Ebenen. Das träge Raumklima mit geringen Temperaturschwankungen, das sich so gut für die Kunstlagerung eignet, wurde auch hier mit einfachen Mitteln hergestellt: Nach dem Vorbild al-ter Kirchenbauten kombinierte der Architekt ein großes Raumvolumen mit Massivmauerwerk und spärlicher Belichtung.
Produktionsstätte für die Kunst
„Wenn die Architektur wie ein maßgeschneiderter Anzug sitzt, dann kann man seine Energie auf die Arbeit verwenden“, sagt Peter Lang. Dieses Gebäude sitzt. In der „Dreckhalle“ der Werkstatt bearbeitet der Bauherr ausgewachsene Baumstämme mit der Kreissäge. Die „saubere“ Halle des Ateliers hat er mit kleinen mobilen Follies bevölkert: ein Büro im aufklappbaren Schrank, ein Gästezimmer auf Rollen, eine Sitzskulptur aus Schaumstoff. Die Architektur bricht mit dem romantischen Klischee vom Künstler auf dem Lan-de und erweitert das Dorf um eine ehrliche und vielleicht gerade deshalb auch provozierende Produktionsstätte.
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