Bauwelt

West Kowloon Station in Hongkong


Mit dem Neubau der West Kowloon Station in Hongkong positioniert Andrew Bromberg von Aedas den Bahnhof als prominenten Stadtbaustein. In dem Gebäude, das gleichsam Grenzübergang nach China ist, entfaltet sich eine lichtdurchflutete unterirdische Welt, auf seinem Dach floriert das städtische Alltagsleben.


Text: Adam, Hubertus, Zürich


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    Noch blickt die südliche Front auf den Victoria Harbour. Auf den freien Flächen vor dem Bahnhof wird weitergebaut.
    Foto: Paul Warchol

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    Noch blickt die südliche Front auf den Victoria Harbour. Auf den freien Flächen vor dem Bahnhof wird weitergebaut.

    Foto: Paul Warchol

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    In die Ostfassade bindet eine Paserelle ein, die den neuen Bahnhof mit der nächstgelegenen Metro-Station verbindet.
    Foto: Paul Warchol

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    In die Ostfassade bindet eine Paserelle ein, die den neuen Bahnhof mit der nächstgelegenen Metro-Station verbindet.

    Foto: Paul Warchol

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    Die Dachflächen sind für den Lichteinfall in das tiefe Atrium des Bahnhofs optimiert.
    Foto: Paul Warchol

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    Die Dachflächen sind für den Lichteinfall in das tiefe Atrium des Bahnhofs optimiert.

    Foto: Paul Warchol

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    Zwischen den Glasflächen sind Beete und Wege angeordnet, die das Dach zu einem Stadtpark machen, den die Menschen gern annehmen.
    Foto: Paul Warchol

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    Zwischen den Glasflächen sind Beete und Wege angeordnet, die das Dach zu einem Stadtpark machen, den die Menschen gern annehmen.

    Foto: Paul Warchol

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    Die geschwungene Form des Baukörpers referiert die Dynamik des Hochgeschwindigkeitszugs. Das Prinzip zieht sich konsequent bis in Schnitte und Details.
    Foto: Vir­gile Simon Bertrand

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    Die geschwungene Form des Baukörpers referiert die Dynamik des Hochgeschwindigkeitszugs. Das Prinzip zieht sich konsequent bis in Schnitte und Details.

    Foto: Vir­gile Simon Bertrand

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    Auf der unteren Ebene warten Passagiere auf die Abfahrt ihres Zuges. Dank großflächiger, wohl ausgerich­teter Verglasungen sind auchdiese tiefgelegenen Bereiche gut belichtet.
    Foto: Paul Warchol

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    Auf der unteren Ebene warten Passagiere auf die Abfahrt ihres Zuges. Dank großflächiger, wohl ausgerich­teter Verglasungen sind auchdiese tiefgelegenen Bereiche gut belichtet.

    Foto: Paul Warchol

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    Der Bereich vor dem Bahnhof ist eine Fußgängerzone, die Straße verläuft unterirdisch.
    Foto: Paul Warchol

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    Der Bereich vor dem Bahnhof ist eine Fußgängerzone, die Straße verläuft unterirdisch.

    Foto: Paul Warchol

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    Die Bahnhofshalle liegt wie eine Muschel über den 15 Gleisen, die nach Norden gen Festlandchina führen.
    Foto: Paul Warchol

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    Die Bahnhofshalle liegt wie eine Muschel über den 15 Gleisen, die nach Norden gen Festlandchina führen.

    Foto: Paul Warchol

In den neunziger Jahren begann in China das Zeitalter der Hochgeschwindigkeitszüge. Früher als ursprünglich geplant war Ende 2017 der erste, „Vier Vertikalen und vier Horizontalen“ genann­te Ausbauzustand des gitterartig das Land erschließenden Netzwerks mit insgesamt 25.000 Streckenkilometern erreicht worden. Unter dem Stichwort „Acht Vertikalen und acht Horizontalen“ erfolgt derzeit die Verdichtung und Erweiterung des Systems. Im finalen Zustand wird es 2040 45.000 Kilometer umfassen.
Angesichts dieser Dimensionen mag der Bau des Guangzhou-Shenzhen-Hong Kong Express Rail Link mit seinen gerade einmal 142 Kilometern zunächst als Marginalie erscheinen. Doch die neue Strecke ist nicht nur eine wichtige Arterie, welche das Pearl River Delta erschliesst, die größte und boomendste Metropolitanregion der Welt. Vor allem verbindet sie Festlandchina mit Hongkong, das nach seiner Rückgabe an China 1997 den Status einer Sonderverwaltungszone besitzt. In nur 14 Minuten erreichen die Züge von Hongkong aus den im Stadtzentrum von Shen­zhen gelegenen Bahnhof Futian. Ohne Umsteigen kann man von Hongkong aus viele der großen Metropolen Chinas erreichen, acht Stunden beispielsweise dauert die Fahrt auf der gut 2400 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecke über Guangzhou und Wuhan in die Hauptstadt Peking.
So sinnvoll und unverzichtbar der Anschluss Hongkongs an das festlandchinesiche Hoch­geschwindigkeitsnetz auch ist, die neue Eisenbahnverbindung stößt in der ehemaligen britischen Kronkolonie nicht nur auf Gegenliebe. Wie auch die Ende Oktober eröffnete Hongkong-Zuhai-Macau-Brücke wird sie von Kritikern als Beispiel dafür gesehen, dass die chinesische Regierung Hongkong immer fester an das Festland anbindet. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass die Pass- und Zollkontrollen bei der Ein- und Ausreise nach oder von China nicht an der Grenze (wo der Zug nicht hält) oder in Shenzhen Futian stattfinden, sondern in der am 23. September 2018 eröffneten West Kowloon Station, dem Endbahnhof in Hongkong.
Eine gelbe Linie markiert in der Ebene –3, dem Departure Level, die Grenze zwischen Hongkong und China. Wer sie überschreitet, braucht ein Visum für China – Kurzzeitvisa für Shenzhen, wie sie an anderen Grenzübergängen erteilt werden, können hier nicht ausgestellt werden. Wer, wie der Autor, von diesem Sachverhalt nichts weiß, wird von den chinesischen Grenzbeamten abgewiesen, zurück zur gelben Linie eskortiert und exakt dort den Behörden aus Hongkong überstellt. Von deren Büro aus führt der Weg, gewiesen nunmehr von Angestellten der West Kowloon Station, durch endlose Korridore und Nebenräume in den Katakomben des Bahnhofs, bis man durch ein klandestines Türchen in die Arrival Hall geschleust wird und damit wieder nach Hongkong zurückgekehrt ist.
Die West Kowloon Station ist also, funktional betrachtet, eine riesige Abfertigungsmaschinerie,die mit ihren Zonen für Gepäck- und Passkontrolle, Zoll sowie den Boardingbereichen einem Flughafen eher verwandt ist als dem Bild eines traditionellen Bahnhofs – mit dem Unterschied, dass es hier nicht in die Luft geht, sondern in einen Tunnel, der 25 Meter unter Erdbodenniveau liegt. Das erste Untergeschoss dient als Verteiler­ebene, das zweite den Arrival-Prozeduren, das dritte als Departure Hall. Vom Wartebereich aus gelangt man schließlich zu den Zügen, die im vierten Untergeschoss abfahren. Neun Gleise sind den längeren Fernzügen vorbehalten, auf sechs Gleisen wird der Verkehr mit Shenzhen und Guangzhou abgewickelt, der etwa 70 Prozent des Passagieraufkommens ausmacht.
Der neue Bahnhof befindet sich auf aufgeschüttetem Gelände im Westen der Halbinsel Kowloon. Die Landaufschüttungen waren nötig geworden, als der völlig neu angelegte Flughafen Chek Lap Kok 1998 den alten Kai Tak Airport mit seiner berüchtigten, in den Victoria Harbour ragenden Piste ersetzte. Platz geschaffen wurde unter anderem für die Kowloon Station, das Bindeglied für den Airport Express und die Flughafenautobahn, welche über den Tunnel der Western Harbour Crossing weiter nach Hongkong Island führt. Die MTR Corporation, Betreiberin des Airport-Express und der U-Bahnlinien in Hongkong, war maßgeblich an den Infrastukturprojekten beteiligt – und auch an der kommerziellen Entwicklung. Rund um den Union Square über der Kowloon Station und der Shopping Mall „Elements“ ist zwischen 2000 und 2010 ein Hochhauscluster entstanden, der vom International Commerce Center (Kohn Pedersen Fox), mit 484 Metern der höchste Wolkenkratzer Hongkongs, dominiert wird. Kowloon hat nicht nur in den letzten Jahrzehnten 30 Prozent an Fläche hinzugewonnen, es hat auch seine Skyline vollständig verändert; aufgrund des nahen Flughafens waren Hochhäuser hier zuvor verboten. Die Silhouette verändert sich weiter, wovon als derzeit aktuel­­les Vorhaben der auf einem Masterplan von Foster + Partners aus dem Jahr 2010 basierende West Kowloon Cultural District (WKCD) zeugt. Wie Perlen reiht sich am Ufer eine Kette grosser Neubauten kultureller Institutionen, darunter das im Rohbau fertiggestellte Museum M+ von Herzog & de Meuron.
Die neue West Kowloon Station, errichtet und betrieben ebenfalls von der MTR; liegt in zwei­ter Reihe und schliesst nördlich an den in einen Park eingebundenen und von einer Promenade erschlossenen WKCD an. Im Westen besteht unmittelbarer Zugang zur Elements-Mall und zur Kowloon Station des Airport Express, eine weitere Passerelle verbindet den neuen Bahnhof mit der Austin Station der MTR im Osten. Nördlich des Bahnhofs entsteht über den Gleisen ein weiterer Hochhauscluster. 2009, als die MTR den Wettbewerb ausrichtete, gehörte dieser noch mit zum Bauprogramm, wurde aber inzwischen ausgegliedert und wird nun von anderen Planern realisiert. Also nicht von Andrew Bromberg, Design Principal des 2007 aus dem Zusammenschluss dreier Architekturbüros aus Grossbritannien und Hongkong entstandenen, global agierenden Architekturkonzern Aedas. Der 1968 geborene US-Amerikaner war 2002 nach Hongkong gekommen und betreut bei Aedas die Projekte, die, architektonisch ambitioniert, mehr sein sollen als fernostkompatible Investorenarchitektur. Dafür ist die West Kowloon Station, bei der er sich gegen prominente Konkurrenz wie beispielsweise Foster + Partners durchsetzen konnte, ein gutes Beispiel. Die Anordnung der Gleise und der Bahnsteige im Untergrund war zum Zeitpunkt des Wettbewerbs definiert, auch die Anbindungen an die umliegenden Bahnhöfe und Bebauungen zählten zu den Vorgaben.
Doch der Auftritt des Bahnhofs in der Stadt, die gewaltige lichtdurchflutete Halle und die Begehbarkeit des Dachs, all das sind Ideen, die Bromberg einbrachte und auf spektakuläre Wei­se umsetzen konnte. Soviel Licht wie möglich in das Gebäude zu bringen, war Ziel des Entwurfs, auch wenn die Züge selbst in der tiefsten Ebene unsichtbar bleiben. Ein gigantisches Atrium ist in das unterirdische Volumen eingeschnitten; doch so tief es von der Erdgeschossebene aus hinunter geht, so hoch geht es auch hinauf: Der Scheitelpunkt des Dachs befindet sich 45 Meter über dem Wartebereich der Departure Hall ganz unten im Atrium. Im Schnitt V-förmige, 175 Meter lange Trägerstrukturen ziehen sich im flachen Bogen längs über das Gebäude und sind vermittels Glasflächen miteinander verbunden. Der Effekt ist atemberaubend – selbst auf den unteren Ebenen blickt man schräg durch die Verglasungen auf die Hochhäuser ringsum oder sogar bis zum Hong Kong Peak. Umgekehrt kann man von außen durch die gläsernen Wände bis in die Tiefe blicken, ganz abgesehen von der Möglichkeit, dieHalle im Inneren auf verschiedenen Ebenen zu umrunden und den Raum aus immer neuen Perspektiven wahrzunehmen.
Neun Bündel aus unregelmässig geformten, baumartig wirkenden und zum Teil bizarr an­einander geschmiegten Rundstützen tragen die Last des Dachs und leiten die Kräfte auf weni­ge Punkte ab. Etwas dünner hätten sie ausfallen sollen, erklärt Andrew Bromberg, doch bei einem derartigen Grossprojekt mit komplexen Anforderungen, ist nicht jedes Detail kontrollierbar. Und daher ist es wichtiger zu unterstreichen, was hier erreicht wurde: Dass man dem Bahnhof wirklich aufs Dach steigen kann. Rampen und Treppen über den V-Trägern führen von aussen bis auf den höchsten Punkt des Gebäudes, Büsche, Sträucher und sonstige Begrünung bilden einen großartigen Park, von dessen Spitze aus jenseits des WKCD und des Victoria Harbour Hong Kong Island mit seiner imposanten Waterfront in den Blick gerät. Dieser Park auf dem Dach verbindet sich mit der auf Erdgeschossebene befindlichen Green Plaza, die sich zwischen dem Dach der Haupthalle und dem Seitenflügel auf der Seite der Elements Mall aufspannt.
In der gläsernen Hauptfront, die gleichsam gegen den WKCD anbrandet, findet der Bahnhof sein aufgipfelndes Ende – und doch sind die Formen fliessend, aus der Bewegung der Züge abgeleitet. Anders zeigt sich die Ostansicht: Hier ergibt sich aus der Geometrie der geschwungenen V-Träger eine Staffelung von Bögen, die an das Bild klassischer Bahnhofshallen erinnert. Vielleicht ist diese Assoziation genau das, was Bromberg gelungen ist: Das Ankommen – oder Abfahren – in Hongkong wieder zum Erlebnis gemacht zu haben.
Hallen und ingenieurtechnische Konstruktion prägten Bahnhöfe seit dem 19. Jahrhundert. Und auch wenn die Züge mittlerweile unterirdisch fahren, so ist die West Kowloon Station doch ein überzeugender Beweis dafür, dass Bahnhöfe wieder Adressen in der Stadt werden und Sichtbarkeit erlangen können. Bahnhöfe sind öffentliche Orte, und dieses Thema hat Bromberg nicht zuletzt mit der Begehbarkeit des Dachs auf überzeugende Weise vorgeführt.



Fakten
Architekten Andrew Bromberg at Aedas, Hongkong
Adresse West Kowloon Station Hongkong


aus Bauwelt 3.2019
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