Bauwelt

Wohnsiedlung


Außendämmung, umgangen


Text: Bartezky, Arnold, Leipzig


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    Foto: Marcus Scholz

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Um die aufwendigen und denkmalgeschützten Platzfassaden „Am Bergmann“ in Sangerhausen zu bewahren, haben Brambach Architekten nach anderen Wegen zu höherer Energieeffizienz gesucht. Gelungen ist nicht nur ein Modellprojekt der IBA Sachsen-Anhalt, sondern auch ein Vermietungserfolg für die Wohnungsgesellschaft.
Denkmalschutz und Klimaschutz sind schon deshalb wesensverwandte Anliegen, weil sie gleichermaßen auf Ressourcenschonung setzen. Dennoch haben Denkmalschützer allen Grund, den zum Teil kopflosen Energiesparaktivismus zu fürchten, der in den letzten Jahren im Namen des Klimaschutzes um sich gegriffen hat: Je schärfer die Energieeinsparverordnungen ausfallen, desto größer für Baudenkmäler die Gefahr einer als „energetische Ertüchtigung“ angepriesenen Kaputtsanierung. Die gestalterische Raffinesse unzähliger Fassaden ist inzwischen unter klobigen Wärmedämmplatten verschwunden, ganze Wohnsiedlungen haben ihren Charakter verloren. So deprimierend der baukulturelle Verlust, so fragwürdig ist bei solchen Sanierungen meist die ökologische Gesamtbilanz. Denn der Energierersparnis durch die Wärmeisolierung stehen Energieaufwand und Rohstoffverbrauch bei der Herstellung des Dämmmaterials und künftigen Sanierungsarbeiten entgegen. Hinzu kommt die Möglichkeit von Folgeschäden an der Bausubstanz durch erneute Sanierung – samt Entsorgung der alles andere als ökologisch verträglichen Isolierschichten. Deshalb gibt es bei den Energiesparsanierungen nur einen sicheren Profiteur: die Dämmindustrie.
Umso wichtiger sind Pilotprojekte, bei denen ein ausgefeiltes energetisches Konzept mit Respekt für den Denkmalbestand Hand in Hand geht. Ein mustergültiges Beispiel dafür bietet die Sanierung der Siedlung „Am Bergmann“ im sachsen-anhaltinischen Sangerhausen durch die Städtische Wohnungsbaugesellschaft SWG. Die riegelförmigen Wohnhäuser gruppieren sich in aufgelockerter Anordnung um einen rechteckigen Platz, der den Schwerpunkt des nach dem Zweiten Weltkrieg im Südwesten der Stadt entstandenen Wohngebiets bildet. In den Jahren 1952/53 auf der Grundlage einer Planung des Architekten Wolfgang Stier für die Bergleute des damals im Aufschwung befindlichen Kupferbergbaus in traditioneller Ziegelbauweise errichtet, repräsentieren die walmdachgedeckten Viergeschosser eine Variante der historisierenden „Architektur der Nationalen Tradition“, die seit den dreißiger Jahren in Stalins Sowjetunion im Zeichen des Sozialistischen Realismus entwickelt worden war und ab 1949 von der DDR importiert wurde.
In ihrer gestalterischen Zurückhaltung haben die Putzbauten auf den ersten Blick wenig gemein mit dem Pomp der von der Propaganda als „Paläste für die Werktätigen“ gefeierten Prestigekomplexe in den Zentren der Großstädte Berlin, Magdeburg, Dresden oder Rostock. Mit der Bossierung der Erdgeschosse, den Laubengängen an den Eckbauten und den mit Lisenen gegliederten Scheinerkern werden aber traditionelle Gliederungsprinzipien adaptiert und Würdeformen angedeutet, die den ideologischen Gegensatz zu dem im Westen triumphierenden Funktionalismus des Neuen Bauens markieren. Anders als bei dem von Letzterem bevorzugten Prinzip des Zeilenbaus bilden hier die Langseiten der Häuser traditionelle Platzkanten. Im Verzicht auf eine starre, symmetrische Anordnung lässt sich zugleich ein Nachklang der Gartenstadt- und Heimatschutzarchitektur erkennen.
Ein plakatives Motiv des Sozialistischen Realismus sind die in Schwarz, Hellgrau und Rot gehaltenen figürlichen Sgraffito-Dekorationen der Scheinerker, die das gesellschaftliche Fundament des „Arbeiter- und Bauernstaates“ feiern. Zeigen die Darstellungen an der Nordseite des Platzes die Arbeitswelt des Bergbaus von Altgriechenland über das Mittel­alter bis zur sozialistischen Gegenwart, so sind auf der Südseite desselben Bauern in vermeintlich lokaltypischen Trachten bei Arbeit und Tanz und Vertreter verschiedener Berufe zu sehen.
Finanzielle und konzeptionelle Förderung
Die folkloristisch-naiven Sgraffiti überdauerten die Wendezeit ebenso wie das Standbild eines Bergmanns, das der Siedlung ihren heutigen Namen gab, und das wohl in den siebziger Jahren hinzugekommene Denkmal, das an die „Fahne von Kriwoj Rog“, ein von der DDR-Geschichtspolitik lanciertes Symbol des kommunistischen Widerstands gegen das NS-Regime und des Bündnisses mit der Sowjetunion, erinnert. Die seit 1992 unter Denkmalschutz stehenden Wohnbauten aber waren lange Zeit Verfall und Leerstand ausgesetzt, denn ähnlich wie die meisten Städte Ostdeutschlands hat Sangerhausen seit 1989 einen beträchtlichen Bevölkerungsschwund zu verkraften. Während vor allem die äußeren Teile des Wohngebiets inzwischen abgerissen worden sind, haben die drei Häuser „Am Bergmann“ mit der zwischen 2008 und 2010 durchgeführten Sanierung eine Vorzugsbehandlung erfahren, wie sie einem Wohnbauensemble der fünfziger Jahre nur selten zuteil wird. Ermöglicht wurde dies durch die Aufnahme des Projekts in das Programm der Internationalen Bauausstellung (IBA) Stadtumbau 2010 und die damit verbundene Förderung durch Zuschüsse und Sachverstand.
Der hohe Anspruch des Vorhabens wurde bereits im Vorfeld durch die Ausschreibung eines europaweiten Bewerbungsverfahrens signalisiert. Von den 39 teilnehmenden Büros wurden sechs zu einem offenen Wettbewerb eingeladen. Als dessen Sieger ging das in Halle ansässige Büro Brambach Architekten in Kooperation mit dem Institut für Bauphysik und regenerative Energien Dr. Arndt & Partner hervor. Im Unterschied zu seinen Konkurrenten entschied sich das Architek­tenehepaar Brambach für den weitgehenden Erhalt des originalen Erscheinungsbilds – und damit auch für den Verzicht auf eine Außendämmung der Fassaden.
Dass die sanierten Bauten in puncto Energieeffizienz trotzdem den Neubaustandard nach der Energieeinsparverordnung von 2007 erreichen, ist einer ausgeklügelten Kombination verschiedener Maßnahmen zu verdanken, die den Verzicht auf die übliche Verpackung mit Dämmplatten wettmacht. An den Innenwänden wurde eine Zellulosedämmung von 16 Zentimetern Stärke angebracht, der Wohnflächenverlust konnte dabei durch Änderungen der Raumzuschnitte kompensiert werden. Die Dampfdiffusionsoffenheit der Dämmung ermöglicht den Feuchtigkeitsausgleich und damit die Vermeidung von Feuchteschäden. Der Einbau mechanischer Lüftungen mit Wärmerückgewinnung sorgt in allen Wohnungen für dauerhafte Luftzirkulation und zusätzliche Energieersparnis, die Fußbodenheizungen kommen mit einem Heizungssystem im Niedrigtemperaturbereich aus. Eine zentrale Rolle im Energiekonzept spielen die auf den Süddächern angebrachten, großflächigen Sonnenkollektoren, die rund achtzig Prozent der jährlichen Energiemenge für die Warmwasserbereitung und gut zwanzig Prozent für die Raumheizung liefern. Die solaren Überschüsse im Sommer werden zudem zur Warmwasserversorgung der Nachbargebäude verwendet.
Wärme gewinnen statt nur sparen
Beim Wort Sonnenkollektoren läuten bei vielen Denkmalpflegern die Alarmglocken. Denn grausam sind meist die Entstellungen, die historische Dachlandschaften erleiden, wenn sie in den Dienst der regenerativen Energiegewinnung gestellt werden. Die Architekten übten sich hier mit viel Geschick in Schadensbegrenzung. Um die sonst so störenden Farbkontraste zu vermeiden, ersetzten sie die ursprünglich roten Dachziegel mit Zustimmung der Denkmalpflege durch schwarze. Damit die Kollektoren nicht als wuchtige Fremdkörper in Erscheinung treten, wurden sie in die Dachhaut integriert, statt, wie üblich, einfach nur auf die Oberfläche aufgelegt zu werden. Aus demselben Grund wurden sie auch an den Seitenrändern abgeschrägt, so dass sie eine Trapezform bilden, die unauffällig den Linien der Walmdachflächen folgt.
Ähnlich umsichtig behandelten die Architekten die Fassaden. Dem Erscheinungsbild zuliebe verzichteten sie auf den andernorts gerne praktizierten Anbau von Balkonen. Stattdessen fügten sie jeweils an der Gartenseite Loggien ein. Dank deren beträchtlicher Breite und Tiefe entstanden großzügige, raumhoch verglaste Wintergärten, die sich mittels einer Schiebefaltwand öffnen lassen. Doch sie kragen nur geringfügig aus, so dass die Schrägansicht der Fassade wenig beeinträchtigt wird. Bei aller Rücksichtnahme versuchen die mit Brüstungen aus bedrucktem Glas versehenen Loggien allerdings nicht, sich zu verstecken, sondern geben sich in Form und Material unmissverständlich als zeitgenössische Zutaten zu erkennen. Gleiches gilt für die gartenseitigen Eingangsvorbauten aus Glas mit vorgeblendeten Lochblechplatten. Ein weiterer von außen erkennbarer Eingriff an der Gartenseite sind die an zwei Bauten angefügten Erdgeschossterrassen. Hinter den mannshohen Sichtbetonmauern verbergen sich gepflasterte Flächen und grüne Minigärten. Von außen uneinsehbar, bieten sie ein in Wohnsiedlungen dieser Art seltenes Maß an Intimität und verschaffen somit den sonst so unbeliebten Erdgeschosswohnungen ein begehrtes Alleinstellungsmerkmal.
Bei den besonders exponierten Fassaden an der Platzseite beschränkten sich die Architekten auf eine äußerst behutsame Restaurierung. Mit ihrer Hingabe an das Detail trugen sie der Erkenntnis Rechnung, dass die Qualität dieser Bauten weniger in großen Gesten als in gestalterischer Subtilität liegt. Die ausgeblichenen Sgraffiti erhielten ihre kräftigen Farben zurück, der Schleppputz mit seinen unregelmäßigen, vertikalen Rillen wurde gereinigt und, wo nötig, ergänzt. Ersetzt werden mussten die Eingangstüren und Fenster. Die ursprünglichen Unterteilungen wurden aber ebenso nachgebildet wie Details der Profilbildung. Dass dabei die bei Sanierungen vergleichbarer Bauten grassierende Verwendung von Plastik nicht in Frage kam, versteht sich von selbst. Sogar bei der Gestaltung und Anordnung der neuen Briefkästen achteten die Architekten auf die Detailwirkung: Um die Eingangsbereiche nicht zu verstellen, wurden die in dezentem Grau gehaltenen Briefkastenstelen senkrecht zur Fassade an die Bauten angedockt. Das Prinzip „so viel Erhalt wie möglich, so viel Eingriff wie nötig“ galt auch bei der Sanierung der Treppenhäuser. Trotz Einbaus von Aufzügen wurden die Treppen und Fuß­böden aus Terrazzo-Kunststein sowie die Holzgeländer erhalten und, wo erforderlich, originalnah ergänzt. In den meisten Treppenhäusern gelang sogar die Wiederherstellung der ursprünglichen, recht eigenwilligen Farbgebung nach restauratorischem Befund, in den übrigen wurde der bauzeitliche Farbkanon variiert.
Zeitgemäße Wohnungen in historischer Hülle
Bei aller Selbstbeschränkung der Architekten am Außenbau blieb in den Wohnungen fast nichts, wie es gewesen war. Denn die Sanierungsaufgabe bestand nicht nur in der denkmalgerechten energetischen Ertüchtigung, sondern auch in der Schaffung attraktiver und, eingedenk der demographischen Entwicklung, barrierefreier Wohnungen, die heutigen Mieteransprüchen gerecht werden. Durch Änderung der Grundrisse entstanden 1,5- bis 4-Zimmer-Wohnungen mit bis zu 105 Quadratmetern Fläche und teilweise recht hochwertiger Ausstattung, zu der etwa die erwähnte Fußbodenheizung, Parkett und Bodenfliesen gehören. Aufgrund der öffentlichen Förderung der Sanierung wurde eine Mietpreisbindung festgesetzt, die Kaltmiete beläuft sich auf sozialverträgliche 4,60 Euro pro Quadratmeter.
Zusätzlich zu den drei privilegiert behandelten Häusern sanierten Brambach Architekten im Auftrag der SWG zwei benachbarte Wohnriegel, bei denen an den denkmalpflegerischen Standards aus Kostengründen erhebliche Abstriche gemacht wurden. Trotz Außendämmung und Balkonanbau gelang den Architekten aber auch hier eine überdurchschnittlich sensible Modernisierung, bei der der Fünfziger-Jahre-Charme der Bauten nicht völlig verlorenging.
Indes kann die den Kern des Projekts bildende Sanierung der drei unverpackt gebliebenen Häuser Modellcharakter beanspruchen. Sie führt vor Augen, dass sich Belange des Denkmalschutzes, der Energiepolitik, der Stadtentwicklung und der Sozialfürsorge in Einklang bringen lassen – guten Willen, Sachverstand und, nun ja, einen gewissen finanziellen Mehraufwand vorausgesetzt. Sachsen-Anhalts Landeskonservatorin Ulrike Wendland bezeichnet die Revitalisierung der Siedlung „Am Bergmann“ denn auch als eines ihrer Lieblingsprojekte der letzten Zeit. Die Jury des Architekturpreises Sachsen-Anhalt 2010 würdigte die Siedlung mit einer Auszeichnung. Angesichts kompletter Vermietung und anhaltender Nachfrage – eine Seltenheit in Ostdeutschlands Schrumpfregionen – haben auch die Stadt und ihre Tochter SWG allen Grund zur Zufriedenheit. Und die Mieter sowieso.



Fakten
Architekten Brambach Architekten, Halle (Saale)
Adresse Am Bergmann, 06526 Sangerhausen


aus Bauwelt 15-16.2011
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