Bauwelt

Zentralmensa der Universität



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Foto: Werner Huthmacher

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Mit der Erweiterung des Achtziger-Jahre-Baus ist es Augustin und Frank Architekten gelungen, ein frisches Signal für die kommende bauliche Entwicklung des Campus-Nord zu setzen. Die delikate Auseinandersetzung mit dem postmodernen Bestand führte zu einem überzeugendem Amalgam aus Alt und Neu.
Die Universität Kassel wächst. Zum kommenden Wintersemester werden wohl erstmals über 23.000 Studierende immatrikuliert sein, was unter anderem an der Verkürzung der Gymnasialzeit und am Wegfall der Wehrpflicht liegt. Das Uni-Präsidium geht heute davon aus, dass sich der Anstieg der Zahlen noch bis 2025 fortsetzen wird. Bereits 2008 hatte das Land Hessen den Ausbau seiner Hochschullandschaft mit dem drei Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm „Heureka“ angeschoben. Das Geld fließt nicht nur in die personelle und technische Ausstattung der Universitäten, sondern auch in den Neubau und die Erweiterung von Gebäuden.
In Kassel wurde vor vier Jahren die städtebauliche und architektonische Weiterentwicklung des Standorts Holländischer Platz festgelegt. Auf dem „Campus-Nord“ genannten Areal sollen Fachgebiete und Einrichtungen, die über das Stadtgebiet verstreut liegen, zusammengeführt und um studentische Infrastruktur (Wohnungen, Kindergarten) ergänzt werden. Im Wettbewerb für diesen Bereich wurde das Büro von Georg Augustin und Ute Frank 2009 mit dem 2. Preis ausgezeichnet (1. Preis: raumzeit, Berlin; Bauwelt 4.2009). Das Preisgericht empfahl, die Zweitplatzierten mit der Erweiterung der Zentralmensa zu beauftragen. Als Auftakt des ersten Bauabschnitts und als Voraussetzung künftiger Verlagerungen kam dem Projekt eine besondere Bedeutung zu. Es wird in Zukunft die Funktion eines Bindegliedes zwischen dem alten und dem neuen Campus einnehmen. Der Baubeginn war 2011, seit Januar 2013 ist die erweiterte Zentralmensa in Betrieb.
Im „Hochschul-Wehrdorf“
Der Bestandsbau, die alte Mensa, ist noch keine dreißig Jahre alt. 1988 eingeweiht, bildete sie den nördlichen Schlussstein eines kleinstädtisch anmutenden Hochschulquartiers, das in der Phase der Postmoderne auf dem leer geräumten Industriegelände der Henschel-Fabrik errichtet worden war (Architekten: Höfler und Kandel, Stuttgart). In der Bauwelt (7–8.1986) spottete Karl Heinrich Hülbusch über die Neubebauung: „Die Installation von Mittelalter, Preußischer Postarchitektur und 20er-Jahre-Versatzstücken hält im Inneren, was sie von draußen verspricht: Ratlosigkeit. Das Licht der Fenster dringt nicht herein, wird von Säulen und Stützen verstellt, belichtet notdürftig Räume, die ganz zufällig von draußen entstanden sind. Wo Pfeiler und Dekorationen den Öffnungen nicht im Wege stehen, besorgen bombastische Laubengänge und Überkragungen Schutz vorm Verblassen. Sizilianischer Sonnenschutz im kühlen Nordhessen.“
Durch den hohen hexagonalen Speisesaal fühlt man sich von fern eher an ein Kirchengemeindezentrum erinnert als an eine Großkantine: Holzbinder unter Dachpfannen und Kupfer, dazu Erker, Bögen, Fenstersprossen – das Betuliche war damals viel teuerer als geplant und dazu noch räumlich ungelenk; trotzdem hat es bislang irgendwie funktioniert. Es erscheint schwierig, ein Gebäude, dessen innere Logik in er­ster Linie einem Bild, einer Stimmung, einer Atmosphäre untergeordnet ist, zu erweitern. „Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit betrachtet“, sagt Georg Augustin, „sind die meisten Bauten der Postmoderne eine Katastrophe, weil sie Raum für Raum erdacht wurden, ohne einen Blick für das Ganze.“
Die Brücke
Der neue Speisesaal mit 433 Plätzen konnte nur an der Ostflanke anschließen, wo sich allerdings die Anlieferungsrampe zum Wirtschaftshof im Untergeschoss hinabwindet. Diese abzureißen und an anderer Stelle wieder aufzubauen, hätte bedeutet, den Mensabetrieb für längere Zeit zu lähmen; zudem hätte man die Abläufe in der Küche neu organisieren müssen. Auch aus diesem Grund konzipierten die Architekten ein großformatiges Brückenbauwerk, das die LKW-Wendel kurzerhand überspannt und längsseits am Bestand anlegt – wie ein Flugzeugträger an einen alten Pier.
Der fast sechzig Meter lange neue Speisesaal, eingehängt zwischen zwei Stahl-Fachwerkträger, ruht tatsächlich nur auf vier Stützen. Was so elegant und scheinbar mühelos aussieht, erforderte jedoch umfangreiche Vorarbeiten und tiefe Eingriffe in den Altbau, von denen nach Abschluss der Bauarbeiten aber kaum mehr etwas zu erahnen ist. Die Nutzer und die Belegschaft freilich bemerken die Veränderungen Tag für Tag: eine modernisierte Küche, in der effizienter gearbeitet werden kann; mehr Köche und damit auch mehr Vielfalt im kulinarischen Angebot. Die Essensausgabe im Zentrum des Gebäudes wurde so weit vergrößert, dass nun statt drei bis zu sieben verschiedene Essen angeboten werden können; mit der Kaffeebar und einer Salatinsel kamen weitere Neuerungen hinzu. Dass bei den Gesamtkosten von 15,5 Mio. Euro (Baukosten: 9,9 Mio. Euro) das preiswerteste Essen dennoch für nur 1,60 Euro zu haben ist, konnte bei der offiziellen Eröffnung im März gar nicht deutlich genug betont werden.
Der neu gestaltete „Free Flow“-Bereich sowie die Spülküche bilden die Verbindung des neuen Speisesaals mit dem „Festland“, dem Altbau. Der Umbau und die Erweiterung fanden bei laufendem Betrieb statt, dabei wurden die neuen Bauteile zunächst unabhängig vom Bestand errichtet und erst gegen Ende der Bauzeit mit ihm verbunden, indem große Öffnungen in die ehemalige Außenwand gebrochen wurden. Auf diese Weise musste die Mensa nur drei Monate lang für Besucher geschlossen bleiben.
Auch die Verwaltung erhielt mehr Raum. An der Nordseite ist ein neuer Bürotrakt teils aufgeständert, teils angehängt worden, der die Formensprache der Fachwerk-Fassade fortführt, sich dabei aber verändert: Aus den verglasten Gefachen werden nach und nach in fließendem Übergang polygonale Fenster. Den Architekten war es wichtig, dass die Erweiterung von außen wie aus einem Guss wirkt. Um an der Nord-Ecke den abrupten Wechsel im Fassadensystem – vom Stahlfachwerk (Saal) zum Holzrahmenbau (Büros) – zu verschleiern, musste ein Fassadenaufbau gefunden werden, der unkompliziert auf beide Systeme aufgebracht werden kann und dazu noch ein fugenloses Erscheinungsbild erzeugt. Naheliegend, wenn auch unkonventionell: die „Zweckentfremdung“ einer zementbasierten Putzträgerplatte, gespachtelt und mit Polyurethan beschichtet. Der einheitliche Farbanstrich (RAL 7022) bindet schließlich alles zusammen. Die relativ aufwendige, weil individuelle Detailplanung, die man dem Bauherrn erst einmal erklären muss, hat ihren Grund auch in der neuen Lage des Gebäudes – „neu“ bezogen auf die künftige Campus-Erweiterung nordwärts. Eine schäbige Rückseite, wie sie sich bislang mit Anlieferung, Müllrampe und Trafostation dargestellt hatte, wäre an dieser Stelle unangemessen.
Kontrastmittel der Postmoderne
Im neuen Speisesaal flirrt es. Die rückwärtigen raumhohen Polycarbonat-Stegplatten reflektieren das reichlich vorhandene Tageslicht, vor allem aber das linear an der Decke sich kreuzende Kunstlicht. Geglätteter Estrich und offen geführte Lüftungskanäle erzeugen den Eindruck, man säße in einer hochwertigen Produktionshalle. Die Atmosphäre ist einigermaßen konträr zum alten Speisesaal: hier „Wintergarten“, dort „Scheune“, wie es die Architekten bezeichnen, hier Glas, dort Ziegel, hier der Blick ins Grüne, dort Mittagessen unter einem gemütlichen Dachstuhl. Zwei vollkommen unterschiedliche Raumangebote, die jeweils ihre Liebhaber finden.
Georg Augustin, selbst Professor für architektonisches Entwerfen an der Universität Kassel, ist der Meinung, dass durch die Kontrastierung die Besonderheit des Altbaus besser sichtbar geworden sei. Das Praktische am Bestand sei jedenfalls gewesen, dass es in ihm einige Redundanzen gegeben habe, Bauteile etwa, die in der Absicht der Postmoderne stimmig gewesen sein mögen, in der Logik der Konstruktion aber überflüssig waren. So konnte zum Beispiel der einst mit Bögen bekränzte Gang, der den alten Saal entlang der Essensausgabe umstellt hatte, bis auf wenige statisch notwendige Stützen abgebrochen werden. Damit habe der Tageslichteintrag verbessert, das Hexagon frei gestellt und der Raum für den Free-Flow-Bereich überhaupt erst geöffnet werden können. Die Besonderheit des alten Saales komme durch diese Maßnahme heute viel deutlicher zur Geltung. Ist die gezielte Entschlackung ein Weg, um postmoderne Architektur über die Zeit zu retten? Die Architekten des Altbaus, mithin die Inhaber des Urheberrechts, haben den Eingriffen, wie überhaupt dem gesamten Entwurf, zugestimmt. Vielleicht haben sie erkannt, dass ihr Bild von damals nicht ausradiert, sondern hier und da korrigiert und mit heutigen Mitteln weitergemalt wurde.



Fakten
Architekten Augustin und Frank Architekten, Berlin
Adresse Moritzstraße 20, 34127 Kassel ‎


aus Bauwelt 33.2013
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