Zentralplatz Koblenz
Text: Thein, Florian, Berlin
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1984 - Punks am Zentralplatzbrunnen
Markus Caspers
1984 - Punks am Zentralplatzbrunnen
Markus Caspers
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Der in den 1990er Jahren ins Abseits geratene Zentralplatz in Koblenz nimmt nicht erst seit dem Ringen um seine Reaktivierung eine Schlüsselrolle in der Entwicklungsgeschichte der Stadt ein. Der Rückblick dokumentiert eine Projektionsfläche gesellschaftlicher und ökonomischer Befindlichkeiten
Eine Frage, die ich mir schon früher gestellt habe ist, warum ein öffentlicher Platz in der Mitte der Stadt den nüchternen Namen Zentralplatz bekommt. Eine neutralere Bezeichnung ist kaum möglich. Vermutlich ist der freimütige Umgang mit personenbezogener Namensgebung und die darauf folgende mühsame Entledigung vom unliebsamen ideologischen Ballast noch zu präsent, als Stadtbaudirektor Eberhard Berg 1957 die Kriegsbrache zum neuen Zentrum der wachsenden Stadt erklärt.
Aufschwung
Bergs Aufbauplan für Koblenz setzt sich als Kind seiner Zeit den Neuanfang und die bewusste Abkehr vom Vergangenen zum Ziel. Reste der historischen Stadtmauer und des Wasserturmes müssen einer zweigeschossigen Tiefgarage weichen. Eine knappe Mehrheit des Stadtrates gibt 1962 die Losung aus – der „Abschied von Mauern und Türmen“ schafft „Platz für den modernen Verkehr“. 1968 wird dann am östlichen Rand des entstandenen Zentralplatzes nach Plänen des Nürnberger Architekten Harald Loebermann das Quelle-Kaufhaus mit 8000 Quadratmeter Verkaufsfläche errichtet. Die Eröffnung ist ein voller Erfolg. Zeitweise herrscht ein solcher Andrang, dass die Türen geschlossen und die Besucher in Etappen eingelassen werden müssen, da die Kapazität des Hauses erschöpft ist. Loebermanns nachkriegsmoderner Betonkubus auf gläsernem Sockel, schmucklos und knallhart, wird ein Symbol des Aufschwungs und des Wiederaufbaus.
Die Zentralplatzgestaltung spricht formal eine ähnliche Sprache – hellgraue Waschbetonplatten als Belag, in Teilen von einem dezent farbigen Rechteckmuster aufgelöst. Dazwischen eingestreut ein paar spärlich bepflanzte, orthogonal zueinander in Beziehung gesetzte Beete, die die Zugänge zur Tiefgarage kaschieren. Ein strenges Brunnenspiel aus quadratischen Becken schirmt den Platz zur Straßenkreuzung hin ab. Das Ensemble hat Erfolg, der Zentralplatz entwickelt sich zur 1A-Lage.
Fette Jahre
1973 wird eine weitere Kriegsbrache an der angrenzenden Clemensstraße geschlossen. Unter den Augen des damaligen Ministerpräsidenten Helmut Kohl feierlich eröffnet, fügt sich das Gemeinschaftswarenhaus „GEWA“ als neuer Baustein an den Zentralplatz. Von der Gestaltung her gehört es schon einer neuen Generation von Zentrumsbauten an. Die radikale Schlichtheit ist einer ornamentalen Fassadengestaltung aus geometrischen Volumen gewichen, die an eine Mischung aus Waben und Pyramidenstümpfen erinnert. Große Fahnen flattern im Wind, und eine geschosshohe Spirale in Regenbogenfarben strahlt als Firmenlogo von der Fassade. Die Anbindung des Gemeinschaftswarenhauses über die vierspurige Clemensstraße an den Zentralplatz erfolgt über eine massive, schwarze Stahlbrücke, die wie eine Zunge aus dem ersten Obergeschoss über die Straße auf den Platz ragt. GEWA und Quelle-Kaufhaus bilden in den kommenden Jahren das wirtschaftlich erfolgreiche Zentrum von Koblenz, und der Zentralplatz ist Treffpunkt für alle Bevölkerungsschichten, neben Passanten und Kaufhauskunden trifft sich um den Brunnen die örtliche Punkszene.
Abwärtsspirale
1984 eröffnet rund fünfhundert Meter vom Zentralplatz entfernt das „Löhr-Center“ mit einer Verkaufsfläche von 32.000 Quadratmetern, direkter Anbindung an die Fußgängerzone und mehrgeschossigem Parkhaus. Als ich einige Jahre später, Anfang der 90er Jahre, in Koblenz zur Schule gehe, ist am Zentralplatz vom Glanz vergangener Tage nur noch wenig zu spüren. Um die Wartezeit auf den Nach-Hause-Bus zu überbrücken, schauen wir gelegentlich im dunklen Untergeschoss des Quelle-Hauses nach den neuesten Computermodellen. Die Atmosphäre ist jedoch inzwischen staubig, das Kaufhaus schreibt seit Jahren rote Zahlen. 1993 übernimmt Hertie das Gebäude, schließt jedoch bereits drei Jahre später wieder die Pforten. Kurz darauf steht das Gebäude völlig leer. Das gegenüberliegende Gemeinschaftswarenhaus versucht den rückläufigen Umsatz mit geändertem Sortiment und Schließung einzelner Abteilungen aufzufangen. Einige Jahre später ist auch das GEWA insolvent.
Der Zentralplatz entwickelt sich derweil zum Treffpunkt der Zu-kurz-Gekommenen. „Junkies, Punks und Tippelbrüder“ titelt die Regionalzeitung. In den bepflanzten Bereichen bilden sich wilde Müllkippen, dazu kommt eine Rattenplage. Der Brunnen wird stillgelegt und die Rolltreppen der Fußgängerunterführung sind oft außer Betrieb. Zeitungsmeldungen von Überfällen und Gewaltdelikten am Zentralplatz häufen sich. Trauriger Höhepunkt ist die Tat eines geistig verwirrten Amokschützen aus der rechten Szene, der auf dem Platz um sich schießt und dabei einen Menschen tötet und mehrere verletzt.
Investorenkarussell
Längst ist die Stadt auf der Suche nach potenten Investoren. Das in den späten 90er Jahren fast unvermeidliche Multiplexkino ist auch für den Zentralplatz im Gespräch. Mal mehr, mal weniger liquide Geldgeber kommen und gehen, letztendlich sind die Kinopläne vom Tisch, und das innerstädtische Filetstück harrt weiter seiner Erweckung.
Im Jahr 2000 lobt die Stadt für die angrenzende, in naher Zukunft nicht mehr von der Bundeswehr genutzte Fläche des Ernst-Rodenwaldt-Institutes einen Investorenwettbewerb aus. Die drei favorisierten Ergebnisse erweitern in ihren Konzepten die Wettbewerbsfläche um den angrenzenden Zentralplatz und streben eine zusammenhängende Bebauung für das gesamte Gebiet an. Die Planung „aus einem Guss“ erfährt große Zustimmung. Ziemlich überraschend erwirbt kurze Zeit später einer der Wettbewerbsteilnehmer, die Strabag Projektentwicklung, das Grundstück des ehemaligen Hertie-Hauses sowie das Erbbaurecht für die Tiefgarage unter dem Zentralplatz. Ein Gesamtkonzept für beide Grundstücke lässt sich nun ohne ihre Zustimmung oder Beteiligung nicht mehr realisieren.
Konsum, Kultur und Widerstand
Verschiedene Kolloquien diskutieren in den kommenden Jahren bauliche Vorgaben für das Gebiet. Breite Zustimmung findet ein Kulturbau, der angesichts klammer Kassen über ein Einzelhandelsgebäude finanziert werden soll. Andere Stimmen favorisieren eine großzügig begrünte Parkanlage. Da man zur bevorstehenden Bundesgartenschau 2011 ein riesiges Loch in der Stadtmitte vermeiden will, beschließt der Stadtrat 2007 in einer nichtöffentlichen Sitzung das sogenannte „Forum Mittelrhein“. Die Planung sieht einen Kulturbau vor, der das bestehende Mittelrhein-Museum und die Stadtbibliothek an einem Ort zusammenfasst und Koblenz als Tor zum Welterbe Oberes Mittelrheintal touristisch präsentiert. Hinzu kommt ein Einkaufszentrum. Auftragnehmerin der Baumaßnahmen ist die Strabag-Tochter Züblin. Die „Löhr-Center“-Betreiberin ECE wird Partner. Züblin soll sowohl die Einzelhandelsflächen als auch das Kulturgebäude bauen und später vermieten.
Nachdem die ursprünglich anvisierte Verkaufsfläche des Einkaufszentrums auf 20.000 Quadratmeter verdoppelt und die Fläche des Kulturbaus um 23 Prozent verringert ist, wird ab Herbst 2010 gebaut. Die Zeiten strenger Nachkriegsmoderne sind am Zentralplatz längst passé. Seitens der Stadt wird eine große Geste gewünscht. Besucher sollen in der Stadt gehalten werden. Der oft bemühte „Bilbao-Effekt“ macht in Diskussionen die Runde. Zur Umsetzung kommt ein Entwurf von Benthem Crouwel Architekten, die als Gewinner aus dem von Investor und Stadt ausgelobten Architektenwettbewerb hervorgehen. Das Konzept sieht zwei unabhängige Baukörper für Einzelhandel und Kultur vor die, abgeleitet vom Bewegungsprofil der Nutzer, frei geformt eine öffentliche Fläche aus neuem Zentralplatz und „Trichterplatz“ zwischen sich aufnehmen.
Von Anfang an sieht sich das Forum Mittelrhein auch massiver Kritik ausgesetzt. Gegner beharren auf einer grünen Mitte und führen Pläne für einen „Casino-Park“ ins Feld. Allen voran fährt die 2007 gegründete Bürgerinitiative Zentralplatz (BIZ) schwere Geschütze auf. Die Bemühungen das Forum zu stoppen gleichen jedoch einem Kampf gegen Windmühlen. Eine von der Initiative in Auftrag gegebene Meinungsumfrage, der zufolge 71 Prozent der Bürger gegen ein Einkaufscenter am Zentralplatz sind, wird in ihrer Repräsentativität seitens der Stadt angezweifelt, und eine Beschwerde bei der EU-Kommission wegen Verstoßes gegen europäisches Vergaberecht wird mit Verweis auf das bestehende Erbbaurecht des Investors abgewiesen. Auch 20.000 gesammelte Unterschriften gegen die geplante Bebauung verhindern nicht, das das Einkaufszentrum 2011 Richtfest feiert.
Ob die Mischung aus Kultur und Konsum die gewünschte Belebung der Innenstadt bringt, ohne den umliegenden Einzelhandel auszutrocknen, und ob der Ort einer breiten Öffentlichkeit Raum bietet, wird sich zeigen. Es bleibt spannend am Zentralplatz.
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