Bauwelt

Falsche Bescheidenheit

Der Ideenwettbewerb für das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum in Berlin fällt ernüchternd aus: Die Jury zeichnete vor allem unterirdische Lösungen aus

Text: Herzog, Andres, Zürich

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Die Architekten schlagen eine begehbare Gebäudelandschaft vor, die sich maximal eineinhalb Geschosse erhebt
Abb.: Architekten, 1281

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Die Architekten schlagen eine begehbare Gebäudelandschaft vor, die sich maximal eineinhalb Geschosse erhebt

Abb.: Architekten, 1281


Falsche Bescheidenheit

Der Ideenwettbewerb für das Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum in Berlin fällt ernüchternd aus: Die Jury zeichnete vor allem unterirdische Lösungen aus

Text: Herzog, Andres, Zürich

Auf dieses Bauvorhaben schaut die ganze Welt“, gemahnte die Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf der Pressekonferenz. „Hier werden wir daran gemessen, wie Deutschland mit Architektur umgeht, mit dieser so öffentlichen Kunst.“ Das geplante Museum des 20. Jahrhunderts, welches das Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes in Berlin komplettieren soll, versetzt die Branche in Aufregung. Denn Frau Grütters hatte schon recht: Hier entwirft man nur einmal im Leben – wenn überhaupt. Zwischen Hans Scharouns Philharmonie und Ludwig Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie liegt der Bauplatz am Nullpunkt des Kulturforums. Neben den beiden Diven der Moderne galt es auch der St.-Matthäus-Kirche, der Gemäldegalerie und der Staatsbibliothek – Scharouns „Berg“ auf der anderen Seite der Potsdamer Straße – genügend Respekt zu zollen.
Und Berlin macht zügig vorwärts. Ende 2014 stellt der Bundestag 200 Millionen Euro zur Verfügung für den Neubau, in dem die Kunst des 20. Jahrhunderts umfassend gezeigt werden soll, von Max Beckmann bis Jason Rhoades. Im Herbst 2015 lobte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen Ideenwettbewerb aus, um Antworten insbesondere auf städtebauliche Fragen zu finden. Doch der Ort war bereits vorgegeben, was viele zu recht kritisierten. Ein mögliches Grundstück hinter der Neuen Nationalgalerie etwa stand nicht mehr zur Diskussion. „Dieser Standort ist der richtige“, fasste Monika Grütters ihre wichtigste Erkenntnis aus dem Verfahren zusammen – und pflichte sich damit selber bei.
Die Ergebnisse aus dem Ideenwettbewerb gelten ohnehin nicht als städtebauliche Grundlage für den Realisierungswettbewerb, der Mitte des Jahres ausgelobt wird. Er war vielmehr eine Art Präqualifikation für die 460 Teilnehmer aus aller Welt, deren Beiträge noch bis 13. März 2016 im Kulturforum ausgestellt sind. Entsprechend hat die Jury auch keine Ränge vergeben, sondern zehn gleichwertige Projekte ausgewählt. Die Urheber sind für den kommenden Wettbewerb gesetzt, weshalb ihre Namen den Projekten nicht zugeordnet werden, um die Anonymität zu wahren. Hinzu kommen weitere Büros, die sich über einen Teilnehmerwettbewerb qualifizieren können, und acht bis zwölf gesetzte Schwergewichte der Branche. Insgesamt werden schließlich 40 bis 60 Büros antreten, bis Ende des Jahres soll der Sieger feststehen.
„Diese Beiträge verstehen sich als Ideen und nicht als Beispiele, die sich zu einer direkten Realisierung eignen“, meinte der Architekt und Juryvorsitzende Arno Lederer. Insbesondere die jungen Architekten konnten also aus dem Vollen schöpfen, um diesen Gordischen Knoten zu bebauen, um das Vakuum durch einem Magneten zu ersetzen. Doch funkensprühenden Erfindergeist muss man lange suchen. Neben Scharouns Schwung und Miesʼ Geradlinigkeit sehen viele nur eine Lösung: Die Versenkung. Fast alle der zehn prämierten Entwürfe graben sich mehr oder weniger tief in den Boden ein. Der Jury fehlte offensichtlich der Mut, denn an den Teilnehmern lag es nicht. Unter den 450 nicht prämierten Arbeiten findet sich alles, was man sich vorstellen kann: Hochhäuser und Hügel, unterirdische Einschnitte und Blobbs, Mittelrisalite und schiefe Wände. Vieles davon ist nicht baubar, das stimmt. Und doch hätte die Jury locker das Maximum ausschöpfen und zwanzig Arbeiten auszeichnen können.
Stattdessen setzte das Preisgericht zehn Mal auf städtebauliche Diskretion, in allen möglichen Varianten. Viele schließen die Potsdamer Straße mit einem Riegel ab und öffnen den Platz dahinter zur Kirche, etwa Projekt 1358 (Seite 10). Mal knickt ein Riegel L-förmig ab oder umschließt den ganzen Platz zu einem Hof, wie bei Projekt 1361 (oben rechts). Doch den zaghaften Volumen fehlt es an städtebaulicher Kraft, um neben den beiden Ikonen bestehen zu können.
Zwei Projekte entwickeln ihre Stärken aus der Unterwelt heraus. Die Architekten der Arbeit 1281 (Seite 11) schlagen erst gar keinen Hochbau, sondern eine Gebäudelandschaft vor. Aus rechteckigen Terrassen bauen sie eine begehbare Struktur, die einen vermittelnden Teppich zwischen den Ikonen bildet. Die Plattformen können zudem als „offene Interaktionsflächen“ verstanden werden, wie sie die Ausloberin gefordert hatte. Die Teilnehmer mit der Nummer 1115 (Seite 12) hingegen entwerfen ein Schaulager, in dessen unterirdisches Foyer man über Rampen gelangt, die das Haus durchschneiden.
Nur wenige Arbeiten wagen es, oberirdisch ein Zeichen zu setzen. Das Projekt 1300 (oben Mitte) sieht ein eingeschossiges Volumen vor, aus dem eine schmale Turmscheibe ragt. Diese verortet  das Museum mit einer Leuchtschrift zwischen Philharmonie und Neuer Nationalgalerie. Bei Entwurf 1031 (unten) stehen vier Baukörper eng nebeneinander, von denen einer sechs Geschosse hoch aufstrebt. Ein wuchtiger Kubus, der den Kammermusiksaal gar überragt und die Vertikale für überhohe Räume nutzt.
Bei den meisten Projekten sucht man aber vergeblich eine starke Entwurfsidee, die auch im Inneren distinkte Qualitäten entwickelt. Die Architekten folgen stur den Konvention im Museumsbau, will heißen: weiße, neutrale Boxen. Nur nichts falsch machen, scheint die Devise gewesen zu sein. Hans Scharoun würde wohl den Kopf schütteln ob so viel Ehrfurcht. Er selber hatte für die Parzelle ein Gästehaus vorgesehen, das einer Treppe ähnlich markant nach oben ansteigt. Zu viel Zurückhaltung kippt an so einem architekturgeschichtsträchtigen Ort schnell in falsche Bescheidenheit. Den Teilnehmern – und den Juroren – möchte man darum für den Realisierungswettbewerb raten: Getraut euch was!  
Offener Ideenwettbewerb
je ein Preis (26.000 Euro):
Arga16, Berlin; mit Anne Wex, Berlin
Beatriz Alés + Elena Zaera, Castelló (ESP)
Choe Hackh Netter Architekten, Frankfurt am Main;
mit Park Design Kejoo Park, Seoul
Pedro Domingos arquitectos/Pedro Matos Gameiro arquitecto, Lissabon; Baldios arquitectos paisagistas, Lissabon
Dost Architektur, Schaffhausen (CH); mit Bösch Landschaftsarchitektur, Schaffhausen
Heinle, Wischer und Partner/Freie Architekten, Berlin; mit Heinz W. Hallmann Landschaftsarchitekt, Aachen
Florian Hoogen Architekt, Mönchengladbach; mit Hermanns Landschaftsarchitektur/Umweltplanung, Schwalmtal
Shenzhen Huanhui Design, Nanshan (CHN); mit Bejing Changyi Best Landscape Design, Beijing
Topotek 1, Berlin
ARGE Weyell Zipse Architekten/Hörner Architekten, Basel; mit James Melsom Landschaftsarchitekt, Basel
Fachjury
Roger Diener, Undine Giseke, Heike Hanada, Arno Lederer (Vorsitz), Hilde Léon, Till Schneider, Enrique Sobejano

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