Street Art im Museum?
Eine Ausstellung in Bologna wirft Fragen auf, die auch in Deutschland diskutiert werden sollten
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Street Art im Museum?
Eine Ausstellung in Bologna wirft Fragen auf, die auch in Deutschland diskutiert werden sollten
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Berlin-Kreuzberg, Dezember 2014: Von einem Tag auf den anderen war eine der Hauptsehenswürdigkeiten des Bezirks verschwunden. In der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember war das 2007/2008 entstandene, brandwandfüllende Bild des italienischen Künstlers Blu an der Cuvrystraße nahe dem Schlesischen Tor mit schwarzer Farbe übermalt worden – mit Einverständnis des Künstlers. Die Akteure des Berliner Kunstvereins Artitude um den Kulturwissenschaftler Lutz Henke wollten damit auf die immer schwierigeren Bedingungen für die unabhängige Kunst- szene in Berlin aufmerksam machen.
Die Bühne bzw. Leinwand dafür war klug gewählt: Blus „Handschellenmann“ mit seinen beiden goldenen Armbanduhren und die beiden „Maskenmänner“ unter dem schon vorgefundenen Graffito „Reclaim your city“ waren ein in etlichen Reiseführern vermerktes, auf zahlreichen Ansichtskarten verbreitetes Symbol für eine Epoche, deren Ende schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung absehbar gewesen war: die Ära des Aufbruchs und Experimentierens in den unzähligen Freiräumen der wiedervereinigten Stadt. Noch in den Monaten vor der Übermalung waren per Online-Petition 7000 Unterschriften für den Denkmalschutz des ikonographischen Bildes gesammelt worden.
Die Ausstellung „Street Art – Banksy & Co. L’arte allo stato urbano“ im Palazzo Pepoli, dem Stadtmuseum von Bologna, wirft auf dieses Bild und seine Historie zwar keinen Blick, hat aber eine quasi spiegelbildliche Geschichte dazu zu erzählen: Im Mittelpunkt stehen nämlich zwei andere Wandbilder von Blu, die dieser 2003 und 2006 in Bologna gemalt hat, auf den Wänden der aufgelassenen Firmengelände von Cevolani und Casaralta. Längst ist auf beiden Brachen Neues geplant, werden die Hinterlassenschaften des Industriezeitalters beseitigt. Anders als die Berliner Brandwandbilder aber wurden die zwei Bologneser Bilder von Blu für die Nachwelt gerettet und hängen nun, nicht nur für die Sonderausstellung, sondern wohl auf Dauer, im Atrium des Palazzo, mitsamt der Oberfläche, auf der sie entstanden sind. Wie sie dort hingekommen sind, zeigt ein fünf Minuten langer Film in der Ausstellung, der ihre Translozierung mit Hilfe einer jahrhundertealten Technik dokumentiert.
„Nie, niemals dürfe ein Kunstwerk zerstört werden“, so Restaurator Camillo Tarozzi, einer der „Retter“ der beiden Bilder, schon gar nicht eines, das er zu den bedeutendsten Kunstwerken Bolognas der letzten hundert Jahre zählt. Wobei die Diskussion in Bologna eine ganz andere sei als in Berlin: In der Hauptstadt der Region Emilia werde nicht etwa über die Folgen und Begleiterscheinungen der Gentrifizierung debattiert, also über Fragen der Stadtentwicklung im Ganzen, die sich am Umgang mit der Street Art festmachen lassen, sondern lediglich über die Frage, ob die Wandbilder denn überhaupt aus ihrem baulich-urbanen Kontext entfernt werden durften und nicht bereits damit ihrer eigentlichen Aussagekraft beraubt worden sind. Und auch darüber, ergänzt Luca Ciancabilla, einer der Kuratoren der Ausstellung, wer über den Umgang mit Graffiti und damit über ihre Zukunft entscheidet: der Künstler, der die Musealisierung seiner Bilder vielleicht gar nicht wünscht? Der Investor, der die Entwicklung einer Brachfläche vorantreibt und sich anschließend der Bewahrung der am Ursprungsort verlorenen Werke rühmt? Der private Sammler, der dafür zu zahlen bereit ist? Fragen, die sich bei der Musealisierung dieser Kunstform unweigerlich stellen, nicht nur in Bologna.
New Yorker Exkurs
Diese Fragen stehen im Zentrum der Schau, die beiden Bilder von Blu bilden ihr Herz – der Großteil des Ausstellungskörpers aber kommt aus New York. Er findet sich im zweiten Obergeschoss des Palazzo Pepoli, in der Sala della cultura: Als eine Art „Ausstellung in der Ausstellung“ ist hier unter dem Titel „La città trasformata“ ein Teil der Street-Art-Sammlung des New Yorker Künstlers Martin Wong zu sehen, die unter dem Titel „City as Canvas“ 2014 im Museum der Stadt New York zu sehen war. Wong, 1999 verstorben, hatte seit den achtziger Jahren die Street-Art-Szene seiner Stadt dokumentiert, gesammelt und publiziert. Writings und Graffiti von prägenden Akteuren finden sich darunter, etwa von Keith Haring, dessen Handschrift längst auch in anderen Kunst- und Kommerzkontexten präsent ist.
In Bologna ist den Werken eine überaus kontrastreiche Inszenierung zuteil geworden, bei der die raue, bunte, schnelle Kunst der postmodernen Metropole auf den historischen Rahmen des Palazzo und die hier ausgestellten Barock-Terrakotten berühmter Bologneser Frauen trifft – mit einer Wirkung, deren Wucht jene Frische beschwört, die die Werke einst in den von Niedergang geprägten New Yorker Stadtraum brachten.
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