Bauwelt

Verzaanung



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Roel Backaert

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Wenn der Delfter Architekt Wilfried van Winden von „Fusionarchitectuur“ spricht, meint er die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart, die Mischung aus Hoch- und Popkultur. „Kein Stil, sondern eine Haltung, eine Strategie der offenen Geste, die keine Tabus akzeptiert.“ In Zaandam ist daraus ein bodenständiges Spektakel entstanden.
Die deutsch-niederländischen Beziehungen sind so gut wie lange nicht mehr. In Mannheim prüft die Duden-Redaktion, wie sich das Wort „Feierbiest“, erfunden von FC-Bayern-Trainer Louis van Gaal, in den deutschen Wortschatz integrieren lassen könnte. Im Gegenzug haben sich mehrere niederländische Fußballfans verpflichtet, beim Absingen ihrer Nationalhymne („Wilhelmus van Nassouwe, ben ik, van Duitsen bloed“) das Unbehagen erzeugende D-Wort künftig nicht länger durch Rülpsgeräusche zu ersetzen. Auch Bauschaffende sollten diese Entspannungsphase nutzen, um sich einen frischen Eindruck von der jeweils anderen Seite zu verschaffen. Wir blicken deswegen nach Zaandam, wenige Kilometer nördlich von Amster­dam gelegen. Dort ist ein neues Hotel eröffnet worden, das man wohl als gebautes Feierbiest bezeichnen darf. Der Architekt Wilfried van Winden, der das Windmühlige schon durch seinen Namen ausdrückt, hat dafür ein einprägsames, wenn auch nicht neues Bild gefunden: den Häuserstapel. Das konzeptionelle Stapeln von allem Möglichen ist in unserem Nachbarland beliebt, denn tragfähiger Untergrund ist knapp. In Zaandam kommt aber noch etwas anderes hinzu. Bereits in den 1960er Jahren wurden etwas weiter Zaan-abwärts, in Zaanse Schans, 19 traditionelle Wohnhäuser und Scheunen aus der Region zusammengetragen, um sie vor dem techni­schen Fort-schritt zu retten. Das so entstandene Freiluftmuseum ist ein Besuchermagnet, bildet es doch im Verbund mit zahlreichen Windmühlen eine Art Holland-Konzentrat für Durchreisende. Vor diesem Hintergrund erscheint der collagierende Ansatz der Hotelbetreiber in Zaandam geradezu zwingend. Im Inneren der 160 Zimmer werden die Gäste durch Schreinerarbeiten und Wanddekorationen mit der Geschichte der Stadt vertraut gemacht, die im 16. und 17. Jahrhundert ein Zentrum des Schiffsbaus war. Zar Peter der Große reiste 1697 inkognito hierher, um die damalige Hochtechnologie zu studieren (was Albert Lortzing 140 Jahre später zu der komischen Oper „Zar und Zimmermann“ inspirierte). Die Fassaden der Holzhäuser, die in diesem Hotelbau zitiert sind, waren einst entweder ge-teert oder in unterschiedlichen Grüntönen gestrichen, wobei die Farbsättigung – Pigment war teuer – dezente Hinweise auf den Reichtum des jeweiligen Hausbesitzers gab; bei der Zimmerkategorie spielte dieser Aspekt nun keine Rolle mehr. Im Zuge der guten nachbarschaftlichen Beziehungen warten wir hierzulande auf Franchise-Nehmer, die Neukonfigurationen von Worpswede, Sylt oder Hombroich in Auftrag geben.



Fakten
Architekten van Winden, Wilfried, Delft
aus Bauwelt 21.2010

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