Bauwelt

Widerständiges Scheitern

Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt die ironisch-künstlerischen Arbeiten des Bildhauers Erwin Wurm

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Absurdes Aufbegehren gegen normative Konventionen: Museumsdirektor Ralf Beil demonstriert eine "one minute sculpture"
    Foto: Bettina Maria Brosowsky

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    Foto: Bettina Maria Brosowsky

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    Erwin Wurm: Curry Bus. Fett und seiner ursprünglichen Funktion entledigt wird ein VW-Kastenwagen zur Frittenbude
    Foto: Marek Kruszewski ©VG Bild-Kunst, Bonn 2015

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    Erwin Wurm: Curry Bus. Fett und seiner ursprünglichen Funktion entledigt wird ein VW-Kastenwagen zur Frittenbude

    Foto: Marek Kruszewski ©VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Widerständiges Scheitern

Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt die ironisch-künstlerischen Arbeiten des Bildhauers Erwin Wurm

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Großen Katastrophen lässt sich auf mehrerlei Weise begegnen. Eine besteht darin, in kritischer, bestenfalls ironischer Distanz zum Geschehen produktive Kräfte freizusetzen, um dessen Absurdität nachzuweisen. Das ist das Mittel der Kunst – und einer aufgeklärten Wissenschaft. Eine widerborstige Spielart dieser Weltbewältigung wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Österreich gepflegt, mit Epizentrum in Wien. Nicht ohne guten Grund entstand hier rund um den Zusammenbruch der k.u.k.-Monarchie und eines bigotten Katholizismus’ Sigmund Freuds Psychoanalyse. Und Ludwig Wittgenstein dekonstruierte die Sprache als ein Zeichensystem, das meist vor den Sachverhalten der Wirklichkeit versagt. Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen, lautete seine zum Aphorismus verkommene These.
Der Wiener Bildhauer Erwin Wurm, Jahrgang 1954, steht in dieser diagnostischen Tradition. Eine Krise seines Lebens etwa führte zur Erfindung der one minute sculpture: In einem festgelegten Ritual wird der Rezipient selbst für eine Minute Bestandteil einer performativen Prozedur, der starre Begriff der Skulptur um eine interaktive Komponente erweitert. Derartiges erwartet einen nun im Kunstmuseum Wolfsburg, das Erwin Wurm zu einer großen Werkschau eingeladen hat, die er in der 16 Meter hohen Ausstellungshalle und auf dem zugigen Hollerplatz vor dem Museum absolviert.
Hier steht schon der erste eye-catcher, der gut fünf Meter lange, gelbe Curry Bus. Das für Wolfsburg geschaffene Werk gehört in Wurms Reihe der fetten Autos, die in ihrer adipösen Anomalie selbst vormals rasante Schlitten zur vollkommenen Immobilität verdammen. Die Idee, in dem VW-Oldie, einem Kastenwagen anno 1975, der bezeichnenderweise aus gewerblicher Nutzung in Griechenland aufgetrieben wurde, nun eine Frittenbude für die originale VW-Currywurst einzurichten, mag etwas platt anmuten. Die Wolfsburger jedoch scheinen diesen Humor zu mögen: Azubis und Ruheständler haben im Werk dieses Monstrum in monatelanger Arbeit bereitwillig geschaffen.
Im Inneren des Museums überzeugt dann, wie souverän Erwin Wurm mit der Architektur der Halle umzugehen versteht. Während vorherige Ausstellungen oft aufwendige Raumeinbauten auffuhren, um dem Horror Vacui dieses Unortes zu begegnen, vertraut Wurm auf die Kraft von Form und Idee seiner Objekte. Aber auch ihrer Unform, wie eine aus der Wand wachsende Riesenkartoffel beweist oder der fingierte Kaminofen in Gestalt einer voluminösen Schwedenbombe, das ist Österreichisch für Schokokuss. Unter den rund 45 Objekten der Ausstellung sind manch Klassiker Wurms, etwa die Serie körperlicher (De-) Formationen. Da ist das Beinpaar, dessen offenes Bauchrund ein Ausgussbecken umschließt. Der Titel Mr. Mutt ist eine Hommage an Marcel Duchamp, der sein Readymade Fountain, das legendäre gekippte Urinal, 1917 unter dem Pseudonym Richard Mutt verfasste. Was ist der Mensch anderes, als ein Abfallsack, fragt Wurm – und was ist die mütterliche Liebe anderes als eine überdimensionale Wärmflasche auf Beinen? 2014 erstarrte sie zum großen Bronzeguss. Zur visuellen Verunsicherung gesellen sich bei Erwin Wurm auch immer die verbale sowie die gezielt partizipative, sie sind Bestandteil seiner Kunstproduktion. Wenn Museumsdirektor Ralf Beil nun flugs eine one minute sculpture auf einer funktionsentleerten Möbelassemblage Wurms demonstriert, mag das vordergründig schräger Nonsens sein. Bei genauerer Befragung offenbart sich jedoch eine tiefe Melancholie: Alle physischen, psychischen oder auch sozialen Abweichungen in Wurms Kunst sind immer auch absurdes Aufbegehren gegen normative Konventionen.
Und was hat es nun mit dem Titel der Wolfsburger Ausstellung, Erwin Wurm. Fichte, auf sich? Der zweite eye-catcher bedient die Erwartung: ein kleines Waldstück in der Halle. Es besteht allerdings aus Nordmanntannen, die riesigen Bäume sind kopfüber akkurat von der Hallendecke abgehängt. Es darf also eine andere gedankliche Auslegung als ein naives Naturzitat vermutet werden. Hier bezieht sich Wurm im verschränkenden Spiel von Wort und Objekt auf den deutschen Romantiker Johann Gottlieb Fichte (1762–1814). Auch der haderte mit der Dingwelt, sah in der Auseinandersetzung mit den Gegenständen immer die Auseinandersetzung mit uns selbst. Analog gedacht: Ein Kunstwerk entsteht nur in der Erkenntnis des Betrachters, die Welt lässt sich nur vom Standpunkt des Einzelnen aus erschauen. Erwin Wurm fordert nun, an zugewiesenen Plätzen über Fichte oder auch Tanner – wer immer das ist – zu sinnieren und legt dem Besucher das Rätsel der Erkenntnis, besser Selbsterkenntnis auf; aber die Existenz ist belanglos, das Scheitern unvermeidlich. Wer sich damit zurechtfindet, habe das große Los gezogen, so Erwin Wurm resümierend.

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