Bauwelt

Lois Weinberger

Text: Reimers, Brita, Berlin

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Lois Weinberger

Text: Reimers, Brita, Berlin

Sich auf die Monografie über den Künstler Lois Weinberger einzulassen, ist eigentümlich beglückend. Da ist zunächst die schöne lockere Gestaltung und Ausstattung des Bandes, vor allem aber sein Werk. Weinbergers häufig humorvolle Zeichnungen, Fotos, Objekte, Texte, Filme und Arbeiten im öffentlichen Raum nehmen uns mit in die lebendige Bewegung der Natur und schenken uns eine freie Haltung gegenüber ordnenden gesellschaftlichen Kräften.
Lois Weinbergers künstlerische Arbeit ist vor allem geprägt von seiner Kindheit und Jugend auf dem elterlichen Bauernhof in Tirol, wo er 1947 geboren wurde. Der junge Lois sammelt Pflanzen, zählt die Beine von Käfern und kocht Tierköpfe aus. Später beschäftigt er sich mit den Bräuchen und Riten des Dorfes, um zu verstehen, wie Natur und Kultur ein symbiotisches Verhältnis eingehen. Bereits der Vater hatte seinen Hof nicht nur als ökonomischen Betrieb angesehen, wenn er Herbarien mit Feldpflanzen anlegte. Und Feldpflanzen werden zum zentralen Gegenstand der künstlerischen Arbeit Weinbergers. Den „Feldarbeiter“ fasziniert die Brache, die Peripherie, die urbane Lücke. Über einen langen Zeitraum von 1988 bis 1999 beobachtete er in seinem „Gebiet“ am Stadtrand von Wien Ruderalpflanzen, brachte Pflanzen von anderen Brachen ein, vermehrte sie und setzte sie wieder aus. Einige von ihnen brachte er 1997 im Rahmen der documenta X zwischen den Bahngleisen im Hauptbahnhof in Kassel ein.
So wie solche Pflanzungen als poetische Orte der Möglichkeiten Gegenentwürfe zu herrschenden Hierarchien und Ordnungssystemen sind, stellen auch seine kartografischen Arbeiten die Welt auf den Kopf. Nicht das detaillierte Totalitätsprinzip von Kartografen findet sich bei Weinberger, sondern z.B. ein am Stadtrand von Hannover orientiertes Sprachbild mit wenigen Wegen und locker auf der Fläche verteilten Pflanzennamen, eine planvolle und zugleich assoziative Stadtwanderung aus anderer Perspektive. Pflanzennamen sind häufig auch Ausgangspunkt für kleine poetische Texte, die wie Samen verwehen. Und sieht man einen im urbanen Umfeld abgestellten Bauwagen mit dem Schriftzug „Wegwarte“ so muss man lachen.
Weinbergers Werk, das die Anfang der 90er Jahre neu aufkommende Debatte über Kunst und Natur bis heute maßgeblich mitbestimmt, ist auch für Landschaftsarchitekten in hohem Maße anregend. Gegenüber anderen Lösungen, die Spontanvegetation in urbane Räume einbeziehen, zeichnen sich Weinbergers Gebiete dadurch aus, dass sie den Wildwuchs und dessen Entwicklung lenken und den Betrachter am Werden und Vergehen teilhaben lassen. Das geschieht durch Kanäle und Einfriedungen.
Eines der „perfekt provisorischen Gebiete“ entstand 1992/93, als Weinberger in der Innenstadt von Salzburg anlässlich der Festspiele ein Stück Asphalt aufriss, einfriedete und nach einer Initialpflanzung sich selbst überließ. Bei einem 1998/99 in Innsbruck installierten Stahlkäfig überließ er die Aufforstung der Spontanvegetation in Verbindung mit Abfällen, die sich im Laufe der Zeit ansammeln würden. Aus vehementen Protesten wurde ein Forschungsprojekt der Universität, und die Bevölkerung beobachtet inzwischen interessiert die Veränderungen im „Wild Cube“ mit seinen Bäumen, die ihre Äste durch die Gitterstäbe strecken, ähnlich wie bei „Cut“, einem 100 Meter langen Kanal, der diagonal über einen gepflasterten Platz verläuft. Auch die Gestaltung des Dachgartens der Bibliothek des Wiener Rathauses (2004) auf rhizomartigen Kanälen, die mit Erde gefüllt sind, vertraut auf die darin befindlichen Samen, auf Flugsamen und auf Vögel. Dem Nicht­berechenbaren, dem Unkalkulierbaren, gibt Weinberger auch Raum, wenn er zur Umgestaltung eines Müllbergs in ein Freizeitgelände für Tel Aviv vorschlägt, den Status quo zu belassen. Bäume und Sträucher würden der natürlichen Sukzession folgen, Wege und Plätze des Aufenthaltes sich durch die Benutzer ergeben. Landschaftsarchitekten sollten die natürliche Selbstgestaltung später behutsam ausbauen. Wenn der Umgang mit der Natur ein Spiegelbild des Menschen ist, so ist Weinberger ein Gelassener, der alles gewähren lässt, allem die gleiche Chance gibt: ein Demokrat. 
Fakten
Autor / Herausgeber Philippe van Cauteren (Hrsg.)
Verlag Hatje/Cantz
Zum Verlag
aus Bauwelt 26.2013
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