Kersten + Kopp und das Haus der Jugend
Debüt Nr. 08
Text: Meyer, Friederike, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin
Am Ende des Fußwegs vom S-Bahnhof Wilhelmsburg durch die Großsiedlung leuchtet rot und grün ein neuer Magnet in Hamburgs Jugendarbeit. Das ambitionierte Projekt ist ein politisches Statement.
Kirchdorf liegt an der Grenze des Stadtteilzentrums von Hamburg-Wilhelmsburg am Bertha-Kröger-Platz. Inmitten der gestalterisch unbehandelten Umgebung zieht das neue Haus der Jugend mit seinen kräftigen Farben und vielen Details die Blicke auf sich. Während im Inneren Handwerker noch mit Restarbeiten beschäftigt sind, bleiben vor dem Bauzaun immer wieder Jugendliche stehen, die die Eröffnung des Gebäudes offenbar kaum erwarten können. Ihre neugierigen Blicke verfolgen uns beim Gang durch das Gebäude. Denn die mannigfaltigen Blickbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Bereichen im Inneren einerseits und Innen und Außen andererseits prägen das Erlebnis dieser räumlichen Wundertüte. „Wissen, wo die anderen sind“, sei ein Leitmotiv für den Entwurf gewesen, erzählt Architektin Minka Kersten.
Fünf Jahre nach der Juryentscheidung des Wettbewerbs steht das Haus der Jugend als „Ankündigungsprojekt“ der Internationalen Bauausstellung 2013, die die Elbinsel als Nachbarn der HafenCity aufwerten will, im Blickpunkt: Aufschwung durch Bildung, haben sich die Verantwortlichen auf die Fahne geschrieben. Eins ist schließlich offensichtlich: Durch Gentrification wird sich dieser Teil der Stadt trotz HafenCity kaum wandeln, dafür ist seine bauliche Struktur schlichtweg ungeeignet. ub
Was wussten Sie von Wilhelmsburg, als Sie den Wettbewerb für das neue Haus der Jugend bearbeitet haben?
Minka Kersten | Wilhelmsburg ist eine Elbinsel mit landschaftlich schönen Uferkanten, aber zerschnitten von Verkehrstrassen und geprägt von einer sehr heterogenen Bebauung. Das Haus der Jugend liegt in einer Parkanlage neben einer Kirche; gegenüber die Großsiedlung aus den frühen 70er Jahren, im Rücken eine Einfamilienhaussiedlung aus den 50ern.
Haben Sie die Jugendlichen kennen gelernt, für die Sie geplant haben?
MK | Wir haben einige Jugendliche bei der Preisverleihung des Wettbewerbs kennengelernt, andere während der Bauphase. Alle waren offen und neugierig. Klar, es gibt Cliquen und Banden, aber das haben wir nicht so mitbekommen.
Was ist das Haus der Jugend?
Andreas Kopp | Die Jugendlichen treffen sich dort nach der Schule. Für manche ist es eine zweite Heimat. Wilhelmsburg ist ein benachteiligter Stadtteil mit großer Arbeitslosigkeit, hohem Ausländeranteil. Das Haus der Jugend spielt eine besondere Rolle. Es geht darum, mit dem Neubau die Jugendlichen, die überhaupt nicht mehr erreichbar sind von den Bildungsinstitutionen, anzulocken und wieder zu integrieren.
MK | Wir haben viele Sitzungen im alten Haus der Jugend abgehalten – ein eingeschossiges Holzhaus, das jetzt abgerissen wird. Es liegt versteckt im Park. Uns war es wichtig, dass die Jugendlichen mit dem neuen Haus im Stadtraum präsent sind.
Wie haben Sie das erreicht?
AK | Wir haben den Neubau direkt an der Straße platziert. Es gab schon ganz zu Beginn die Idee, die Skate-Rampe am Haus und damit für alle Passanten sichtbar anzuordnen. Ebenso das Außensportfeld: Es hätte auch im hinteren Bereich des Grundstücks liegen können. Nach und nach haben sich dann alle Nutzungen zu einem einzigen komplexen Gebäude gefügt.
Jugendliche wollen vielleicht gar nicht vor allen spielen und skaten, sondern sich eher zurückziehen?
MK | Es gibt nicht nur die Skate-Rampe. Die beiden Sporträume, die um ein Geschoss versetzt zueinander sind, und die anderen Ebenen haben jeweils einen eigenen Charakter. So gibt es das Musikstudio, den Werkstattbereich mit Ausblick in den Park und den Lern- und Arbeitsbereich über dem Außensportfeld, da herrscht eine ganz andere Stimmung. Das Gebäude ist räumlich vielfältig. Wenn man sich darin bewegt, gibt es immer neue Blickbeziehungen, die überraschen und durch das Haus führen.
Das Gebäude wirkt wie ein großes Sportgerät, das einlädt, in Gebrauch genommen zu werden: Kommt, saust die Rampe runter, klettert den Berg hinauf, spielt Ball, scheint es zu rufen. Wäre das Gebäude für Blankenese geplant gewesen, hätten Sie es dann weniger laut formuliert?
MK | An einem anderen Standort sähe das Haus sicher anders aus; aber wenn es das gleiche Programm hätte, wäre es ebenfalls bespielbar.
AK | Einerseits hatte die Wettbewerbsauslobung einen „Leuchtturm“, also eher ein „lautes“ Gebäude gefordert. Andererseits ist die Umgebung ziemlich rau und unfertig, zum Teil auch kaputt. Deshalb haben wir robuste Materialien verwendet, z. B. Stahlwalzprofile für die Handläufe. Solche Details hätten wir in einem anderen Umfeld sicher anders gelöst.
Ins Auge stechen das kräftige Grün und Rot der Architektur. Wie kamen Sie zu dem Farbkonzept?
AK | Wir wollten die Dynamik der Gebäudeskulptur unterstützen, indem die „Sporträume“ durch kräftige Farben hervorgehoben werden.
MK | Im Innenraum sollte das Haus aber nicht rot und grün angemalt sein, sondern Materialfarben haben. Daher ist es innen gar nicht farbig, nur sieht man durch die vielen Durchblicke immer wieder die Farbe, die von außen hinein leuchtet.
Gab es zu irgendeiner Zeit Skepsis gegenüber ihren Ideen?
MK | Es gab den Klassiker „Wieso ein Flachdach?“, aber den hat man bei jedem Projekt.
Das alte Haus hat doch auch ein Flachdach.
AK | Aber da regnet es rein. Als wir die zuständige Mitarbeiterin von der Bauunterhaltung mit einem Muster von dem extra stärker geplanten
Foliendach überzeugen wollten, klappte sie plötzlich den Korkenzieher aus ihrem Taschenmesser und bohrte ihn durch das Muster. Wir waren nicht schlagfertig genug, um ihr zu entgegnen, dass es selbst in Wilhelmsburg keine Korkenzieher regnet. Wir haben sie trotzdem überzeugt.
MK | Das Bauamt hat dieses Projekt von Anfang an intensiv begleitet. Die Behörde baut die Jugendhäuser normalerweise selbst und weiß genau, wo die Defizite sind. Die IBA 2013 brachte zusätzlichen Ehrgeiz, obwohl das Haus der Jugend kein offizielles IBA-Projekt ist, sondern ein „IBA-Ankündigungsprojekt“.
Die IBA hat Bildung zu einem Schwerpunkt gemacht. Inwiefern hat das Gebäude den Anspruch, seine Benutzer zu bilden?
AK | Die Aggression, die es im Stadtteil gibt, entsteht aus einem Minderwertigkeitsgefühl, aus dem Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Als das Haus fast fertig war, hat ein Junge gesagt: „Das gibt’s ja gar nicht, das ist viel zu toll für uns“, und ein anderer hat gefragt: „Stimmt das, dass es das coolste Haus der Jugend in Europa ist?“ Da haben wir den Stolz darauf gespürt, sagen zu können: „Das ist unser Haus hier!“
Welche Rolle hat Vandalismus in der Planung gespielt?
MK | Über die großen Glasflächen im Erdgeschoss z. B. haben wir viel mit den Bauherren diskutiert. Der Hochbauamtsleiter hat uns bestärkt, das Haus sei in diesem Punkt ein Experiment. Wir hoffen, dass die Jugendlichen den Wert erkennen und „ihr“ Gebäude vor Beschädigung schützen.
Sie hatten einen guten finanziellen und politischen Background. Bei den meisten sozialen Projekten ist das nicht der Fall.
AK | Die Stadt Hamburg will Wilhelmsburg stärken, denn der Stadtteil wird der Vorgarten der HafenCity, je mehr diese sich nach Osten entwickelt. Das soll aber nicht über Gentrification geschehen, sondern mit den derzeitigen Bewohnern, für die Bewohner. In Wilhelmsburg macht ein neues Museum keinen Sinn – wohl aber ein Projekt für Jugendarbeit.
Inwiefern würden Sie das Haus der Jugend als Ihr Debüt bezeichnen?
MK | Wir haben über Jahre viele Preise und Ankäufe bei Wettbewerben erhalten. Aber das Haus der Jugend war unser erster 1. Preis. Obwohl wir bereits andere Gebäude realisiert haben, ist es daher unser Debüt, gewissermaßen unser erstes Baby.
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