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„Bei uns versammeln sich momentan die streitbaren Geister der Stadt“

Interview mit Joanna Mytkowska, Direktorin des „Muzeum Sztuki Nowoczesnej“

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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„Bei uns versammeln sich momentan die streitbaren Geister der Stadt“

Interview mit Joanna Mytkowska, Direktorin des „Muzeum Sztuki Nowoczesnej“

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Joanna Mytkowska, Direktorin des Museums für zeitgenössische Kunst in Warschau, zur Zukunft ihres Hauses nach dem Aus für das Neu­bauprojekt von Christian Kerez
Joanna Mytkowska, in den vergangenen sieben Jahren war Ihr Museum an immer anderen Orten zu Gast. Jetzt die erste Ausstellung im eigenen Haus: Sind Sie zufrieden?
Natürlich ist es schön, endlich eine eigene Adresse zu haben. Aber das ehemalige Möbelhaus EMILIA ist uns nur für vier Jahre zugesagt, und neuerdings steht sogar diese Frist infrage. Wir haben gute Presse, schon in der ersten Woche kamen an die zehntausend Besucher. Nun fürchtet der Investor, dass sich das Museum so fest etabliert, dass er es nicht wie vorgesehen durch noch einen Wolkenkratzer ersetzen kann. Er versucht, uns zu kündigen.

Droht also der nächste Verlust für die Nachkriegs­moderne in Warschau?
Seit dem Abriss der Großkaufhalle SUPERSAM bedarf die Architektur des Wiederaufbaus dringend der Verteidigung, darin sehe ich unsere kulturelle Pflicht. Aber leider – wir sind nicht die idealen Retter für dieses Haus. Wir beschäftigen uns mit Kunstwerken, die entsprechende Raumanforderungen stellen. Uns nutzen riesige Glasfassaden nichts. Grafik oder Fotografie können wir hier gar nicht zeigen, die brauchen Kunstlicht, Klimatisierung. Es gibt weder Depots noch ein Auditorium. Alle Installationen sind noch original 60er Jahre, teilweise in katastrophalem Zustand! Bis auf ein paar Reparaturen stehen die eigentlichen Umbauten noch aus. Ich fürchte aber, dass man mit dem, was ein Museum braucht, die Sub­stanz des Denkmals zerstört: seinen Geist. Deshalb könnte ich mir bessere Nachnutzer für das EMILIA vorstellen – das Warschauer Architekturzentrum etwa, eine noch junge Initiative, die sich dem Erbe des Wiederaufbaus widmet. Als Kunstmuseum können wir nur auf eins setzen: ein neues Haus.

Wie realistisch ist ein neuer Wettbewerb?
Das hängt davon ab, was man aus dem alten aus dem Jahr 2007 lernt. Der ist an unzureichender Vorbereitung gescheitert. Aber auch das Raumprogramm war völlig überdimensioniert. Aus städtebaulichen Gründen hatte man 30.000 Quadratmeter gefordert, dabei würden 15.000 völlig reichen – immer noch das Dreifache dessen, was wir jetzt im EMILIA haben. Christian Kerez kann nichts dafür, er beklagt sich zu Recht, denn er ist schlechtem Management seitens der Stadt zum Opfer gefallen. Ich habe nun vorgeschlagen, einen Spezialisten mit internatio­naler Museumserfahrung hinzuzuziehen und hoffe sehr, dass das neue Verfahren im kommenden Jahr reibungslos über die Bühne geht.

Bis irgendwann ein Neubau steht, nutzen Sie das EMILIA als Probebühne ...

Für die Kulturszene Warschaus ist das Haus ein Riesengeschenk! Hier lässt sich wunderbar demonstrieren, wie Kunst sich in die Probleme der Zeit einmischen, was sie an kritischem Gewicht entfalten kann – eine wichtige Erfahrung für die polnische Gesellschaft. Wenn man uns die versprochene Zeit lässt, werden wir uns darauf einstellen, entsprechende Formate entwickeln, Events anbieten.

Ihr Museum untersteht zur Hälfte der Stadt. Ist es da ratsam, sich mit einem so brisanten Thema wie „Reklame“ auf Konfliktkurs zu begeben?
Es ist nicht unsere Aufgabe, uns mit der Obrigkeit gut zu stellen. Ich glaube fest an die Rolle und Kraft der Öffentlichkeit, und zu deren zentralen Interessen gehört die Wahrung eines kulturvollen Stadtbildes. In Warschau herrscht in dieser Hinsicht völlige Konfusion, die Leute fragen sich, wem die Stadt eigentlich gehört. Hierzu bieten wir Aufklärung,
versuchen Zusammenhänge zu erhellen, stellen internationale Alternativen vor. Wir suchen nicht den Konflikt, sondern die Debatte. Vielleicht wirkt „Stadt zum Verkauf“ ein bisschen populistisch, aber so ist nun mal die Lage. Bei uns versammeln sich momentan die streitbaren Geister der Stadt. Dieses Haus hat gute Chancen, den Kulturbegriff der Warschauer nachhaltig zu verändern.

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