Rotterdam Groot
Een Nieuw Perspectief
Text: Avermaete, Tom, Delft
Rotterdam Groot
Een Nieuw Perspectief
Text: Avermaete, Tom, Delft
In Rotterdam zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab. Nicht der Masterplan, sondern einzelne Großbauten bestimmen die Entwicklung der Stadt. Drei aktuelle Beispiele zeigen, dass auch der öffentliche Raum davon profitieren kann: die gigantische Markthalle von MVRDV, der Drei-Türme-Komplex „De Rotterdam“ von OMA und der neue Hauptbahnhof von Team CS. Die Großprojekte stehen für ein Verständnis von Stadt, das alte Grabenkämpfe zwischen Modernisten und Traditionalisten überwinden könnte – aber auch Probleme nach sich zieht
Eines der interessantesten, aber viel zu schnell in Vergessenheit geratenen Konzepte der Stadtentwicklung ist die Città per parti, die „Stadt der Teile“. Der italienische Architekt Carlo Aymonino formulierte es 1973 anlässlich seiner Planung des römischen Einkaufszentrums Roma Est. Die Città per parti sieht die Stadt – als Alternative zur gesamtplanerischen Vorgehensweise – nicht als ein vollständiges Bild, sondern als eine Collage großer, architektonischer Fragmente, die den gemeinsamen „genetischen Code“ einer neuen Stadt enthalten.
Aymonino war nicht der einzige, der die Stadt durch diese architektonische Linse betrachtete. In den siebziger Jahren gab es eine ganze Reihe von Architekten, die sein Konzept weiterentwickelten und präzisierten. Oswald Mathias Ungers und ein Team aus Architekten – unter ihnen Rem Koolhaas und Hans Kollhoff – verfassten 1977 das Manifest Berlin: ein grünes Archipel (Bauwelt 46.2013). Darin vertreten sie die Position, dass Großbauten der Stadt eine resistente Struktur verleihen könnten, die in der Lage wäre, dem Bevölkerungsrückgang und der damals allgemeinen Krise der Innenstädte standzuhalten. Das Team entwarf ein Archipel aus dichten „Stadtinseln“, umgeben von Grünflächen, die sich durch leerstandsbedingten Abriss nach und nach ausdehnen sollten.
Das Architekturbüro OMA präsentierte 1980 mit seinem Wettbewerbsbeitrag für die Internationale Bauausstellung in Berlin eine weitere Deutung der Città per parti. Darin beschwören Rem Koolhaas und Elia Zenghelis die Wirkung strategischer Großprojekte an bestimmten städtischen Knotenpunkten. Richtig eingebettet sollten die Gebäude als Impulsgeber die Stadt neu beleben.
Mir hat sich immer die Frage gestellt, ob der Ansatz der Città per parti, der oft nur in der Theorie durchgespielt wurde, tatsächlich in der Lage ist, Urbanität herzustellen – und als Entwicklungsmodell funktioniert? Rotterdam scheint dafür das ideale Versuchsgelände zu sein. Stadtentwicklung wurde hier in den letzten Jahrzehnten vor allem durch Großprojekte betrieben.
Europas Versuchsgelände für Großprojekte
Nach der starken Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde die Innenstadt von Rotterdam fast vollständig neu aufgebaut und geriet zum Sinnbild wohlfahrtsstaatlicher Planung. Politiker, Architekten und Planer huldigten dem Glauben, dass die Urbanität einer Stadt durch bauliche Eingriffe hergestellt werden könne. Und einige Gebäude brachten durchaus ein urbanes Straßenbild und moderne Stadträume hervor: das von Jakob Bakema entworfene Einkaufsviertel Lijnbaan, der Großbau Groothandelsgebouw am Hauptbahnhof von Hugh Maaskant und G.Thurmer, sowie die Kubushäuser von Piet Blom. Noch heute funktioniert die Lijnbaan als öffentliche Einkaufsstraße, das Groothandelsgebouw dient weiterhin als ein Hybridbau mit Büros, Gastronomie und Geschäften, und ein Teil der Kubushäuser wurde in den letzten Jahren zu einem Hostel umgewandelt.
In diese Rotterdamer Tradition der „großen Fragmente“ lassen sich zahlreiche aktuelle Architekturprojekte der Stadt einreihen. Zum Beispiel der Umbau des ehemaligen Postamtes von Rotterdam durch UN Studio, das zukünftige Stadtbüro, entworfen von OMA, oder auch der Wohnungsbau Cité von Tangram Architekten – sie alle wollen als Großbauten zum öffentlichen Leben beitragen. Besonders interessant aber scheinen mir drei aktuelle Rotterdamer Projekte: die neue Markthalle von MVRDV, der Komplex De Rotterdam von OMA, und der neue Hauptbahnhof der Bürokooperation Team CS. Sie leisten, auf unterschiedliche Weise, ihren Beitrag zur Stadt der Teile.
Die Markthalle, MVRDV
Seit 2009 wird an der Markthalle von MVRDV gebaut, dieses Jahr soll sie fertig werden. Die gigantische Halle besteht aus Bögen, die 110 Meter lang, 70 Meter breit und 40 Meter hoch sind. Ähnlich den Markthallen in südeuropäischen Ländern bietet das Gebäude von MVRDV permanenten Marktständen einen großen Raum in einer durch die Architektur geschützten Atmosphäre.
Doch das Gebäude ist mehr als eine Markthalle. Neben der Marktfläche von 2000 Quadratmetern gehören zu dem Komplex auch ein Supermarkt im Untergeschoss und eine öffentliche Tiefgarage mit rund 1100 Stellplätzen. Besonders innovativ: MVRDV bildet die Gebäudehülle so aus, dass in ihr Platz für Wohnungen und kommerzielle Nutzungen vorhanden ist. Die zwölfgeschossige Mantelbebauung soll Einrichtungen der Gastronomie, Lebensmittelgeschäfte und rund 250 Eigentums- und Mietwohnungen aufnehmen. Die Räume reichen von der Innen- bis zur Außenseite der Halle. Während sich archetypische Markthallen, wie z.B. in Paris oder Lyon, durch eine geschlossene Fassade von der Stadt abschotten, öffnet sich die Markthalle in Rotterdam durch Fenster, Türen und Ladenfronten in der Gebäudehülle zur Nachbarschaft. Indem sie sich in ihre Umgebung einbettet, steht die Halle nicht nur für ein archetypisches Gebäude im modernen Gewand, sondern auch für eine neue, offene Ordnung der Stadt. Zugleich übt sie unterschwellig Kritik am häufig bemängelten fehlenden Zusammenhang des Rotterdamer Stadtgefüges.
De Rotterdam, OMA
Eine weitere Möglichkeit, die Stadt über große Fragmente zu denken, zeigt der neue Komplex De Rotterdam, der im Viertel Kop van Zuid zwischen dem KPN-Gebäude von Renzo Piano und dem ehemaligen Kreuzfahrt-Terminal steht. Rem Koolhaas meint, die Holländer würden an einer „Tageslicht-Manie“ leiden. Deswegen seien die Hochhäuser oft schmal und monoton. Dagegen soll De Rotterdam die Möglichkeiten eines Wolkenkratzers voll und ganz ausloten. Das flächenmäßig größte Gebäude der Niederlande lässt die seit Langem bestehende Vision eines zweiten, hohen Stadtzentrums südlich der Maas Wirklichkeit werden. Auf einem riesigen Sockel mit einer großen öffentlichen Eingangshalle stehen drei Türme, die scheinbar frei nebeneinander schweben und zusammen ein komplexes Volumen bilden.
Bereits 1978, in seinem Buch Delirious New York, zeigte sich Rem Koolhaas fasziniert von dem Potenzial, das Hochhäusern für die sie umgebende Stadt innewohnt. Seine berühmte, überschwängliche Beschreibung des Downtown Athletic Club als einem dichten Stapel verschiedenster Funktionen scheint in De Rotterdam mitzuschwingen. Das Gebäude mit einer Gesamtfläche von 162.000 Quadratmetern und einer Höhe von 150 Metern birgt 72.000 Quadratmeter Bürofläche, 240 Wohnungen, ein Hotel mit 285 Zimmern, eine Garage für 670 Autos, sowie ein Kino und Konferenz- und Fitnessräume.
Ähnlich wie ein zwanzig Jahre alter Entwurf von Rem Koolhaas für einen Wolkenkratzer an der Boompjes-Straße, versucht De Rotterdam die ehrgeizige Balance zwischen dem kolossalen Maßstab eines Wolkenkratzers und einem nuancierten Erscheinungsbild zu halten. Dazu trägt die Zergliederung in unterschiedliche Baukörper bei, die die traditionelle Organisation eines Wolkenkratzers neu interpretiert. „Trotz ihrer Größe und scheinbaren Massigkeit erscheinen die zueinander versetzten Blöcke des Gebäudes ständig anders, je nach dem, von wo aus man sie betrachtet“, verspricht Rem Koolhaas.
Die Verlängerung einer Straße, die in die Eingangshalle des massiven, dreißig Meter hohen Sockels führt, der wiederum Parkgaragen, Büros wie Hotel erschließt, leitet die Öffentlichkeit förmlich in das Gebäude. Auf der Straße treffen in einem Atrium des Sockels Passanten und Besucher auf Gäste und auf diejenigen, die hier arbeiten. Gleiches spielt sich auf der Rückseite von De Rotterdam ab, wo eine frei zugängliche Hafenpromenade verläuft. Für die Hülle hat OMA eine eher unspektakuläre Lösung gewählt: eine Glasfassade mit vertikalen Pfostenprofilen aus Aluminium. Der Glasanteil, die Breite und Tiefe der Pfosten, die Boden- und Spandrillenhöhe variieren je nach der Funktion der hinter der Fassade liegenden Räume. Der Wohnturm ist mit einem System von Schiebetüren und -fenstern ausgestattet, während die unteren Büro- und Hotelgeschosse über verstellbare Fassadenelemente verfügen. Durch diese zurückhaltende, neutrale Erscheinung ergänzt De Rotterdam die typische Gestalt des hoch gebauten Rotterdams.
Rotterdam Centraal, Team CS
Täglich nutzen 110.000 Reisende den Rotterdamer Hauptbahnhof. Seine Betriebsamkeit ist mit der am Amsterdamer Flughafen Schiphol vergleichbar. 2025 soll Rotterdam Centraal von bis zu 300.000 Reisenden am Tag genutzt werden. Der neue Hauptbahnhof wurde vom Team CS entworfen, einer Kooperation aus Benthem Crouwel Architekten, MVSA Meyer en Van Schooten Architecten und den Landschaftsarchitekten von West 8. Ihre Aufgabe war es, eine Eingangspforte zu errichten, die mithalten kann mit den Bahnhöfen anderer Städte des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes – ob in Madrid, Paris, London oder Brüssel.
Der Aufbau von Rotterdam Centraal ist komplex und einfach zugleich. Die Genialität des Entwurfs liegt darin, alles – Bahnsteige, Büros, Geschäfte, Gastronomie, Eingangshalle – unter einem langen Glasdach zu vereinen. In dem Gebäude ist Platz für den Zugang zu diversen Verkehrsmitteln (Zug, Metro, Straßenbahn, Bus, Taxis) sowie für kommerzielle und öffentliche Einrichtungen. Dieser funktionellen Komplexität steht die einfache Form des Bahnhofs gegenüber, die sich auf eine von Geschäften und anderen Nutzungen gesäumte Verbindung zwischen der Nord- und der Südseite reduzieren lässt. Das Gebäude besteht so grob aus zwei Bereichen, einem offenen, hohen Geschoss mit den Bahnsteigen und einer breiten Passage, die in einem Winkel von neunzig Grad zu den Gleisen und unter ihnen hindurch verläuft.
Eine Herausforderung für die Architekten war es, auf die konträren Situationen jenseits und diesseits des Bahnhofs zu reagieren. Auf der Nordseite liegt Provenierswijk, ein altes Quartier, das an eine holländische Provinzstadt aus dem 19. Jahrhundert erinnert. Auf der Südseite hingegen dominieren Großbauten, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden. Der neue Hauptbahnhof versucht als eine Großform zwischen diesen beiden Seiten zu vermitteln. Der Nordeingang, der von weniger Menschen genutzt wird, ist im Sinne des Quartiers Provenierswijk eher bescheiden gestaltet, fast langweilig. Team CS kümmerte sich vorwiegend um die Begrünung und versuchte mit transparenten Fassaden eine Sichtbeziehung zwischen Bahnhof und Stadt herzustellen.
Im Gegensatz dazu wird am südlichen Haupteingang der Ehrgeiz deutlich, die monumentale Pforte des modernen vertikalen Zentrums von Rotterdam zu bilden. Hier ragt ein mit Edelstahl verkleidetes, spitz zulaufendes Dach in den Außenraum, der von Bäumen und Holzbänken gesäumt wird. Die Decke der Eingangshalle ist wie ein großes Relief gestaltet: Holzpaneele bedecken schräge Flächen, die auch die Akustik regulieren sollen. Das Foyer ließen die Architekten größtenteils leer: Die meisten Geschäfte und Gastronomieangebote befinden sich in der Bahnhofsmitte – eine Anordnung, die Auflagen der Stadt geschuldet ist. Sie forderte, die Eingangshalle als einen öffentlichen Raum für gelegentliche Events frei zu halten.
Neomodernisten versus Neotraditionalisten
Als Neuling in der holländischen Baukultur haben mich immer wieder die hitzigen Architekturdebatten überrascht, die in den vergangenen Jahren zwischen den „Neomodernisten“ und den „Neotraditionalisten“ des Landes geführt wurden. Während in Belgien und anderen Nachbarländern die Moderne Strömungen der Tradition und der Handwerkskunst aufnimmt, schien dies in den Niederlanden selten der Fall zu sein. Das führte zur Bildung zweier Lager. Beide Seiten jedoch teilen die Überzeugung, dass eine unüberwindbare Grenze nicht nur zwischen moderner und traditioneller Architektur, sondern auch zwischen moderner und traditioneller Sicht auf die Stadt verläuft. Verantwortlich für diese scharfe Trennung ist die Prägung der niederländischen Baukultur durch Moderne und Neomoderne. Eine differenzierte Positi0n scheint nicht möglich.
Die Stadt mit Großbauten zu entwickeln, könnte allerdings alte Gegensätze zwischen Modernisten und Traditionalisten – zwischen einer Stadt der Türme und offenen Räume und einer Stadt der Blocks, Plätze und Straßen – mildern und überbrücken, ja sogar auflösen. Die vorgestellten Projekte zeigen diesen dritten Weg: Die belebte Hülle der Markthalle von MVRDV, die neutrale Erscheinung von De Rotterdam und die dichte, gemischt genutzte Verbindung durch den Rotterdam Centraal sind moderne Großprojekte, die sich in die Stadt einbetten, an ihre Geschichte anknüpfen und sie fortschreiben. Das ist das Paradigma in der Stadtentwicklung Rotterdams: eine Stadt der großen Teile, die nicht für sich alleine stehen, sondern auf ihre Umgebung Bezug nehmen.
Große Gebäude, statt großer Pläne
Die Architektur in Rotterdam hat die Stadt im Sinne von Aymoninos Città per parti neu entdeckt: nicht im Großmaßstab der Masterplanung, sondern im mittleren Maßstab des großen Gebäudes. Dazu beigetragen haben die pragmatische Stadtpolitik und die neuste Immobilienentwicklung. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Wohlfahrtsstaat aus der Nachkriegszeit in eine Krise geraten – nicht ohne Wirkung auf den Umgang mit der Stadt. In den Niederlanden haben die zuständigen Behörden ihren keynesianischen Ehrgeiz verloren, den Markt durch öffentliche Investitionen zu lenken. Stattdessen begnügt sich die Politik mit einer marktkonformen, bestenfalls marktkorrigierenden Rolle. Die umfassende Stadtplanung ist zugunsten großer Bauprojekte aufgegeben worden, die oft in Kooperation von privaten und öffentlichen Partnern umgesetzt werden – was immer wieder Probleme mit sich bringt. So versprach die Stadt den Bauträgern von De Rotterdam, ihre eigenen Planungs- und Ingenieurbüros in das neue Gebäude zu verlegen. Doch die leeren Räume, die nach dem Auszug aus drei Hochhäusern am Stadtrand zurückblieben, vergrößerten den immensen Büroleerstand in der Stadt.
Das Beispiel zeigt, in welchem Spannungsfeld sich diese Stadt der großen Teile befindet. Typisch für die vorgestellten Großbauten ist der Versuch, sie in die Dynamik der Stadt einzuklinken, diese aufzunehmen und in eine Figur zu setzen, die zum öffentlichen Raum der Stadt beiträgt. Heute sind solche Projekt nicht mehr – wie in Zeiten wohlfahrtsstaatlicher Planung – Hüter, sondern eher Komplizen des Allgemeinwohls im privaten Gewand, die hoffen, dass die Öffentlichkeit doch als Sieger aus dem stillen Krieg um die Räume der Stadt hervorgeht. In dieser Position kann ein Projekt leicht in die Rolle des Dieners fallen. Ein Diener, der privaten Bauherren Hindernisse aus dem Weg räumt und ohne Bedenken ein großes Stück Stadt zum Verkauf feilbietet.
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