Bauwelt

Sisyphus ist kein Heiliger der katholischen Kirche

Propst Gregor Giele, Pfarrer der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis, über die Gemeinde als Bauherr, die Nachhaltigkeit wertiger Materialen und warum Bauschäden ein Segen Gottes sein können

Text: Bartetzky, Arnold, Leipzig

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Propst Gregor Giele im Hof der neuen Propsteikirche St. Trinitatis
Foto: © dpa/Jan Woitas

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Propst Gregor Giele im Hof der neuen Propsteikirche St. Trinitatis

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Sisyphus ist kein Heiliger der katholischen Kirche

Propst Gregor Giele, Pfarrer der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis, über die Gemeinde als Bauherr, die Nachhaltigkeit wertiger Materialen und warum Bauschäden ein Segen Gottes sein können

Text: Bartetzky, Arnold, Leipzig

Herr Propst Giele, als Pfarrer im heutigen Deutschland, zumal als katholischer Pfarrer in Ostdeutschland, zum Bauherrn eines Großbaus zu werden, ist ein nicht gerade wahrscheinliches Szenario. Ihnen ist diese Aufgabe aber zugefallen. Wie hat sie sich für Sie persönlich angefühlt – während der Planungs- und Bauzeit und nach Vollendung des Werks?
Für mich persönlich war es eine Überraschung, zumal man durch das Theologiestudium nicht gleich zum Baufachmann wird. Allerdings ist es ein weit verbreiteter Irrtum, dass ein Kirchenneubau heute ein singulärer Akt ist. Auch in Sachsen sind in den letzten Jahren Kirchen gebaut worden, in Radebeul etwa oder in Gera und Crimmitschau. Für den betroffenen Pfarrer stellt sich dabei aber immer die Aufgabe, sich in ein völlig neues Themenfeld einzuarbeiten.
Was diesen Bau aber singulär macht, ist seine Größe ...
Das auf jeden Fall, es ist der größte Kirchenneubau in Ostdeutschland.
Und er stellte die Gemeinde vor eine bausymbolisch heikle Aufgabe. Mit ihrer Rückkehr ins Stadtzentrum, in die unmittelbare Nähe des Standorts der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten und 1954 gesprengten ersten Propsteikirche, wollten die Katholiken einerseits wieder deutlich stärker Präsenz zeigen. Das Signal sollte zwar nicht „Wir sind wieder wer!“ lauten, aber wohl doch „Wir sind wieder da“. Zugleich ging es aber auch darum, trotz der beträchtlichen Dimensionen des Baus auf keinen Fall aufzutrumpfen und damit Abwehrreflexe zu provozieren. Eine Quadratur des Kreises?
Das glaube ich nicht. Unser Slogan war „selbstbewusst, aber nicht protzig“. Das hat uns beim Architekturwettbewerb sehr geholfen, als Richtlinie, an der wir eingereichten Arbeiten auf ihre Eignung geprüft haben. Wir sagten uns: Wir wollen erkennbar und nicht defensiv sein, dies aber in einer Weise, die nicht das oft verzerrt wahrgenommene Bild der „reichen Kirche“ bedient. Im Baugeschehen selbst wurde dies etwas schwieriger als beim Wettbewerb, wenn es um die Frage ging, welche Materialien verwendet werden sollen ...
Daran ist nicht gerade Sparsamkeit geübt worden: geschichtete Blöcke aus dem Rochlitzer Porphyrtuff als Fassadenverkleidung, tonnenweise Eichenholz für die Innenverkleidung und Möblierung, Bronze für das große Portal. Inwieweit wird auf diese Weise dem Prinzip der Nachhaltigkeit – oder mit Ihren, schöneren Worten, der Bewahrung der Schöpfung – Rechnung getragen?
Eine Kirche hat idealerweise keinen Lebenszyklus. Deshalb müssen sehr beständige Materialien verwendet werden, und die sind meist kostenintensiver – auch wenn gerade der regionaltypische Porphyrtuff preiswerter als etwa ein hochwertiger Klinker ist. Es gilt, werthaltig – auch optisch werthaltig – zu bauen, anstatt eine Bescheidenheit zu pflegen, die nach zehn oder fünfzehn Jahren dazu führt, dass wieder Geld und Baumaterial in die Hand genommen werden müssen.
Die Entscheidungen waren im Einzelfall immer wieder schwierig. Wir wurden aber von unseren Projektpartnern gut beraten, die uns deutlich gemacht haben, dass gerade im Sinne der Nachhaltigkeit werthafte Materialien mit einer langen Lebensdauer zu wählen sind – auch wenn das manch einen dazu verleiten mag, „Die haben sich aber was gegönnt!“ zu sagen. Wir haben ein Gotteshaus gebaut, und das braucht Werthaftigkeit. Eine Kirche die beengt ist, widerspricht sich selbst. Denn Gott führt in die Weite. Und der Begegnung von Gott und Mensch entspricht auch die Werthaftigkeit der Umgebung. Gottesdienst und Ikea-Möbel – das passt nicht zusammen. Ohne der Firma, die schöne Möbel macht, zu nahetreten zu wollen.
Hat die Gemeinde vielleicht Glück gehabt, dass sie die neue Propsteikirche vor dem Skandal um die aus dem Ruder gelaufenen Kosten des Diözesanzentrums am Limburger Dom planen konnte? Hätte sie sich mehr bescheiden müssen, wenn sie das Projekt erst danach gestartet hätte?
Das ist natürlich eine sehr spekulative Frage. Der Skandal hat uns während der Spendensammlung durchaus geschadet. Der wesentliche Unterschied, den wir betont haben, liegt aber darin, dass das Projekt von Bischof Tebartz-van Elst immer den Geschmack des Privaten hatte, während es hier um eine Kirche ging. Ich finde, unsere reinen Baukosten von ca. 15 Millionen Euro sind für diese Größenordnung eigentlich ein relativ knappes Budget, an das wir uns auch gehalten haben.
Um nochmal an die Frage der Nachhaltigkeit anzuknüpfen: Wäre es nicht die nachhaltigere Entscheidung gewesen, den in den achtziger Jahren errichteten Bau der Propsteikirche am Rosental zu sanieren und langfristig zu halten?
Nein. Denn auch Geld ist eine Ressource, die nicht ohne weiteres nachwächst. Die Kosten für eine grundhafte Sanierung wurden vor rund einem Jahrzehnt mit sieben bis acht Millionen Euro beziffert. Aber das Grundproblem der Fundamentschäden, zu diesem Ergebnis kamen damals zwei unabhängige Gutachten, wäre da-mit nicht zu beheben gewesen. Das hätte geheißen: Wie Sisyphus hätten wir alle zehn bis zwan-zig Jahre immer wieder in die Sanierung investieren müssen. Und Sisyphus ist – ich werde nicht müde es zu sagen – kein Heiliger der katholischen
Kirche.Es gibt aber noch einen emotionalen und zugleich symbolischen Aspekt. Dieser Bau am Rosental ist für die Gemeinde in vielerlei Hinsicht ein Ausdruck des Unrechts, das ihr widerfahren ist: Nicht im Stadtzentrum sein zu dürfen und eine Kirche mit der Auflage bauen zu müssen, dass diese nicht als Kirche erkennbar ist. Das ist in der Not baulich wirklich gut gelöst worden, vor allem der Innenraum ist sehr gelungen. Aber der Neubau in der Innenstadt ist die Heilung eines grundsätzlichen Missstands. So gesehen sind die Bauschäden, die uns zum Umzug veranlassten, ein Segen Gottes.

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