Bauwelt

Ortstermin auf makellos gemähtem Rasen

Es gibt vermutlich kein Online-Architekturportal, das die Pressefotos des temporären Pavillons im Karlsruher Schlossgarten von Jürgen Mayer H. Architekten nicht in epischer Breite publiziert hätte. Unsere Autorin ist neugierig geworden, fuhr nach Karlsruhe und hat sich selbst ein Bild gemacht

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

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    Aus 164 Brettschichtbalken besteht der Pavillon im Karlsruher Schlossgarten. Wenn die Feierlichkeiten zum 300. Stadtgeburtstag Ende September vorbei sind, wird das Fichten-Bauholz zum Einkaufspreis verkauft.
    Foto: Ursula Baus

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    Aus 164 Brettschichtbalken besteht der Pavillon im Karlsruher Schlossgarten. Wenn die Feierlichkeiten zum 300. Stadtgeburtstag Ende September vorbei sind, wird das Fichten-Bauholz zum Einkaufspreis verkauft.

    Foto: Ursula Baus

Ortstermin auf makellos gemähtem Rasen

Es gibt vermutlich kein Online-Architekturportal, das die Pressefotos des temporären Pavillons im Karlsruher Schlossgarten von Jürgen Mayer H. Architekten nicht in epischer Breite publiziert hätte. Unsere Autorin ist neugierig geworden, fuhr nach Karlsruhe und hat sich selbst ein Bild gemacht

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

Mit gerademal dreihundert Jahren Stadtgeschichte, die Anlass für die derzeitige Stadtgeburtstagsparty sind, plustert sich Karlsruhe als einstige Residenz des Markgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach in diesem Sommer mächtig auf: Rund fünfhundert Veranstaltungen verzeichnet das Jubiläumsportal, wobei die Orte zu finden ein lustiger bis nerviger Zeitvertreib ist. Denn ausgerechnet in diesem Jahr reiht sich Großbaustelle an Großbaustelle, weil die Straßenbahn im Stadtzentrum unter die Erde gelegt wird und damit Löcher im Stadtgrundriss klaffen. Wo fährt derweil welche Straßenbahnlinie? Als ich mich durchfrage, weiß niemand, mit welcher Bahn ich wohin kommen könne.
Schwamm drüber – Pomp and Circumstances dürfen nicht an solchen Lappalien scheitern. Abseits der Baulöcher, hinter dem Schloss des Markgrafen, nördlich des Stadtfächers, erlaubt sich die Stadt ein Architekturspektakel im Stadtgarten, das an Experimente in den Londoner Kensington Gardens denken lässt. Seit dem Jahr 2000 wird dort der Architekten-Jetset von der Serpentine Gallery dazu eingeladen, einen temporären Pavillon als Architekturexponat beizusteuern. Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Frank O. Gehry, Rem Koolhaas, SANAA, Peter Zumthor – die üblichen Verdächtigen ersonnen schon einige Attraktionen, die Architekten nach London pilgern ließen. Jürgen Mayer H. war noch nicht dabei. Und damit zurück ins Badische.
Die Pressefotos des Karlsruher Pavillons suggerieren einen eindrucksvollen Solitär, der sich – in die Höhe strahlend – neben dem Schloss als bildtauglicher Valeur im öffentlichen Raum offenbart und Festtagsstimmung aufkommen lässt. Nun komme ich an einem sonnigen Tag durch ein Gartenportal in den Schlossgarten und muss dann doch ernüchtert feststellen: Partys hinterlassen offenbar auch in behäbigen Städten wie Karlsruhe, einen Katzensprung vom Bundesverfassungsgericht entfernt, ihre Spuren. Rund um das helle Holzbalkenkonstrukt stehen Partyplastikzelte mit Zipfeldächern und aufgeklebten Fenstersprossen sowie Ausschankbuden der örtlichen Brauerei. Außerdem liegen gelbe, grüne, blaue und rote Kunststoffwürste herum, auf denen sich Menschen in gebogener Haltung räkeln, die Orthopäden entsetzen muss. Von den wahllos auf den Rasenrestflächen aufgestellten Mülltonnen ganz zu schweigen. Liebe Gäste, bitte entsorgen Sie Ihren Müll selber? Schilder mit der Botschaft „Halten Sie unseren Schlossgarten rein!“ gibt es zwar nicht, aber die Behälter stehen wie ein kategorischer Imperativ auf dem makellos gemähten Rasen.
Im Pavillon selbst findet gerade eine geschlossene Veranstaltung statt, und dafür wird der Erdgeschossbereich mit Kunststoffplanen zugezogen. Man möchte jetzt unter sich sein. Die Wartezeit bis zur Öffnung dieser Zone lässt sich gut überbrücken, denn das wie vom Wind verschobene Gestänge ist separat bis zur Dachterrasse begehbar. Die 164 gleichformatigen, in hellem Grau gestrichenen Brettschichtbalken wirken teilweise kräftig überdimensioniert. Nicht alle tragen in gleicher Belastung – aber darauf kommt es nicht an. Nicht zuletzt, weil die Bestandteile anderweitig wiederverwendet werden sollen. Die mit Stahlstäben ausgesteifte, 16,40 Meter hohe Konstruktion geizt also nicht mit Material, bleibt aber damit als eine Art Rohbau, als Struktur und Raum verschmelzende Geste weitgehend frei von Elementen, die Innen und Außen voneinander trennen würden. Der Architekt spricht von einem „räumlichen Linienfeld“, aber an Ort und Stelle erkennt man eher ziemlich dicke Striche, die wie Schraffuren schräg in die Luft gezogen sind. Die vielfach beschworene offene Struktur ist aus allen Blickwinkeln als doch recht kompakter Baukörper wahrzunehmen – was kein Schade ist, denn sonst sähe man vom Rummelplatzambiente drumherum noch mehr.
Vor solchen Anblicken schützen vor allem veranstaltungsfreie Nächte, wenn die Dunkelheit den Unrat der Umgebung ausblendet und der Pavillon dank seiner Kunstlichtinszenierung zu theatralischer Geltung kommt. Die lichttechnische Bestückung fällt auch bei Tageslicht auf, Kabel umschlingen die Holzkonstruktion, die im Erdgeschoss übrigens mit spitz zulaufenden Auflattungen gegen rüpelhaftes Rumkraxeln gesichert ist.
Der Architekt Jürgen Mayer H. wird mit den Worten zitiert, „die Idee von Individuum und Gemeinschaft, von verschiedenen Fluchtpunkten im Chaos (...) hier etwas freier interpretiert“ zu haben. So wird’s wohl sein. Vom 17. bis zum 25. September plant die Stadt den Pavillon als zentralen Festveranstaltungsort zu nutzten; er wird dafür beste Dienste leisten und zuvor gewiss für die gewünschte bildhafte Aufmerksamkeit gesorgt haben.
Wer findet, dass der Stadtgarten – wie beschrieben – kurzzeitig doch zu sehr den Charakter eines Remmidemmi-Ortes angenommen hat und keine ruhige, kühle Zuflucht in der sommerlichen Hitze der Stadt bietet, dem sei der Besuch einer Ausstellung empfohlen. Die Städtische Galerie widmet dem berühmtesten Architekten Karlsruhes, Friedrich Weinbrenner (1766–1826), der seinerzeit die Fächerstadt trefflich mit einer rechtwinkligen Netz- und Achsenstruktur zu erweitern wusste, eine üppig bestückte Schau.

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