Bauwelt

Vom Geld zählen und Sinn stiften

Zur Zukunft von Räumen für die Kunst in der durchgentrifizierten Stadt

Text: Bowinkelmann, Ina, Berlin

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„Leipzig ist das bessere Berlin“, hört man seit Jahren gerade auch in Künstlerkreisen. Jedenfalls weiß diese Brandwand in der Harkortstraße, womit sich der Druck auf die Atelierhäuser vielleicht mildern ließe.
Ina Bowinkelmann

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„Leipzig ist das bessere Berlin“, hört man seit Jahren gerade auch in Künstlerkreisen. Jedenfalls weiß diese Brandwand in der Harkortstraße, womit sich der Druck auf die Atelierhäuser vielleicht mildern ließe.

Ina Bowinkelmann


Vom Geld zählen und Sinn stiften

Zur Zukunft von Räumen für die Kunst in der durchgentrifizierten Stadt

Text: Bowinkelmann, Ina, Berlin

Am 23. Oktober traf man sich im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin zum ersten internationalen „Research Symposium“ zur Kultur- und Kreativindustrie, organisiert vom Kölner Büro für Kulturwirtschaftsforschung, dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, der IACCI International Association of Cultural and Creative Industries, Peking, und dem u-institut für unternehmerisches Denken und
Handeln an der Hochschule Bremen. In einem großen Saal waren Fachleute aus Europa und China zusammengekommen, um wissenschaftliche Erkenntnisse und Statistiken zur Innovationsfähigkeit und ökonomischen Bedeutung der Kreativbranche auszutauschen. Matthias Machnig, Staatssekretär des Ministeriums, eröffnete die Veranstaltung mit dem Satz: „Die Kreativ-und Kulturindustrie ist eine Branche, die noch nicht weiß, dass sie eine Branche ist.“
Aufgeteilt wird sie in elf Teilmärkte: Musik, Literatur, Bildende und Darstellende Kunst, Film, Rundfunk, Design, Architektur und die Software- und Games-Industrie. Zusammen bilden sie seit dem Ende der achtziger Jahre einen der dynamischsten Wirtschaftszweige weltweit. Mit einer volkswirtschaftlichen Gesamtleistung von 63 Milliarden Euro ist dieser vergleichbar mit den Umsätzen der Automobilindustrie, des Maschinenbaus oder der Chemiebranche.
Wie das Zusammenspiel von Kunst, Kultur und Wirtschaft bereits hervorragend funktioniert, erklärt Françoise Benhamou, Professorin am Centre d´Économie de la Sorbonne, am Beispiel des neuesten Privatmuseums in Paris. Der Unternehmer und Multimilliardär Bernard Arnault hat sich mit dem von Frank Gehry entworfenen Museum am Bois de Boulogne ein Denkmal gesetzt. Als Chef des Luxuskonzerns LMVH gehören ihm u.a. die Marken Christian Dior und Louis Vuitton. Betrieben wird das Museum von der Fondation Louis Vuitton, welche auf die Gelegenheit, das Museum für Eigenwerbung zu nutzen, ungern verzichtet: Kunst mit unternehmerischen Interessen harmonisch vereint. Nun kann man sagen, Interessen gibt es immer – aber ist nicht deswegen auch die Achtung der Kunst als reines, schöpferisches Werk eines kultivierten Geistes umso wertvoller? Was bedeutet überhaupt „Kunst- und Kulturindustrie“?
In China scheint man das zu wissen. Das wird den Teilnehmern der Veranstaltung zumindest mit Zahlen bestätigt: Im Jahre 2011 kam ein Viertel aller „kreativen Güter“ aus China. Im internationalen Vergleich ist das Land zusammen mit Frankreich führend, was die Entwicklung des Außenhandels mit kreativen Gütern anbelangt. Das dieser Aufschwung mit einer durchaus kritisch zu bewertenden Kulturreform entstanden ist, blieb im Rahmen dieses Research Symposiums freilich unerwähnt.
Trotz einem sehr weit gefächerten Verständnis der neuen Branche war man sich aber einig, dass es sich rentiert, wenn die Branche künftig international zunehmend vernetzt wird. Und so wundert es nicht, dass sich, so das Fazit des Symposiums, der Wert der Kultur- und Kreativwirtschaft zu 90 Prozent in Zahlen ausdrücken lässt. Das einzige Problem ist, dass viele, die auf diesem Wirtschaftszweig balancieren, offenbar wenig Begeisterung für die internationalen Finanzpläne zeigen.

Die Kreativindustrie preisen, ohne ihre Produktionsräume zu schützen?

Zumindest nicht in Berlin; eine Stadt, die inzwischen einer der führenden Orte des weltweiten Kunstschaffens ist und mit 400 Galerien gleichzeitig zu den dichtesten Galeriestandorten Europas zählt. Zahlreiche Wirtschaftszweige profitieren vom florierenden Kunstmarkt: von Druckereien über Versicherungen bis hin zu Unternehmen, die Führungen für Touristengruppen anbieten. Allein die Galerien ziehen geschätzt 1,1 Millionen Besucher jährlich an, worüber sich auch Hoteliers, Gastronomen, Einzelhändler und Verkehrsunternehmen freuen. Die Bewohner der Stadt kämpfen jedoch mit stetig steigenden Mietpreisen – von 2008 bis 2013 stiegen sie um 36,5 Prozent. Politiker glauben, mit der Mietbremse eine Lösung für dieses Problem gefunden zu haben. Für Investoren bleibt Berlin jedoch unverändert interessant, denn es gibt kaum eine vergleichbare europäische Stadt, in der die Mietpreise nach wie vor so niedrig und die Renditen so verheißungsvoll sind. Die Hälfte der Investoren kommt aus dem Ausland. Nur die Berliner investieren wenig in ihre eigene Stadt – und die Künstler offenbar ebenso.
Unweit vom Bundesministerium fand deshalb zur gleichen Zeit ein Symposium statt, welches sich von anderer Warte aus der Förderung von Kunst- und Kultur widmete. AbBA, Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser, nennt sich der Zusammenschluss von 500 Künstlern, die sich für den Erhalt ihrer Arbeitsräume einsetzen, von denen mehr und mehr in die sich immer munterer drehende Mühle der Grundstücksverwertung und Stadtquartiersaufwertung wandern. Allein in diesem Jahr wurden schon vier alteingesessene Standorte gekündigt, 150 Künstler landeten auf der Straße. Die AbBA fordert deshalb die Politik auf, die Gründung neuer Atelierhäuser finanziell und stadtplanerisch zu unterstützen, und kündigt Aktionen an, „welche stadtweit Aufsehen erregen“. Und so endet man wieder einmal mit der Frage: Wem gehört die Stadt, und wem wird sie bald gehören? Mit ihr wird sich der künftig regierende Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller befassen müssen. Für die Gewerbeimmobilien gibt es geringen Mietschutz, und die Umfunktionierung eines Atelierhauses in Kreuzberg zu lukrativen Loftwohnungen ist für Investoren nach wie vor interessant. Doch der erhöhte Immobilienwert durch die Lage in einem attraktiv gewordenen Stadtviertel ist am Ende nicht zuletzt der Branche der Künstler zu verdanken, die hier zuerst ihre Zelte aufschlug.

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