Bauwelt

Der Seeuferweg in Zürich | Eine Spazierlandschaft der Moderne von 1963

Text: Tietz, Jürgen, Berlin

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Der Seeuferweg in Zürich | Eine Spazierlandschaft der Moderne von 1963

Text: Tietz, Jürgen, Berlin

Gehen wir gemeinsam ein Stück am See entlang? Das erste Laub hat sich verfärbt, rote Blätter treiben über die grauen Steinplatten. Herbstvergessen schaukeln die Boote auf dem Zürichsee, zu dem die Böschung sanft in unterschiedlich großen Steinen hinabfällt. Jogger gibt es hier weniger, denn auf dem Seeuferweg sollte man seine Schritte achtsam setzen: Mal führen ein paar Stufen hinauf, mal verspringen die Steinplatten leicht.
Dafür rasten hier die Schwäne, und aus den breiten Fugen wächst Gras. Mitihrem Buch über den 1963 von Willi Neukom entworfenen Seeuferweg am Zürichhorn laden Brigitt Sigel und Erik A. de Jong ihre Leser zu einem Spaziergang durch Geschichte und Gegenwart dieses jungen Denkmals ein. Sie eröffnen sowohl Einblicke auf die unterschiedlichen Aspekte, die bei der Anlage des Weges eine Rolle spielten, als auch Ausblicke für seine künftige, denkmalgerechte Behandlung. Denn während die Architektur der 1960er Jahre derzeit im Fokus denkmalpflegerischen Interesses steht, wird dem Denkmalwert der Landschaftsgestaltung jener Epoche bisher noch nicht in gleichem Maße Rechnung getragen.

Den unmittelbaren Anknüpfungspunkt für die Entstehung des Seeuferwegs bildete die 1. Schweizerische Gartenbauausstellung von 1959, die „G/59“ am Ufer des Zürichsees. In Anlehnung an die legendäre Landesausstellung von 1939 wurde sie gerne auch als Blumen-Landi bezeichnet. Dabei ging es auf der G/59 keineswegs allein um ein üppiges Blütenmeer und eine – später wieder demontierte – Gondelbahn über den Zürichsee. Vielmehr war selbst den zeitgenössischen Kommentatoren der „intellektuelle, ins Grundsätzlich-Theoretische gehende Anspruch der G/59“ durchaus bewusst, wie die beiden Autoren ausführen. Es waren Neuartigkeiten mit unterschiedlicher Gestaltung: vom – später ebenfalls entfernten – geometrischen „Garten des Poeten“ bis zum Staudengarten von Ernst Baumann, an den der nur wenige Jahre später von Neukom konzipierte Seeuferweg unmittelbar anschließt. Mit seiner luftig frei wirkenden Gestaltung aus großen Sandsteinplatten, unterschiedlich großen Bollensteinen, Kies, einem weichenÜbergang der Geländekante zum angrenzenden Wiesenstreifen und der Einbeziehung des vorhandenen, silbriggrün schimmernden Baumbewuchses bietet er trotz einiger Veränderungen bis heute eine höchst stimmungsvolle Spazierlandschaft unmittelbar am Saum des Zürichsees. In Neukoms gleichermaßen subtiler wie intuitiver Kunst haben die Autoren dabei ganz unterschiedliche Einflüsse ausgemacht: allen voran die japanische Gartenkunst, die in den 1950er Jahren einen wachsenden Einfluss auf die Garten- und Landschaftsgestaltung insgesamt  besaß. Aber auch skandinavische Einflüsse wie der vom Norra Mälarstrand in Stockholm spiegeln sich im „abstrakten Naturalismus“ Neukoms wider – ebenso wie die Bezugnahme auf den Ort selbst und seine Gestaltungstradition. Sigel und de Jong verstehen es, mit ihrem Buch die Leser nicht nur für ein besonderes Stück des modernen Zürich zu sensibilisieren. Sie wecken zugleich Neugier auf die Geschichte der modernen Landschaftsgestaltung insgesamt. Und die bedarf vertiefender Forschung: „Wenn wir die Paradigmen des Faches selbst betrachten, wird deutlich, dass wir unser Erbe an moderner Landschaftsgestaltung breiter definieren und anders bewerten müssen, als dies bisher aus dem Blickwinkel der Architektur und bildenden Kunst heraus getan wurde“, konstatieren die Autoren. Mit ihrem schönen Buch über Willi Neukoms Seeuferweg in Zürich haben sie bereits selbst einen wichtigen Schritt unternommen.
Fakten
Autor / Herausgeber Birgitt Sigel, Erik A. de Jong
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
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aus Bauwelt 32.2010

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