Bauwelt

Wie wollen wir wohnen, wenn wir alt sind?

Ulrike Scherzer forscht zum Wohnen im Alter. Ihr Buch „Altweiberwohnen“ por­trätiert hochbetagte Frauen, die noch alleine klar­kommen. Ein Gespräch über zu große Häuser, eigensin­nige Nutzungsstrategien und Planungsgrundsätze, die nicht immer aufgehen.

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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    „Wir waren ja glücklich, dass wir überhaupt eine Wohnung hatten“: Gertraud S., 86 Jahre, Zweizimmer­wohnung in einer Genossenschaft
    Foto: Juliana Socher

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    „Wir waren ja glücklich, dass wir überhaupt eine Wohnung hatten“: Gertraud S., 86 Jahre, Zweizimmer­wohnung in einer Genossenschaft

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    „Ich hab das ganze Haus selbst geplant. Ich hab genau gewusst, was ich wollte“: Friedl M., 86 Jahre, eigenes Haus
    Foto: Juliana Socher

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    „Ich hab das ganze Haus selbst geplant. Ich hab genau gewusst, was ich wollte“: Friedl M., 86 Jahre, eigenes Haus

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    „Wir haben 1950 angefangen zu bauen und sind dann drei Jahre später eingezogen“: Kornelia F., 88 Jahre, Einfamilienhaus in Siedlungsgenossenschaft
    Foto: Juliana Socher

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    „Wir haben 1950 angefangen zu bauen und sind dann drei Jahre später eingezogen“: Kornelia F., 88 Jahre, Einfamilienhaus in Siedlungsgenossenschaft

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    „Ich bin ja selbst erstaunt, dass ich hier noch rum­sitze“: Rahel A., 95 Jahre, Haus für zwei Leute und einen Gast
    Foto: Juliana Socher

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    „Ich bin ja selbst erstaunt, dass ich hier noch rum­sitze“: Rahel A., 95 Jahre, Haus für zwei Leute und einen Gast

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    „Alles, was mich umgibt, ist voller Lebensanstöße“: Renate V., 88 Jahre, kleine Villa mit Service und wei­teren Senioren
    Foto: Juliana Socher

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    „Alles, was mich umgibt, ist voller Lebensanstöße“: Renate V., 88 Jahre, kleine Villa mit Service und wei­teren Senioren

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    Altweiberwohnen
    Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter
    Ulrike Scherzer und Juliana Socher
    152 Seiten, 29,90 Euro
    Residenz Verlag, Salzburg/Wien, 2016
    ISBN 9783701733934

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    Altweiberwohnen
    Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter
    Ulrike Scherzer und Juliana Socher
    152 Seiten, 29,90 Euro
    Residenz Verlag, Salzburg/Wien, 2016
    ISBN 9783701733934

Wie wollen wir wohnen, wenn wir alt sind?

Ulrike Scherzer forscht zum Wohnen im Alter. Ihr Buch „Altweiberwohnen“ por­trätiert hochbetagte Frauen, die noch alleine klar­kommen. Ein Gespräch über zu große Häuser, eigensin­nige Nutzungsstrategien und Planungsgrundsätze, die nicht immer aufgehen.

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, hochbetagte Frauen zu porträtieren?
Das große Thema „Wohnen im Alter“ ist weiblich. Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren damit und hatte in meinen Forschungsprojekten häufig alte Frauen als Interviewpartnerinnen. Da kamen immer wunderbare Geschichten heraus, die in analytischen Berichten leider keinen Platz fanden. Außerdem gab es nie Bilder dazu – eine neue Dimension, von der Dresdner Fotografin Juliana Socher perfekt in Szene gesetzt.
Die Frauen, die Sie interviewt haben, sind meist über 80 und wohnen alleine. Hat sich das so entwickelt oder ist es bewusst gewählt?
Das ist unterschiedlich. Es gibt unter den 19 befragten Frauen zwei, die schon immer alleinstehend waren. Die eine hat es nonchalant formuliert: Ich wollte eigentlich immer heiraten, aber die Männer waren im Krieg geblieben. Ich habe keinen mehr abgekriegt. Die anderen Frauen waren alle verheiratet, hatten Kinder und sind nun verwitwet. Zum großen Teil haben sie sich damit arrangiert und genießen ihre Freiräume. Eine hat sogar gesagt: „Ich finde nichts Schöneres, als hier alleine zu sein. Die Story von den einsamen alten Frauen hängt mir zum Hals raus. Jetzt kann ich mich endlich mal um mich selbst kümmern.“
Wie haben sich Ihre Gesprächspartnerinnen auf das Alter vorbereitet?
Es gab eine, die das strategisch eingefädelt hat. Sie ist nach ihrem Arbeitsleben in die Nähe der Kinder gezogen, aber in ein Gemeinschaftswohnprojekt, weil sie ihr soziales Netzwerk selbst in die Hand nehmen und nicht die Kinder um alles Mögliche bitten wollte, was man durch den kleinen nachbarschaftlichen Austausch auch so geregelt bekommt. Das ist aber die Ausnahme. Die Grundeinstellung ist bei den meisten eher fatalistisch: Lassen wir das erst mal auf uns zukommen. Wenn es soweit ist, können wir uns immer noch damit beschäftigen.
Also eher planlos ins Alter?
Sechs der Interviewten haben eine Art „neues Wohnen“ im Alter angestrebt. Eine davon ist die 95-jährige Rahel A. Ihr Mann war Schwede, sie hat mit ihm in vielen Ländern der Welt gelebt. Am Ende seiner Arbeitsphase sind sie dann nach Schweden zurück und das fand sie blöd. Da ist sie einfach abgehauen, „nach Hause“ in ein hessisches Dorf gezogen, und hat eine Pendelbeziehung aufgebaut. Einer anderen Frau wurde wegen einer Sanierung die Drei-Zimmer-Wohnung gekündigt und sie konnte sich im gleichen Viertel keine Wohnung mehr leisten. Sie ist in ihr Sommerhäuschen gezogen.
Eigentlich keine schlechte Lösung.
Sie sagte, sie wäre selber gar nicht auf die Idee gekommen. Aber ihre Tochter wohnt ganz in der Nähe, daher war diese Kombination gut. Dann haben die Kinder ihr das noch gedämmt und heizungstechnisch aufgepeppt.
Welche Rolle spielt die Barrierefreiheit?
Eine erstaunlich kleine. Man schränkt ein paar Dinge ein, tut sie seltener. Der Umbau wird so lange hinausgezögert, bis es nicht mehr geht. Eine Frau hat gesagt: „Ich brauche keine neue Dusche, ich stell mir ein Höckerchen vor die Wanne, das reicht mir. Ich bin in drei Jahren sowieso tot, das lohnt sich alles gar nicht mehr.“ Oder die andere: Es gab eine Dusche mit Sauna im Keller, ihre Kinder haben ihr extra einen Treppenlift eingebaut. Sie ging aber heimlich weiterhin oben in ihrem Bad in die Wanne, weil sie den Keller nicht heizen wollte. Herrlich. Das ist ganz typisch.
Was heißt das für die Planung von Typologien?
Ich habe meinen Studenten immer wieder gesagt: Reihenhaus ist nicht seniorengerecht. Steile Treppen, viele Stockwerke, Wohnen in der Ver­tikalen. Ich muss das jetzt ein Stück weit revidieren. Zwei Damen haben Teile ihres Hauses stillgelegt, die oberste Etage oder den Keller. Man arrangiert sich in der Mitte. Das Raumgefühl ist dann kleinräumig genug, dass man sich alleine nicht unwohl fühlt in einem viel zu großen Haus. Später braucht man einen Treppenlift, der die Wohnetagen bedient: unten Gärtchen, Küche, Essen, Wohnen, Klo, oben Schlafen, Bad. Ich habe den Eindruck, das funktioniert besser als das Wohnen in komplett barrierefreien Bungalowgrundrissen, wo alles in der Fläche passiert und die Frauen etwas verloren in einer Ecke sitzen.
Gibt es noch mehr planerische Grundsätze, die Sie revidieren würden?
Natürlich sollten die grundlegenden Dinge bar­rierefrei funktionieren: das Bad, das WC, die stufenlose Erreichbarkeit einer Wohnung, weil viele der Älteren Bewegungseinschränkungen haben. Aber die Barrierefreiheit alleine ist nicht das einzige Kriterium. Die Frauen sind über neunzig Prozent des Tages in ihrer Wohnung und wollen sich da wohl fühlen. Da spielt die beherrschbare Wohnungsgröße eine Rolle, auch was die Heizkosten betrifft. Wenn man allein auf 300 Quadratmetern zurückbleibt, wird das schwierig.
Aber 300 Quadratmeter sind schon eher ein Luxusproblem.
Ja, aber auch mit 120 Quadratmetern sind viele finanziell und organisatorisch überfordert. Es wäre gut, Häuser und Wohnungen so zu planen, dass sie teilbar sind, dass man Flächen abkoppeln und vermieten oder anderweitig nutzen kann. Das wird immer noch viel zu selten mitgedacht.
Sie schreiben: Je älter man wird, desto mehr wird die Wohnung zum Lebensmittelpunkt. Was verändert sich?
Vor allem auf dem Land gibt es das Mobilitätsthema: Oft ist da das selbständige Wohnen ans Auto gekoppelt, weil Läden dicht machen oder keine Ärzte mehr da sind. Was ist, wenn man nicht mehr Auto fahren kann oder darf? Ein anderes Thema ist die fortschreitende Konzentra­tion auf die innere Schale: Der Radius wird kleiner, das Gefühl der Unsicherheit nimmt zu. Man macht zwar noch Spaziergänge oder trifft Leute, aber bleibt gerne im direkten Umfeld der eigenen vier Wände.
Wie müsste Gemeinschaftswohnen im Alter demnach beschaffen sein?
So, dass auch neben der Gemeinschaft die eigenen vier Wände und individuelles Leben irgend­-wie weiter existieren. Die Bereitschaft, etwas zu verändern, nimmt aber mit zunehmendem Alter ab. Ich glaube, es kann so ansprechend gestaltet sein wie es will, man zögert den Umzug erst mal soweit raus wie möglich. Man sollte sich deutlich früher dafür entscheiden und nicht erst, wenn man alt und gebrechlich ist.
Das ist aber auch eine Generationenfrage. Die Generation, die Sie interviewt haben, verlässt sich noch auf traditionelle Versorgungsmodelle. Viele Jüngere denken früher über das Wohnen im Alter nach.
Ja, man sieht, dass diejenigen, die nicht auf ihre Familie zurückgreifen können, frühzeitiger Alternativen erwägen.
Wer zieht in gemeinschaftliche Wohnprojekte?
Es ist oft die Altersgruppe 65+, die sich auf den Weg macht, Wohnprojekte zu gründen. Am Ende des Arbeitslebens beginnt eine Art Sinnsuche. Die silberhaarigen Aktivisten treffen sich und versuchen, junge Leute mit ins Boot zu kriegen. Man sollte es sich allerdings nicht gegenseitig zur Aufgabe machen, alles selber zu schultern. Das geht schief, wenn man das alles zu sozialromantisch betrachtet. Ich habe eine Studie gemacht, um zu überprüfen, was verschiedene Generationen in Wohnprojekten ganz konkret mit­einander machen. Dabei kam heraus, dass die Aktivitäten meist in der gleichen Altersgruppe stattfinden. Der Klassiker, Oma hütet Kleinkind und die junge Familie hilft Oma mit den Getränkekisten: Das kommt vor, ist aber nicht der Standard. Es sind eher jüngere Ältere, die den ganz Alten Unterstützungsleistungen bringen als die junge Familie. Deren Lebensrhythmen sind einfach zu unterschiedlich. Doch viele Wohnprojekte treten mit der Vorstellung an, dass man ständig etwas miteinander zu tun haben müsste.
Das ist der Traum von der gemeinsamen Alters-WG mit den besten Freunden.
Genau. Wenn die besten Freunde dement werden, dann wird es lustig.
Lässt sich die gegenseitige Hilfe nicht auch besser organisieren?
Im Prinzip schon. In der Studie wurde ein Wohnprojekt untersucht, in dem es explizit für Hochaltrige eine aktive Moderation gibt. Dort steht eine Genossenschaft im Hintergrund, die das Inte­grationsmodell unterstützt. Manche persön­lichen Bedürfnisse würde man dem Nachbarn nicht unbedingt stecken, einem Außenstehenden aber schon. Das Gemeinschaftswohnen funktioniert dann besser und auch langfristiger. Generell bewahrt es einen aber nicht automatisch davor, hochbetagt den Wohnort wechseln zu müssen.
Gegenseitige Hilfe ist ja oft auch ein zeitlich begrenztes Phänomen.
Ja, in manchen Projekten kann es eigentlich nur Frust geben, weil am Anfang die Erwartungs­haltung enorm hochgefahren wird und selbst gut funktionierende Prozesse diese Messlatte nie erreichen. Man muss den Erwartungshorizont entspannter betrachten. Mal gibt es aktivere Zeiten, mal passiert weniger, und das ist kein Defizit. In der erwähnten Mehrgenerationenstudie sagte eine Dame: Ich mach gar nicht so viel mit den Jungen, aber ich sitze auf dem Balkon und sehe unten die Kinder spielen. Das ist von der Atmosphäre her viel schöner als nur unter Gleichaltrigen meinen Lebensabend zu fristen
Also keine Absage an gemeinsames Wohnen?
Absolut nicht. Aber man sollte bei kleineren Wohnprojekten besser nicht aufrechnen: Ich gebe so viel, also darf ich dann irgendwann auch so und so viel nehmen. Modelle, in denen Stunden für Hilfeleistungen aufgeschrieben werden, funktionieren eher bei größeren Projekten. Ge­rade die Älteren haben in größeren Projekte bessere Chancen. Dort gibt es genügend Res­sourcen, um das Ganze unkomplizierter laufen zu lassen.
Welche Größenordnung hat sich bewährt?
Das ist nicht ganz einfach zu sagen, weil das Gelingen nicht nur von der Größe abhängig ist. 20 bis 30 Parteien funktionieren ganz gut, weil dann von jedem Alters- und Lebensphasen­typus genügend Leute da sind, die etwas miteinander machen. Schwierig sind altershomogene Kleingruppen, acht bis zehn Einpersonenhaushalte, die alle mit 70 einziehen und gleichmäßig klapprig werden. Ich kenne so ein in die Jahre gekommenes Projekt. Es gibt dort heftige Probleme, auch mentaler Art, weil die Bewohner sich gegenseitig nahezu geschworen haben, dass sie sich davor bewahren, ins Heim zu kommen. Dann machen sie wahnsinnig anstrengende Dinge, damit sie das einlösen können.
Also größer und vielfältiger?
Es entlastet die Gruppe, wenn man nicht ständig das Gefühl hat: Wenn ich da jetzt nicht mitmache, dann gucken alle.
Welche Rolle spielt die Architektur dabei?
Wichtig ist der integrierte Ansatz, im Kleinen wie im Großen: Dass man keine homogenen Wohngebiete plant. Es werden ja immer noch Einfamilienhausgebiete wie in den Sechzigern ausgewiesen. Man muss mehr quartiersbezogene, moderat verdichtete Konzepte entwickeln wie etwa in Tübingen oder Freiburg, wo das Wohnen als ein Baustein unter vielen gedacht wird. Es geht für die Alten ja nicht nur um Wohnungen, sondern auch um die Versorgung. Wenn man die Pflege dezentral unterbringt, kann man auch gegen die Segregation ankommen. Ein gemischtes, lebendiges Quartier ist wichtig und nicht nur der maximale finanzielle Output. Auf die Architektur heruntergebrochen sind das ganz grundlegende Dinge: dass die Räume für eine Einzelperson, die übrig bleibt, gut funktionieren, dass es einen schönen Ausblick gibt, dass Orte für das Nachbarschaftsleben da sind und in fußläufiger Entfernung Grünflächen, Läden, Dienstleistungen – und ein bisschen Kultur. All diese Dinge eben, die das Leben „innen“ behaglich machen und einen am Leben „außen“ relativ unkompliziert teilhaben lassen.
Wie beurteilen Sie für ältere Menschen neue Ansätze wie Clusterwohnungen?
Ich finde diese Modelle spannend: Beim Clusterwohnen wird die Thematik des Privaten und des Gemeinschaftlichen neu definiert. Es gibt Leute, die das gut finden und mit Leben füllen. Vielleicht werden es immer mehr, im Moment sehe ich das aber noch nicht. Wenn man Leute fragt, wie sie wohnen wollen, ist das klassische Format tief in den Köpfen verankert: Ich bespiele meinenGrundriss mehr oder weniger selbst, und der Nachbar hat genau das Gleiche. Aber vielleicht wird sich das in Zukunft ja ändern.
Ulrike Scherzer
57, hat Architektur an der Uni Stuttgart studiert, an der RWTH Aachen zu generationsübergreifenden Modellprojekten promoviert und leitet das Büro Wohn_Konzepte Scherzer in Dresden. Seit 2015 Honorarprofessorin an der Uni Stuttgart.
Fakten
Architekten Scherzer, Ulrike, Dresden
aus Bauwelt 3.2018
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