Allein mit dem Wetter
24 Stunden auf dem Lightning Field von Walter De Maria in New Mexico
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Allein mit dem Wetter
24 Stunden auf dem Lightning Field von Walter De Maria in New Mexico
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Hayden, unser Fahrer, lenkt routiniert. Häufig fährt er Besucher durch die Hochebene im US-Bundesstaat New Mexico zum Lightning Field, das der Künstler Walter De Maria in den 1970er Jahren erschuf. Es ist heute eines der bekanntesten Land-Art-Projekte überhaupt: 400 Metallstäbe stecken auf einer Fläche von einem Kilometer mal einer Meile im Boden und erzeugen bei Gewitter dramatische Lichtspiele. Mit der Hoffnung auf Regen kurven wir über staubige, namenlose Straßen bis am Horizont eine Holzhütte auftaucht – unser Unterschlupf für die Nacht. Nach einer kurzen Führung durchs Haus verabschiedet sich Hayden. „Have fun. See you tomorrow.“
Plötzlich sind wir allein mit 24 Stunden Zeit, dem Wetter, dem Feld und der Hütte. Es ist eine therapeutische Konstellation. Ich ertappe mich zuerst bei dem Gedanken daran, was wir jetzt alles nicht haben – kein Netz, kein Buch, keinen Plattenspieler, kein Auto – und auch keine Erlaubnis zu Fotografieren – die Dia Art Foundation, die das Kunstwerk instand hält und unseren Besuch organisiert hat, besitzt das Copyright. Die Umstände schärfen meine Wahrnehmung.
Was für ein asketischer, fein komponierter Raum. Holz an Boden, Wand und Decke, ein paar große Fenster, Tisch, Stühle, ein Ofen. In der Nische hängt ein 70er-Jahre Telefon mit einer Notrufnummer. Durch die offene Schlafzimmertür leuchtet eine rote Wolldecke auf dem Bett. Ich geh auf die Terrasse und lausche dem Wind. Der Himmel wirkt so weit, als hätte sich jeglicher Maßstab verschoben. Die Wolken werfen dramatische Schatten auf das ausgeblichene Grün der Ebene. Die Stäbe sind kaum zu erkennen. Wird es heute Nacht ein Gewitter geben? Und werden wir sehen, wie der Blitz in die Stäbe einschlägt?
Ich will mir das Feld von Nahem ansehen. Knapp sieben Meter hoch ist so ein Stab. 67 Meter sind es zum nächsten, 25 Stück in der einen, 16 in der anderen Richtung. Ich laufe eine Weile, gehe in die Knie, stehe wieder auf, versuche den letzten Stab in der Ferne zu erkennen und gedanklich im Grundriss meine Position zu bestimmen. Das Kunstwerk macht seine Arbeit, es zieht mich in seinen Bann. Die Stäbe wirken wie Spiegel, ihre Edelstahloberfläche reflektiert das rasant wechselnde Licht. Ich denke über die Länge eines Sonnenuntergangs nach, über die Kraft des Windes, der die Wolken verschiebt und über den nächtlichen Temperaturabfall hier auf der Ebene, mehr als 2000 Meter über dem Meer. Dann, wie aus dem Nichts, ein starker Wind. Für Sekunden verschleiert der aufgewirbelte Sand den Blick auf die Hütte und damit auf den einzigen Orientierungspunkt weit und breit. Ich entdecke, dass die Stäbe alle auf gleicher Höhe enden und der unebene Boden ihre Länge bestimmt.
Als die Sonne hinter den Horizont sinkt, leuchten die Stäbe erst glutrot, dann werden sie fast schwarz. Eine Wolke hat sich dick gemacht. Die Nacht hingegen ist klar. Sterne statt Blitze – als die Morgensonne einen rosa Schimmer über die Stäbe schickt, ist es gewiss: Ein Gewitter kommt nicht mehr. Doch erst bei dem Gedanken daran, dass wir schon in wenigen Stunden abgeholt werden, wird mir bewusst, dass es um die Blitze nur am Rande geht: Unter diesem weiten Himmel unsere Sinne weiten, das wollte Walter de Maria. Nicht mehr und nicht weniger.
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