Bauwelt

Das Maß aller Dinge

Homo-Mensura-Tagung im Fagus-Werk in Alfeld

Text: Herbote, Arne, Braunschweig

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    In der Nische im Vestibül der Fagus-Werke stand
    lange eine Glasvitrine mit der Leistenkollektion der Firma. Jan Pieper entdeckte ein Entwurfsblatt, das an dieser Stelle eine plastische menschliche Figur zeigte. Er hat die Figur als Relief rekonstruiert. Ursprünglich als temporäre Aktion geplant, soll der „Fagus-Mann“ vielleicht dauerhaft in der Nische bleiben.
    Foto: Reinhard Görner

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    In der Nische im Vestibül der Fagus-Werke stand
    lange eine Glasvitrine mit der Leistenkollektion der Firma. Jan Pieper entdeckte ein Entwurfsblatt, das an dieser Stelle eine plastische menschliche Figur zeigte. Er hat die Figur als Relief rekonstruiert. Ursprünglich als temporäre Aktion geplant, soll der „Fagus-Mann“ vielleicht dauerhaft in der Nische bleiben.
    Foto: Reinhard Görner

Das Maß aller Dinge

Homo-Mensura-Tagung im Fagus-Werk in Alfeld

Text: Herbote, Arne, Braunschweig

Das Vestibül des Fagus-Werks, genauer dessen Aufmaß und Analyse durch Jan Pieper (Bauwelt 10.2009), war der Ausgangspunkt einer Konferenz zu Mensch, Maß und Proportion in der Architektur. Für die Veranstalter ist dieser Schlüsselbau der architektonischen Moderne gerade der rechte Ort, um den Mythos von der Moderne als bedingungslos neuer Baukunst ein Stück mehr zu entzaubern. Die „Homo Mensura“-Tagung im niedersächsischen Alfeld bildete den Abschluss eines Forschungsprojekts des Lehrstuhls für Baugeschichte der RWTH Aachen.
Was es denn heißen könne, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei, fragte der Philosoph Kurt Bayertz aus Münster in seinem Einführungsvortrag in die Sektion „Mensch und Architektur“, und woher die Attraktivität des Homo-Mensura-Satzes stamme. Gerade die Vieldeutigkeit, so Bayertz, sei das Geheimnis seines über die Jahrhunderte hinweg anhaltenden Erfolgs.

Corbu als Maß der Dinge

Arthur Rüegg, Zürich, erörterte den „Cabanon“, Le Corbusiers Ferienhütte an der französischen Riviera. Das bescheidene Häuschen ist sowohl eine konsequente Anwendung des Modulor-Maßsystems als auch eine Auseinandersetzung mit dem architekturtheoretischen Konzept einer Urhütte. Le Corbusier nahm sich selbst als Maß der Dinge und erprobte am eigenen Leib die Wirkung seiner nur wenige Kubikmeter großen Arbeit, in der die Trennung in Immobilie und Möbel aufgelöst erscheint. Karl R. Kegler, Zürich, unternahm den erfrischenden Versuch, Leonardo da Vincis „homo ad quadratum et ad circulum“ in der Tradition Dürer’scher Studien und mittels digitaler Verzerrung mit dem Maß- und Proportionssystem des Modulors in Übereinstimmung zu bringen.

Pantheon, Bauakademie, Bauhaus

Die Sektionen „Maß und Architektur“ und „Proportion und Architektur“ spannten einen aufschlussreichen Bogen von vormetrischen Gebrauchsmaßen zu Bauten und Denkfiguren der Gegenwart. Christian Raabe, Aachen, widmete sich der metrischen Symbolik der Berliner Bauakademie. Aufbauend auf seiner Bauforschung für die Konstruktion der Musterecke, legte er dar, dass Schinkel sich an antiken Proportionen orientierte, konkret an Elementarformen und deren maßlicher Fixierung im römischen Pantheon. Die klassischen Verfahren zur Bemessung und Proportionierung der Architektur, wie etwa der modulare Aufbau der Fassaden, ließen sich an diesem Schlüsselbauwerk preußischer Baukunst nachvollziehen. Darüberhinaus sei der Grundriss der Bauakademie mit Idealmaßen angelegt, und der Durchmesser des darin eingeschriebenen Kreises bilde eine bewusste Entsprechung der Maße des Pantheons. Robin Rehm, Basel/Regensburg, schrieb dieses Beziehungsgeflecht der abendländischen Baukunst fort: Er stellte den zeichnerischen Nachweis einer auf historischen Verfahren beruhenden Pi-Viertel-Triangulation in den Mittelpunkt seiner Ausführungen zum geometrischen System von Walter Gropius’ Dessauer Bauhausgebäude.

Toter Meter, inspirierender Fuß

Als Herausgeber der jüngeren Auflagen der Bauentwurfslehre richtete Johannes Kister, Dessau, sein Augenmerk auf das vom Meter geprägte Maßsystem Ernst Neuferts. Dessen Konzept beruhe nicht (mehr) auf kosmologischen Systemen, sondern sei in die Pragmatik des industriellen und normierten Bauens eingebunden. Die Präsentation eines Wohnhauses des Architekten Uwe Schröder, Aachen, bereicherte die Tagung um den Blickwinkel des praktizierenden Entwerfers. Proportion begreift Schröder als diejenige Verhältnismäßigkeit, die innerhalb einer Ordnung bestehe. Vor allem aber sei ihm Proportion schlicht selbstverständlich und deshalb eigentlich nicht der Rede Wert. Bemerkenswert erscheint im Kontext der Tagung Schröders Charakterisierung des Meters als „totes Maß“, das im Gegensatz zu den auf den Menschen bezogenen Fuß für ihn nicht inspirierend sei.
Die Veranstaltung rückte die Relevanz anthropometrischer Maß- und Proportionssysteme als Konstante der europäischen Bautradition (wieder) ins Bewusstsein. Und anschaulich zeigte Jan Pieper mittels aufwendiger Studien, wie Walter Gropius und mehr noch Adolf Meyer sich beim Entwurf des Fagus-Werk-Kopfbaus und dessen Vestibüls von eben diesem tradierten Kanon leiten ließen. Es wäre wünschenswert – gerade zum Verständnis der vielschichtigen Architek-turproduktion des 20. Jahrhunderts – das Thema Mensch, Maß und Proportion in einen, bei der Tagung nur ansatzweise entwickelten, interdisziplinären Diskurs mit anderen Teilfächern der Bau-, Kunst- und Kulturgeschichte einfließen zu lassen.

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