Bauwelt

Die Stadt von morgen – vielleicht

Öko-Städte werden uns als die Lösung verkauft, um den Klimawandel gleichzeitig mit der rasanten Urbanisierung in den Griff zu bekommen. China will sich hier eine Vorreiterrolle erobern. Überall in der Volksrepublik entstehen mit internationaler Beteiligung ambitionierte Entwürfe für umweltfreundlichen Städtebau – und scheitern. Unser Autor hat sich einige genauer angesehen

Text: Pouille, Jordan, Paris

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    Tianjin Eco-city – „Mit Solarpaneelen aufgehübschter Le Corbusier“, kommentierte ein Kritiker
    Foto: Sino-Singapore Tianjin Eco-city

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    Tianjin Eco-city – „Mit Solarpaneelen aufgehübschter Le Corbusier“, kommentierte ein Kritiker

    Foto: Sino-Singapore Tianjin Eco-city

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    Die Green Health City von Peter Ruge Architekten ist in Inseln mit verschiedenen Nutzungen gegliedert, ...
    Abb.: Peter Ruge Architekten

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    ... der dadurch entstehende Verkehr soll schadstoffarm abgewickelt werden.
    Abb.: Peter Ruge Architekten

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    ... der dadurch entstehende Verkehr soll schadstoffarm abgewickelt werden.

    Abb.: Peter Ruge Architekten

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    Dongtan – Die im Vorfeld der Expo 2010 geplante „ökologische Speerspitze“, ...
    Abb.: Arup/Holcim Foundation for Sustainable Construction

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    Dongtan – Die im Vorfeld der Expo 2010 geplante „ökologische Speerspitze“, ...

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    ... scheiterte an fehlenden Investoren und brütenden Zugvögeln.
    Abb.: Arup/Holcim Foundation for Sustainable Construction

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    ... scheiterte an fehlenden Investoren und brütenden Zugvögeln.

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    Tianjin Eco-city ist das derzeit am weitesten fortgeschrittene Projekt.
    Rendering und Foto: Sino-Singapore Tianjin Eco-city

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    Tianjin Eco-city ist das derzeit am weitesten fortgeschrittene Projekt.

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    Zumindest die Fassaden sind weit weniger grün, als das Rendering es versprochen hat.
    Rendering und Foto: Sino-Singapore Tianjin Eco-city

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    Zumindest die Fassaden sind weit weniger grün, als das Rendering es versprochen hat.

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    Die Tianfu Ecological City wird nicht gebaut, das neue Projekt unter gleichem Namen ist nicht ganz so ökologisch
    Abb.: Adrian Smith + Gordon Gill Architecture

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    Die Tianfu Ecological City wird nicht gebaut, das neue Projekt unter gleichem Namen ist nicht ganz so ökologisch

    Abb.: Adrian Smith + Gordon Gill Architecture

Die Stadt von morgen – vielleicht

Öko-Städte werden uns als die Lösung verkauft, um den Klimawandel gleichzeitig mit der rasanten Urbanisierung in den Griff zu bekommen. China will sich hier eine Vorreiterrolle erobern. Überall in der Volksrepublik entstehen mit internationaler Beteiligung ambitionierte Entwürfe für umweltfreundlichen Städtebau – und scheitern. Unser Autor hat sich einige genauer angesehen

Text: Pouille, Jordan, Paris

Hainan – eine Tropeninsel im Süden der Volksrepublik China. Auf den Straßen Millionäre in Prada-Loafern neben Fischern in löchrigen Gummistiefeln, an jeder Ecke schießen absurde Bauprojekte aus dem Boden. An Stelle pittoresker kleiner Dörfer entstehen ganze Städte. Das ist der Ort, den sich Peter Ruge für sein Vorhaben ausgesucht hat. Bei seinem Entwurf für eine Öko-Stadt ließ der Investor „China Power International New Energy“ dem Berliner Architekten freie Hand. Auf einer Fläche von 28 Quadratkilometern soll mit der „Green Health City“ in Boao Lecheng für 200.000 Bewohner ein urbanes Projekt mit ländlichem Ambiente entstehen, medizinische Einrichtungen „auf Fünf-Sterne-Niveau“ zielen auf eine situierte Klientel gehobenen Alters. „Unser Entwurf umfasst mehrere kleinere Insel-Anlagen. Über den Einsatz von Windrädern, Biogasanlagen, Sonnenpaneelen und mit einem ausgeklügelten System für die Stromversorgung erreichen wir einen Anteil an erneuerbaren Energien von 70 Prozent“, sagt der Architekt. Jedem Inselblock ist ein Nutzungsschwerpunkt zugewiesen: Wohnen, Einzelhandel, medizinische Versorgung und Unternehmen. Ein Netz aus Magnetschwebebahnen, ähnlich dem Shanghaier Maglev-Transrapid, sorgt für die verkehrstechnische Binnen-Anbindung.
Doch würden in einem Land, in dem der eigene Pkw das wichtigste Symbol für sozialen Aufstieg darstellt, die Bewohner auf den „niederen“ öffentlichen Nahverkehr umsteigen und auf ihre deutschen Mittelklassewagen verzichten? Und steht der auf dem letzten Wirtschaftsforum von Boao (dem chinesischen Davos) geäußerte Wunsch der chinesischen Behörden, hier einen Flughafen zu bauen, nicht im direkten Widerspruch zum Konzept einer Öko-Stadt? Sei’s drum, Peter Ruge glaubt trotzdem an sein Konzept. Und muss abwarten, das Projekt ist gestoppt, der Beginn der Bauarbeiten steht aus. „Der Landerwerb ist noch nicht abgeschlossen“, erläutert Ruge ein wenig verschämt.
Lieber redet der Berliner Architekt über sein Passivhaus in Chanxing im Norden der Provinz Zhejiang. Der im August letzten Jahres fertiggestellte, fünfgeschossige Modellbau ist ein Wohnhaus für eher bescheidene Ansprüche. Im heißen feuchten Klima, in dem man dankbar klimatisierte Luft atmet, verbraucht das Haus laut Zertifikat vom PassivHaus Institut (PHI) und der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen 95 Prozent weniger Energie als ein herkömmlicher Bau. Dieses Passivhaus, so die Idee, soll in ganz China nachgebaut werden, ganz im Sinne eines alten chinesischen Sprichwortes, das sich die heutigen Partei-Oberen zu Eigen gemacht haben: Miste den Käfig aus, dann kannst du neue Vögel hineinsetzen. Damit ist die Absage an lokale, hochgradig umweltbelastende Bauweisen gemeint, die zumeist von Wanderarbeitern ausgeführt werden und nun zugunsten von innovativen Projekten mit hoher Wertschöpfung und, damit einhergehend, neuen Formen der Urbanisierung weichen sollen.

Die Öko-Misere bemänteln

Yang Yang forscht an der Universität Jules Verne de Picardie in Frankreich über die Stadtentwicklung von Kanton und die dortigen Anfänge einer umweltbewussten Haltung als Basis städtebaulicher Erneuerung. Yang Yang verdeutlicht dies am Bespiel Donghao Chong, einem kleinen Bach, der seit Jahrhunderten durch die Stadt fließt. Im Vorfeld der Panasiatischen Spiele im Jahr 2010 wurde das Flüsschen umfassend saniert. Der deutlich aufgewertete Donghao Chong erhöhte die Attraktivität der angrenzenden öffentlichen Flächen enorm, in kürzester Zeit machten die vernachlässigten und verwohnten Gebäude hochkarätigen Immobilienprojekten Platz. Ein kleines Museum in Ziegel-Bauweise feiert den Fortschritt, den die Sanierung möglich machte. Nur in der Lokalpresse finden sich Hinweise auf die Unzufriedenheit der enteigneten Flussanrainer, die die mangelnde Abstimmung und die fehlende Beteiligung der Bevölkerung anprangern.
Eben diese Aufwertung innerstädtischer Wasserläufe und das Anlegen von „grünen Tälern“ zwischen den zubetonierten Bankenvierteln ist die „chinesische“ Spezialität von AS. Architecture-Studio. Das 1973 gegründete französische Architekturbüro unterhält mittlerweile auch eine große Dependance in Peking. Neben dem Institut du Monde Arabe oder dem Konzertsaal im Pariser Maison de la Radio hat es das gewaltige Kulturzentrum von Jinan realisiert. Unermüdlich arbeiten die Architekten an neuen Lösungen, um eine „grüne“ Architektur im Reich der Mitte salonfähig zu machen, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen. „2012 haben wir den Masterplan für den Kanal durch die Altstadt von Wuxi umgesetzt. Das Projekt wirkt als eine Art ökologische Schneise und als Verbindung zwischen dem historischen Stadtkern und der Neustadt“, erklärt Städteplaner Chan Qi. Die traditionelle Industriestadt in der Provinz Jiangsu im Osten Chinas hat einen weiten Weg hinter sich: Noch vor acht Jahren schien die Vorstellung einer „ökologischen Schneise“ unvereinbar mit den Prioritäten der örtlichen Verwaltung.
Jahrzehntelang pumpten mehrere Tausend Chemiewerke Phosphate und andere toxische Abfallprodukte in den Taihu-See vor den Toren Wuxis. 2007 war die Konzentration giftiger Substanzen im See derart hoch, dass man den fünf Millionen Anrainern verbieten musste, das Leitungswasser zu trinken. Der Versuch, die Nachlässigkeit der Behörden anzuprangern, trug Umweltaktivist Wu Lihong damals drei Jahre Gefängnis ein, allmählich dringt der Ernst der Lage jedoch auch zu ihnen durch. So wurden fünf Funktionäre mit der Begründung entlassen, die Ableitung von Chemieabfällen in den See nicht angemessen überwacht zu haben. Die auf ihren Posten verbliebenen Verantwortlichen setzen jetzt auf High-Tech-Unternehmen. Als Lockangebot für einen massenhaften Zuzug soll der hochwertige Lebensrahmen für die künftige Belegschaft dienen: „Zahlreiche Quartiere der Stadt sehen mittlerweile aus wie ein idyllischer Google-Campus“, kommentiert Peter Ford, China-Korrespondent des Christian Science Monitor.
Nach der Umstrukturierung durch das AS.Architecture-Studio „quert der neue Wuxi-Kanal die Altstadt, der gewundene Verlauf orientiert sich am Maßstab der historischen Stadtstruktur und bildet eine zusammenhängende Kulisse für das architektonische Erbe“, so die Architekten. Dieser Wasserlauf steht stellvertretend für die von den städtischen Behörden propagierte Linie neuer Lebensqualität. Umweltgerechte Erneuerung soll als Motor wirken und ganz von selbst künftige Veränderungen in der Stadt auslösen.
AS.Architecture-Studio distanzieren sich inzwischen von ihren ersten Versuchen einer grünen Urbanistik in China, die zwar prestigeträchtig für den Auftraggeber sein mögen, aber nur geringe Auswirkungen auf die Umwelt und die unmittelbare Umgebung haben. So wie jener U-förmige Bau im angesagten Quartier Jinqiao (wörtlich: die Goldene Brücke) im Shanghaier Stadtbezirk Pudong: Ohne ersichtlichen ökologischen Gewinn prunkt der Komplex aus dem Jahr 2006 mit einem riesigen begrünten Dach, von dem nur die Vögel etwas haben. „Das ist ein Paradebeispiel für das, was ich ‚die Öko-Misere bemänteln‘ nenne. Das passiert ständig, seitdem alle Bauherren ein LEED®-Zertifikat (Leadership in Energy and Environmental Design) wollen, um ihren Bauprojekten einen ökologischen Anstrich zu geben“, klagt Vincent Boreux. Der französische Architekt arbeitete von 2007 bis 2014 zunächst in Shanghai und später in Hangzhou, wobei er zumeist für Vanke tätig war, einem staatlichen Unternehmen mit Sitz in Shenzhen und erstem Investor und Vertreiber von privaten Wohnungen in China.

Dongtan: gescheiterte Utopie

Andere westliche Architekturbüros beteiligten sich an eindeutig ambitionierteren ökologischen Bauvorhaben – und haben sich die Zähne daran ausgebissen. Zur Erinnerung: Im Vorfeld der Expo 2010 verschreibt sich Shanghai dem Bau einer äußerst fortschrittlichen Öko-Stadt auf der Chonqming-Insel in der Jangtse-Mündung. Auf 500.000 Einwohner sollte die 86 Quadratkilometer große Retortenstadt Dongtan bis zum Jahr 2050 kommen. Sie war als Versuchslabor im großen Stil für die jüngsten technischen und städtebaulichen Innovationen auf dem Sektor Energiesparen und Ökomobilität ausgelegt. „In jener Zeit der umfassenden Modernisierung betrachteten die chinesischen Investoren das Thema Umweltschutz vor allem aus dem Blickwinkel der technischen Machbarkeit. Die als grüne Speerspitze konzipierten Projekte bieten in erster Linie technologische Lösungen, die zwar nicht unbedingt ineffizient, aber doch nicht zu Ende gedacht sind und die Kehrseite der Medaille verschleiern. Wie hoch ist der Energieverbrauch bei der Herstellung von Sonnenpaneelen? Werden Baumaterialien vor Ort bezogen? Wie überzeugt man die künftigen Nutzer der Öko-Städte davon, auf ihr Auto zu verzichten? Solche Fragen sind zentral, werden aber selten gestellt“, erläutert Boreux, der sich wegen des Dongtan-Vorhabens damals auf das Abenteuer China einließ. „Dongtan hatte diesbezüglich zahlreiche Schwächen, trotzdem war die Idee, eine echte ökologische Stadtplanung in Gang zu bringen und hier ein Umdenken für den Lebensalltag zu versuchen, ein ganz wichtiger Teil des Projektes!“
Um Maximen wie „CO2-Neutralität“ und „energetische Autonomie“ buchstabengetreu umsetzen zu können, verpflichtete die Stadtverwaltung von Shanghai die besten Architekten und Ingenieure. Die Öko-Stadt sollte hochmoderne medizinische Forschungseinrichtungen und andere innovative Industriezweige anlocken. Zusätzlich plante ein irischer Investor die Einrichtung einer außergewöhnlichen Anlage für den Pferdesport. Doch das Ganze hatte einen Haken: Die zahlungskräftigen Bürger von Shanghai zeigten keinerlei Interesse an dieser angeblich so bezaubernden Stadt weitab vom Banken- und Wirtschaftsviertel. Auch liefen Wissenschaftler Sturm gegen das Vorhaben, weil es – veritables Desaster für eine Öko-Stadt – Brutstätten von Zugvögeln gefährdete. Als weiteres, nicht ganz unwichtiges Detail kam hinzu, dass die lokalen Behörden nicht bereit waren, tief in die eigene Tasche zu greifen. Im Gegenteil, man setzte darauf, dass der britische Planer Arup die für dieses urbane Laboratorium nötigen Investitionen gegenfinanzieren würde. Besiegelt wurde der Untergang des Projektes schließlich durch den Verlust seines wichtigsten Fürsprechers, als Chen Liangyu, von 2002 bis 2006 Vorsitzender der Kommunistischen Partei von Shanghai, 2008 wegen Korruption zu achtzehn Jahren Haft verurteilt wurde.
Zur selben Zeit machte der damalige Staatspräsident der Volksrepublik China, Hu Jintao, seinerseits Zusagen für ein ähnlich gelagertes Umweltprojekt in Caofeidian, einem Außenbezirk von Tangshan in der Provinz Hebei. Dort kam man mit den Arbeiten besser voran, die gesamte Infrastruktur im Wert von insgesamt 91 Milliarden US-Dollar wurde von der Regierung und ihren staatlichen Betrieben beigesteuert. Doch die privaten Unternehmen und künftigen Arbeitgeber von erhofften 300.000 Bewohnern blieben aus, die Quartiere für die High-Tech-Branche stehen leer, die frisch asphaltierten Straßen sind von Unkraut überwuchert. Jetzt können Investoren nicht einmal mehr die Zinsen für die Milliardenschulden aufbringen, die man für die Errichtung der zahlreichen Wohntürme in der Umgebung aufgenommen hatte. „Dabei sind in diesen Berechnungen noch nicht die Mehrkosten enthalten, die für die behördlichen Energieeffizienz-Auflagen in jedem Fall fällig werden, also ein entsprechend höheres Risiko für den Investor bedeuten. Auch in Europa sind dafür recht erhebliche Mehrausgaben zu veranschlagen, in China dagegen, wo innovative Baumaterialien und gut ausgebildete Fachkräfte Mangelware sind und entsprechend teuer bezahlt werden müssen, reden wir über wirklich enorme Summen. Diese Investoren sind ein sehr hohes Risiko eingegangen – und sie haben verloren“, analysiert Architekt Boreux die Sachlage.

Tianjin Eco-city:
Letzte Hoffnung auf eine echte „grüne“ Stadt?

Als Verwirklichung der Idee einer umweltgerechten Stadt ist Tianjin Eco-city, ein Vorort von Tianjin, das derzeit am weitesten gediehene Projekt. Allerdings haben sich die Gemeinschafts-Investoren aus China und Singapur mit der gigantischen Industriebrache im stark belasteten Areal von Tanggu, wo Montagehallen von Honda neben stahlverarbeitenden Betrieben angesiedelt sind, nicht gerade das reizvollste Terrain ausgeguckt. Die Stadt liegt 200 Kilometer vor den Toren Pekings, die Anbindung an die Metropole erfolgt per Hochgeschwindigkeitstrasse. Nach der Fertigstellung in etwa fünf Jahren werden, so heißt es, 350.000 Menschen hier leben. Sechs Jahre Bauzeit, 80 Millionen investierte Renminbi-Yuan und eine Menge Windräder später sind jetzt 24.053 Wohnungen auf dem Markt, 17.471 davon verkauft. Nur ein Drittel wurde bisher bezogen, bislang also bleiben die etwa 20.000 Bewohner noch weit hinter den Vorhersagen zurück.
Trotz dieser mageren Bilanz wird die Tianjin Eco-city weiterhin von der Weltbank unterstützt, die das Projekt nach wie vor als vielversprechend einstuft: „Hier kommt eine städtebauliche Vision zum Ausdruck, die seit dem Beginn der Baumaßnahmen ausdrücklich auf Umweltbelange ausgerichtet ist. Das Projekt mit CO2-Emissionen nahe Null ist ein Modell für ökologische Stadtentwicklung mit Vorbildfunktion für weitere Standorte in China.“ Man ist des Lobes voll: „Über die Anstrengungen von herkömmlichen Öko-Städten geht das Projekt weit hinaus, die erreichten Margen bezüglich baulicher Ökostandards, öffentlicher Nahverkehrsanbindung, erneuerbarer Energien, Abfallverwertung, Abwasseraufbereitung und des Zugangs zu sozialen Wohnungsangeboten sind beispielhaft.“
Ihren Anteil an Kritik bekommt die ambitionierte Öko-City mit ihrem Gürtel aus Windparks und Sonnengärten trotzdem ab. „Mit Solarpaneelen aufgehübschter Le Corbusier“, höhnt ein Kritiker des „The American Conservative“. Bei den breiten, schnurgeraden, auf hohe Geschwindigkeit ausgerichteten Straßen und den Fluchten aus großspurig daherkommenden Wohntürmen liegt der Gedanke an die Geisterstadt Kangbashi bei Ordos, die dank der reichhaltigen, neu erschlossenen Kohlevorkommen in der Inneren Mongolei aus der Steppe gestampft wurde (Stadtbauwelt 188, 2010), nicht ganz fern. „Wie zu Zeiten von Le Corbusier geht es auch diesmal darum, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, sich ganz der neuen Zeit zu verschreiben und vier Jahrtausende Stadtgeschichte hinter sich zu lassen“, so der American Conservative. Kein Tempel oder Schrein, kein noch so kleiner Bauernhof, keine Imbissbude scheint diese neue Stadt stören zu sollen. Fraglich ist, ob sich die ersten Einwohner, die dank staatlicher Beihilfen hastig Quartier in der Öko-Stadt bezogen haben, auch so wohl fühlen, dass sie bei Sonnenaufgang hier ihre traditionellen Qi-Gong-Übungen praktizieren. Das von den Chinesen sonst so geschätzte quirlige Straßenleben mit Marktständen und Garküchen jedenfalls scheint im Namen des Fortschritts eher verpönt zu sein.

Tianfu Ecological City: Öko-Konfetti im Baustopp

Die Planer der Tianfu Ecological City bewiesen sowohl mehr Weitsicht als auch größeren Pragmatismus. Das im Oktober 2012 der Öffentlichkeit vorgestellte Projekt für eine Wohnsiedlung dreißig Kilometer südlich von Chengdu, in der Provinz Sichuan, ist auf gerade einmal 85.000 Bewohner auf einer Fläche von neun Quadratkilometern ausgelegt. Für den Entwurf zeichnet das Chicagoer Architekturbüro Smith & Gill verantwortlich, das mit seinen besonders gut erschlossenen Solitärbauten auf Zurückhaltung setzt. „Wir verfolgen ein autofreies Konzept, das so gut sein soll, dass die Bewohner aus eigenem Antrieb auf den Pkw verzichten“, sagt Peter Kindel, Leiter des Department of Urban Planning des Büros. „Wir wollen das Auto nicht verbieten, doch wir geben dem Fußgänger bewusst den Vorzug.“ Fuß- und Radwege verlaufen unabhängig von den Straßen; Schulen, Supermärkte oder Grünflächen sollen in maximal 800 Metern Entfernung von den Wohngebäuden liegen. Vor den neuen Gebäuden sind Auffangbecken für Regenwasser geplant.
Seit Anfang des Jahres herrscht aus Gründen, die die Architekten nicht kommentieren wollen, Baustopp für die Tianfu Ecological City. Nur der Name wurde vom Bauherren übernommen – für ein viel größeres und deutlich weniger „grünes“ Projekt. „Soweit ich weiß ist das Areal bislang noch nicht bebaut – eventuell geht es um Grundstücks-Verhandlungen oder die Freigabe als Bauland, doch dazu können wir keine Angaben machen. Verwirrend ist auch, dass der Bauherr jetzt ein anderes Projekt, an dem wir beteiligt sind, Tianfu Ecological City nennt. Damit es nicht zu Verwechslungen kommt, nennen wir es Tianfu New District, doch das hat sich nicht durchgesetzt“, bedauert Jocelyn Moriarty von Smith & Gill.
Ohnehin war auch dieser Versuch einer ökologischen Stadt kaum mehr als ein grüner Konfetti-Schnipsel in einem Areal, das alle Maßstäbe sprengt: Tianfu New Area umfasst 1578 Quadratkilometer Land, für 620 davon sollen zwei Kleinstädte und 37 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht werden. Kernstück der Stadt ist das „New Century Global Center“, ein Koloss aus Beton und Glas, der Öffentlichkeit als „das größte Gebäude der Welt“ präsentiert. Mit 1,75 Millionen Quadratmetern Nutzfläche beherbergt der Multifunktions-Bunker auf einer Grundfläche von 500 auf 400 Meter bei 100 Metern Höhe Wohnungen, Hotels, kommerzielle Flächen und ein Freizeitbad.
Angesichts derartiger Widersprüche, zerrieben zwischen den größenwahnsinnigen Visionen der lokalen Machthaber und den wachsenden Umweltbedenken der Bürger, scheint der Öko-Städtebau à la chinoise nicht von der Stelle zu kommen. Vorerst zumindest.

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