Die Wohnungsfrage
Lässt sich die Engels’ entlehnte, politische Dimension der Wohnungsfrage allein mit partizipativen oder kollektiven Modellen beantworten? Eine Ausstellung in Berlin
Text: Grunze, Nico, Berlin
Die Wohnungsfrage
Lässt sich die Engels’ entlehnte, politische Dimension der Wohnungsfrage allein mit partizipativen oder kollektiven Modellen beantworten? Eine Ausstellung in Berlin
Text: Grunze, Nico, Berlin
Die Wohnungsfrage gewinnt auch in reichen Industrienationen zunehmend an Bedeutung, denn immer mehr Menschen sind nicht mehr in der Lage, sich mit ausreichendem Wohnraum zu versorgen. Nicht zuletzt führten Verwertungsinteressen von internationalen Immobilienfonds und die Erwartung möglichst hoher Renditen in kurzer Zeit zur Verdrängung armer Menschen an die Ränder unserer Städte oder in benachteiligende Quartiere. Parallel zur wachsenden Privatisierung im Immobilienmarkt versäumte der Staat die Steuerung und zog sich aus dem Wohnungsbau lange Zeit nahezu vollständig zurück. In Deutschland lässt sich hinsichtlich der Wohnraumversorgung eine zunehmende Polarisierung auf mehreren Ebenen feststellen. Auf sozialer Ebene klafft die Schere zwischen armen und reichen Haushalten immer stärker auseinander: Während viele Menschen gezwungen sind, einen großen Teil ihres Einkommens für Wohnraum auszugeben, steigt gleichzeitig die Wohnfläche je Einwohner immer weiter an. Aber auch auf der räumlichen Ebene ist eine ungleiche Entwicklung und Polarisierung zwischen strukturschwachen schrumpfenden Regionen und stark nachgefragten Ballungsräumen zu beobachten.
Diesem Thema widmet sich das Berliner Haus der Kulturen der Welt mit der Ausstellung „Wohnungsfrage“. Den Kuratoren Hila Peleg, Jesko Fezer, Nikolaus Hirsch und Wilfried Kuehn ist es gelungen, das breite Spektrum und verschiedene Facetten zur Wohnungsfrage im internationalen Kontext darzustellen. Das Projekt bleibt nicht auf eine Ausstellung beschränkt, sondern geht mit Diskussionsforen, einer Akademie und einer umfangreichen Publikationsreihe darüber hinaus.
Die Gesamtkonzeption und die Vielfalt der Ausstellungsexponate mit internationaler Perspektive spiegeln den kreativen wie frischen Ansatz des gesamten Projekts. Mit Installationen, Fotoserien, Modellen und Dokumentationsfilmen soll grundsätzlich für Fragen zum Wohnen sensibilisiert, aber es sollen auch konkrete Vorgehensweisen und Lösungsansätze vorgestellt werden – in diesem Mix liegt die besondere Leistung des Kuratoriums.
Lara Almarceguis Aushub von 400m³ Erde eines Berliner Wohnungsbauprojekts bildet das beeindruckende Entree der Ausstellung. Damit verweist sie auf die geologischen Veränderungen und macht diese wenig beachtete Dimension von Bauprojekten sichtbar. Der Film von Florian Zeyfang, Lisa Schmidt-Colinet und Alexander Schmoeger zeigt eine außergewöhnliche und ganz praktische Reaktion der kubanischen Regierung auf Wohnungsmangel in den 70er Jahren. Kleine Gruppen von Arbeitern wurden von ihrer Fabrikarbeit freigestellt, um für sich und die Kollegen Wohnungen mit vorgefertigten Elementen zu bauen. Am Rande von Havanna sind auf diese Art und Weise zwei große Wohnviertel entstanden.
Den Kern der Ausstellung bilden vier 1:1-Modelle. Sie zeigen ausschnittsweise Konzepte experimenteller Raumnutzungen, gemeinschaftlichen Wohnens und Arbeitens, die in Zusammenarbeit zwischen Berliner Anwohnerinitiativen bzw. Studierenden- und Künstlerkooperativen und internationalen Architekten entstanden sind. So hat beispielsweise das Lon-doner Architektenkollektiv Assemble gemeinsam mit den Vertretern der Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße in Berlin-Pankow ein kollektives Wohnhaus entwickelt, das mit aus zwei Teilen bestehenden Wohneinheiten auf sich ändernde Bedürfnisse reagieren kann und in dem sich die Schnittstelle zwischen gemeinschaftlichem und individuellem Raum flexibel gestalten lässt. Eine Struktur aus Standardelementen industrieller Lagersysteme haben die Mietergemeinschaft Kotti & Co und das im südkalifornischen San Diego beheimatete Studio Teddy Cruz + Forman entwickelt. Mit Hilfe lokal verfügbarer Materialien können daraus mobile Einheiten für vielfältige Zwecke entstehen, „vom selbstorganisierten Hausanbau über gemeinschaftliche Werkstätten oder Nachbarschaftsmärkte bis zum Versammlungsort für ein temporäres Stadtparlament“.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen, die Bedeutung des Themas ist nicht hoch genug einzuschätzen. Das Haus der Kulturen der Welt bietet der Wohnungsfrage einen guten Rahmen, um die Gesellschaft für die Tragweite der Prozesse zu sensibilisieren und die Diskussion einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dabei bleibt aber zu hoffen, dass die Wohnungsfrage politische Akteure erreicht, um deren Problembewusstsein zu schärfen und sie auf neue Ansätze aufmerksam zu machen. Denn letztendlich ist die Politik gefordert. Der Blick auf das benachbarte Kanzleramt ist daher ein Blick in die richtige Richtung.
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