Bauwelt

Durch Architektur aufs Leben blicken

Im Vitra Design Museum ist die erste große Retrospektive des Fotografen Iwan Baan zu sehen. Vier Räume geben Einblick in sein Werk: eine große Erzählung über das Verhältnis von Räumen und Menschen.

Text: Sturm, Hanna, Leipzig

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    Das Nationalmuseum von Katar in Doha, Katar, 2019, Architektur: Ateliers Jean Nouvel
    Foto: Iwan Baan/VG Bild-Kunst Bonn, 2023

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    Das Nationalmuseum von Katar in Doha, Katar, 2019, Architektur: Ateliers Jean Nouvel

    Foto: Iwan Baan/VG Bild-Kunst Bonn, 2023

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    Kunstmuseum Teshima in Tonosho, Japan, 2010, Architektur: Ryue Nishizawa.
    Foto: Iwan Baan

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    Kunstmuseum Teshima in Tonosho, Japan, 2010, Architektur: Ryue Nishizawa.

    Foto: Iwan Baan

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    Torre David, Caracas, Venezuela, 2011.
    Foto: Iwan Baan

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    Torre David, Caracas, Venezuela, 2011.

    Foto: Iwan Baan

Durch Architektur aufs Leben blicken

Im Vitra Design Museum ist die erste große Retrospektive des Fotografen Iwan Baan zu sehen. Vier Räume geben Einblick in sein Werk: eine große Erzählung über das Verhältnis von Räumen und Menschen.

Text: Sturm, Hanna, Leipzig

Wie man in einem einführenden Video erfährt, versteht sich Iwan Baan nicht als Architektur­fotograf. Er begreift Architektur als eine Brille, durch die er die Welt und ihre Bewohner betrachten und Geschichten über sie erzählen kann. Diese Interpretation von Architektur als gebauter Rahmen menschlichen Lebens hält die unzähligen Motive der Ausstellung zusammen. Die Bauwerke auf den Bildern wurden nicht um ihrer selbst willen fotografiert, sie sind Teil einer Szene, einer Situation, eines Moments.
Raum 1 – Die Serie Kacheln bedecken die Wände, jede Kachel eine Fotografie. Der Augenblick, in dem Licht, Schatten und Objekt zu einer perfekten Inszenierung verschmelzen, ist hier nicht entscheidend. Stattdessen beschreiben Bilderreihen einen Zeitraum. Zum Beispiel den Zeitraum, in dem der dreidimensionale Winkel des CCTV-Headquarters von OMA in Peking zu einem Ge­bäu­de wurde. Ein Prozess, bei dem Größenwahn und Genialität nicht voneinander zu trennen sind. Man sieht fußballengroße Löcher in den Socken schlafender Arbeiter, gelbe Helmpunkte am Grund eines Sees rotbrauner Bewährung, den ikonischen Umriss des Hochhauses im Hintergrund eines Baumes, auf den ein Junge klettert. Momente architektonischer Extreme – die Grenzen des Menschenmöglichen auf der einen und das Gebaute als Staffage unseres Alltags auf der anderen Seite.
Raum 2 – Die Ikone Aufnahmen unterschiedlicher Formate hängen locker über die Wände verteilt. Sie zeigen Gebäude, die man von vielen Fotografien kennt, und doch muss man ein zweites Mal hinschauen, bevor aus einer Wüste weißer Metallschuppen das Dach der Elbphilharmonie wird. Tatiana Bilbao, Zaha Hadid, Toyo Ito, Francis Kéré und viele weitere große Namen haben ihre Architektur von Iwan Baan verewigen lassen. Auf meinem Lieblingsbild sieht man „The London Mastaba“, eine im Londoner Serpentine Lake schwimmende Installation aus 7500 gestapelten Stahlfässern von Christo und Jeanne-Claude. Das Bild handelt aber nicht von den im Sonnenuntergang leuchtenden Rottönen der Fässer. Es handelt vom Mann mit dem Rücken zum Fotografen, Christo selbst, der seine Installation in diesem Moment betrachtet und ihr durch seine Betrachtung Bedeutung verleiht.
Raum 3 – Die Metropole In würfelförmigen Gerüsten hängen Bildtafeln. Je ein Viertel jedes Würfels ist einer Metropole gewidmet. Geht man um sie herum, sieht man die Städte in unterschiedlichen Konstellationen vor- und nebeneinander: Rom neben Las Vegas, Houston vor Tokyo, Tokyo neben Los Angeles. Um die Aussichts­losigkeit einer vollständigen Bestandsaufnahme wissend, tastet Iwan Baan die großen Stadtkörper mit der Kamera ab. Er zoomt weit hinaus, zeigt die Strukturen, die Grafik der Straßen und Gebäude von oben und geht tief hinein, bis in die menschlichen Konflikte, zum Beispiel an der Grenze zwischen USA und Mexiko. Baans unaufgeregter, fast beiläufiger Blick fügt diesen politischen Szenen nichts hinzu. Er zeigt sie als Realitäten der Menschen vor Ort und überlässt der Betrachterin die Interpretation.
Raum 4 – Die Welt Von den Metropolen aus weitet sich das Spektrum der Motive am Ende der Ausstellung auf die ganze Welt. Hier skizzieren Fotografien die Bandbreite dessen, was wir Architektur nennen: Ein Vorhang, ein Zelt, eine Grube, ein Haus, ein Tempel. Diese Serien sollten in jedem Architekturstudium vorkommen, denn sie zeigen nicht nur Gebäude in allen Formen und Materialien, sondern auch, was sie Menschen bedeuten können. Man sieht sie als Unterschlupf, als Orte des Feierns und des Gebets und, egal wo auf der Erde, immer wieder als Zuhause.
Wer das Werk Iwan Baans ausstellt, kommt nicht umhin, viele Bilder zu zeigen, viel mehr, als man aus anderen Ausstellungskontexten gewohnt ist. Diese Bilderflut kann schnell überfordern. Mein Tipp: Nach der Hälfte eine Pause im Café gegenüber einlegen und den schönen Ausstellungskatalog zur Verdauung mit nach Hause nehmen. So kann sich das Mosaik der Momente zu einem Eindruck fügen, der Lust darauf macht, einmal mehr die Architekturbrille aufzusetzen und mit ihr durch die Welt zu gehen.

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