Bauwelt

Entwerfen und Gestalten mit Geflüchteten als interdisziplinäres Lehrprojekt

Im Rahmen eines gemischten Sommercamps wurden an der HCU grundlegende Fragen des Wohnens, Unterbringens und Arbeitens gestellt und in ein Projekt übersetzt

Text: Kniess, Bernd; Dell, Christopher; Peck, Dominique; Richter, Anna; Heinemann, Christoph; Behne, Marieke

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    Tag 2 im kooperativen Gutachterverfahren am Tisch von Atelier Bow-Wow und Tamotsu Ito Architect
    Foto: Rebecca Wall

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    Abbildung des erstplatzierten Gutachtens dieser Büros
    Abb.: Architekten

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    Diagramm in Vorbereitung des Verfahrens von Rebecca Wall und Marius Töpfer, „Die Polis war ein Partyzelt“
    Abb.: Architekten

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    Diagramm in Vorbereitung des Verfahrens von Rebecca Wall und Marius Töpfer, „Die Polis war ein Partyzelt“

    Abb.: Architekten

Entwerfen und Gestalten mit Geflüchteten als interdisziplinäres Lehrprojekt

Im Rahmen eines gemischten Sommercamps wurden an der HCU grundlegende Fragen des Wohnens, Unterbringens und Arbeitens gestellt und in ein Projekt übersetzt

Text: Kniess, Bernd; Dell, Christopher; Peck, Dominique; Richter, Anna; Heinemann, Christoph; Behne, Marieke

Der erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg wird an diesem Tag von einer Gruppe Studierender, Gewerbeschüler, Geflüchteter und Lehrender zunächst am öffentlichen Abschlusskolloquium der Sommerschule vorbeibegleitet, wo gerade das Modellprojekt „Begegnungshaus Poppenbüttel“ diskutiert wird. Die Gruppe läuft auf der Baustraße hinüber zum Minigolf Grand Prix. Der Bürgermeister bricht das Spiel auf Bahn 1 „Tor zur Stadt“ schnell wieder ab und locht dann auf Bahn 3 „Rampe in Netz“ mit dem ersten Schlag ein. Wieder zurück auf der Baustraße, geht es vorbei an einer „Support Structure“, in der ein DJ auflegt und ein Fernsehteam Aufnahmen macht, während nebenan, vor dem Küchencontainer, im freistehenden Herd die Kohlen glühen. Im ersten Stock des Infocontainers bekommt Olaf Scholz Recherchematerial zum Thema Selbstbau in die Hand gedrückt. Für einen freien Blick auf die Architekturmodelle, Plandarstellungen und Diagramme der projektstrukturierenden Phase des Modellprojektes müssen ihm die drei begleitenden Beamten vom LKA den Weg zum Holzunterstand frei machen, unter dem das Abschlusskolloquium stattfindet. Der Bürgermeister fragt nach den Möglichkeiten und den Fallstricken des Selbstbaus. Ihm gegenüber sitzen internationale Studierende, Gewerbeschüler, Geflüchtete und Nachbarinnen, die für das Projekt für 14 gemeinsame Tage zusammengekommen sind.
Im Zuge der Beschreibung von Raum- und Stadtproduktion kommen nicht nur die Wirksamkeiten sozialen Handelns zum Vorschein, sondern auch deren kaum zu bestimmende Komplexität und Heterogenität. Zwei grundlegende Eigenschaften der Produktion von Stadt werden hier sichtbar: Kontingenz und Unbestimmtheit. Was aber bedeutet das für die forschende Gestaltung und für die Frage des Gestaltens in der Forschung? Bei der interdisziplinär ausgerichteten Lehr- und Forschungs-Praxis an der HCU ist uns wichtig, diese Unbestimmtheit als Eigenschaft des Städtischen ernst zu nehmen und sie nicht in gewohnte Gewissheiten zu überführen, über sie hinwegzuplanen oder sie als bloß missliche Rahmenbedingung hinzunehmen. Wir suchen nach konstruktiven Wegen im Umgang mit Unbestimmtheit und wollen dafür alle möglichen Ressourcen erschließen, um sie für den Gestaltungsprozess verfügbar zu machen. Das Studio verbindet Lehre, Forschung und Praxis in- und außerhalb der Universität: Das Format der Sommerschule stellte 2016 und 2017 die Bedingungen für die Koproduktion eines Begegnungshauses im Rahmen des städtischen Wohnbauprogramms „Unterkunft mit Perspektive Wohnen“ zur Debatte, das eingangs beschrieben wurde.
Unser Motiv, aus der Untersuchung urbaner Praktiken heraus projektiv zu arbeiten und Konzepte und Entwürfe aus klaren Haltungen heraus zu entwickeln, verfolgt das Ziel, situative Bedingungen zu problematisieren und verfügbar zu machen. Studierende aktivieren dabei ihr „stilles Wissen“, um es im gemeinschaftlichen Projekt einzusetzen. Es geht dabei nicht darum, städtische Realitäten und differenzierte Lebensmodelle einfach abzubilden, sondern sie in diesem Gestaltungsprozess zu erweitern. Eine didaktische Herausforderung der disziplinübergreifenden Beschäftigung mit den Prozessen der Stadtproduktion besteht darin, Gestaltung und Wissensproduktion in den Fachbereichen „Urban Design“ und „Architektur“ zusammenzudenken. Studierende üben den Umgang mit heterogenen materiellen und sozial heterogenen Praktiken der (Re-) Produktion von Stadt. Die Logik raumproduzierenden Handelns lehrt nicht nur, dass Praktiken produktiv sind, sondern dass diese auch über einen erkenntnistheoretischen Wert verfügen. Das Urbane als relationales Wirkungsgefüge anzuerkennen, ist zentrale Prämisse für die inhaltliche Auseinandersetzung. Wenn diese Auffassung relationaler Wirkungsgefüge und ihrer möglichen Neu-Verschaltungen nicht nur für die Analyse genutzt wird, sondern auch bei Projektentwicklungen und Entwürfen eingesetzt wird, dann kann die Planung neue Möglichkeiten öffnen; dann wird etwa aus der Planung eines Begegnungshauses eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen des Wohnens, Unterbringens und Arbeitens.
Unser forschendes und gestaltendes Interesse geht über die Bestimmung des Was – „knowing that“ – hinaus und zielt auf das performative Wie – „knowing how“. Eine solche Vorgehensweise ist nötig, weil das heute eingesetzte Planungsinstrumentarium der Stadtentwicklung Defizite aufweist. In der Regel basiert es auf Mittelwerten, auf festgelegten Kategorien und Zuweisungen, die weder den heutigen urbanen Lebensweisen noch deren absehbarer Entwicklung in Zukunft gerecht werden. Teilhabe, Mitbestimmung und Mitverantwortung zu ermöglichen, ist aber eine wesentliche Anforderung an eine zeitgemäße Stadtentwicklung, die das Wissen der Vielen auch einzusetzen versteht. Mit Hilfe von forschender Intervention und intervenierender Forschung suchen wir zunächst einmal auch jene Verbindungen des Städtischen greifbar zu machen, die die verallgemeinernde Planung außer Acht lässt. Im Fall des Begegnungshauses Poppenbüttel ging es darum, Geflüchtete, die bloß untergebracht werden und nicht arbeiten dürfen, die aber von Beruf her Architektinnen, Restaurant- oder Hotelbetreiber, Schuster, Einzelhandelskauffrauen oder Taxifahrerinnen sein mögen, mit den alteingesessenen Nachbarn der gut situierten, von Einfamilienhäusern geprägten Nachbarschaft sowie mit Studierenden und mit Architektinnen aus renommierten Architekturbüros zusammenzubringen und sie alle gemeinsam entwerfen zu lassen.

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