Essen, Küche, Kunst
Essen als existenzelle und kulturelle Erfahrung in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Essen, Küche, Kunst
Essen als existenzelle und kulturelle Erfahrung in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Gourmet-Hauptstadt wird Bergisch Gladbach gerne genannt. Der Ruf begründet sich auf zwei, mit Michelin-Sternen dekorierten Spitzenrestaurants, wovon das eine – mit drei Sternen sogar – in der bis 1975 selbständigen Stadt Bensberg liegt, in deren neuem Schloss. Das alte Schloss wiederum ist in dem üppigen Rathausbau aufgegangen, den Gottfried Böhm hier zwischen 1964 und 1969 errichtete. Architekten, zumindest diejenigen, die noch mit Bleistift, Rapi und Transparentpapier operierten, wissen aber auch um die ehemals bedeutenden Feinpapierwerke der Firma Zanders in Bergisch Gladbach. Die eindrucksvolle Fabrikantenvilla der Zanders, ein dreigeschossiger, mit Sandstein gegliederter Ziegelbau im französischen Renaissancestil, ist seit 1992 Sitz des Kunstmuseums. Ihr gegenüber liegt ein weiterer Böhm-Bau: das Bürgerhaus Bergischer Löwe mit seiner roten Blechfassade (1977). Die architektonische und vor allem die kulinarische Gediegenheit steht allerdings im Kontrast zum angeschlagenen Gemeinwesen: Die Kommune ist mehr als klamm, und rund 4500 ihrer knapp 110.000 Einwohner sollen Lebensmittel durch die örtliche Tafel beziehen.
Die Villa Zanders zeigt derzeit die Ausstellung „Topf und Deckel – Kunst und Küche“. Mit über 30 Exponaten thematisiert sie das Essen als existentielle und kulturelle Erfahrung: die menschliche Nahrung und ihre Darbietung als Objekt und Metapher in der bildenden Kunst sowie Apparaturen der Küche in all ihren Facetten und Extremen. Zu letzteren zählen Installations-Experimente wie Stefan Wewerkas Küchenbaum von 1984 oder aktuellere Design-Studien für mobile Küchenmodule, etwa von Claudia Musch oder dem Stuttgarter Duo Stadtnomaden. Wer jemals mehr zubereitet hat, als den Inhalt einer Dose Ravioli zu erhitzen, weiß, wie funktional unzureichend derartige Einrichtungen im Alltag wären. Sie sind als Aufforderung zu verstehen, die räumliche Disposition der Küche, die als Ort des Herdfeuers den magischen Nukleus des Wohnens bildet, ständig zu überdenken.
Der Katalog gibt mit zwei Artikeln zur Architekturgeschichte der Küche inhaltliche Hilfestellung. Die Frankfurter Küche von Margarte Schütte-Lihotzky etwa wird als emanzipative Neuerung (kleinbürgerlichen) Wohnens in Erinnerung gerufen, geboren aus der Not der Zwischenkriegsjahre: Die Küche, fest eingebaut, gehörte nun zum Architektur-Programm der Wohnung, war nicht länger individuelles, kostspieliges Mobiliar. Die (gutbürgerliche) Kritik an diesen winzigen Arbeitsküchen – von der Frauenbewegung als isolierende Einzelhaft geschmäht – führte ab den 60er Jahren zur Neuauflage der Familien-Allraum-Wohnküche, in hygienisch einwandfreier, großzügiger Dimension. Heute sind Interieur und Inventar der Küche zum teuren Prestigeobjekt geworden; auch wenn dort häufig nicht mehr als Convenience-Produkte angerichtet werden.
Diese aktuelle mentale Armut konfrontiert die Ausstellung mit appellativer Kunst aus Zeiten echten Mangels in Europa: Picassos ausgemergelte Gestalten vor ihrem kargen Mahl, Käthe Kollwitz’ Spendenaufruf zugunsten hungernder Kinder. Ethische Anliegen durchziehen aber auch schon das Küchenstillleben aus dem 17. Jahrhundert, dem zeitlichen Beginn der Schau. Das Arrangement aus Hummer, Austern, Früchten und Wein von Alexander Coosemans (1627–1689) ist eben nicht nur die opulente Präsentation von Reichtum und luxuriöser Speise, sondern auch die Vergegenwärtigung des unausweichlichen Verfalls und der Sterblichkeit.
Dem Food-Styling moderner Medien indes geht jegliche allegorische Dimension ab, die Wertschätzung der Nahrung ist in Zeiten agroindustrieller Massenproduktion weitgehend verloren. Mahlzeitstillleben des 21. Jahrhunderts erinnern nur noch als Persiflage an ihre Vorbilder, so etwa der überdimensionale Schokopudding, den Karin Kneffel 2011 fotorealistisch in Öl bannte – bezeichnenderweise eine Leihgabe der Kunstsammlung Dr. Oetker. Auch das große Büffet, wiederum mit Hummer, von Patricia Waller, eine Strick- und Häkelarbeit, entwaffnet in seiner Absurdität. Die Küche kann für einen alten Menschen, vollkommen auf sich zurückgeworfen, aber auch zum finalen Schutzraum werden. Knut Maron zeigt in der Fotoserie, die er über lange Jahre im Haus seiner Mutter fertigte, deren detailreichen Mikrokosmos.
Natürlich fehlt der Hannoveraner Dieter Froelich nicht in diesem Querschnitt. Nach Studien bei Peter Kubelka an der Städelschule in Frankfurt am Main hat Froelich das Kochen als performative Kunstgattung entwickelt. In seiner mobilen „Restauration a.a.O.“ pflegt er die kulinarische Archäologie anhand archetypischer Speisen. Sein Gastmahl aus sieben Gängen wird am 8. März die nachdenkliche Ausstellung beschließen. Bettina Maria Brosowsky
0 Kommentare