Gesunder Boden
Zwischen Denkräumen und Handlungsempfehlungen: Die Ausstellung „Save Land“ in Bonn
Text: Kasparek, David, Bonn
Gesunder Boden
Zwischen Denkräumen und Handlungsempfehlungen: Die Ausstellung „Save Land“ in Bonn
Text: Kasparek, David, Bonn
Im Rahmen der „Global Land Initiative“ haben sich die G20-Länder innerhalb der Vereinten Nationen darauf verständigt, bis 2030 weltweit eine Milliarde Hektar Land zu renaturieren. Das entspricht einer Fläche, die größer ist als Kanada – oder etwas kleiner als der gesamte europäische Kontinent. Der Hintergrund ist ebenso ernst wie einleuchtend: Nur 29 Prozent der Erdoberfläche ist nicht mit Wasser bedeckt und kommt deswegen überhaupt für uns als Lebensraum infrage – wenn man einmal von libertären Träumereien absieht, nach denen sich schwimmende Ansiedlungen in einer mehr oder minder nahen Zukunft jeglichem staatlichen Zugriff entzogen haben könnten. Boden also, den wir landwirtschaftlich und damit für unsere Ernährung nutzbar machen können, ist rar und er wird täglich weniger. Von den 29 Prozent der weltweiten Landfläche gelten wiederum heute schon 40 Prozent als verödet. Durch unser Verhalten verlieren wir jedes Jahr nutzbare Böden von einer Fläche, die fast dreimal so groß ist wie Deutschland.
Wer also heute darüber redet, was gegen „illegale Migration“ unternommen werden kann, der könnte zum Beispiel auch auf den Gedanken kommen, dass Menschen ihre Heimat vor allem deswegen verlassen, weil es dort im wahrsten Wortsinn keine wirtschaftliche Grundlage mehr für ihr Leben gibt, nämlich bestellbare, gesunde Böden. Akut bedroht von dieser fortschreitenden Landzerstörung sind derzeit mehr als drei Milliarden Menschen weltweit. Früher oder später wird es sie dorthin ziehen, wo Leben noch möglich ist. Auch vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen zur Renaturierung möglichst weiter Landstriche so wichtig, bekämpfen sie doch weitaus effektiver sogenannte „Fluchtursachen“ als symbolpolitischer Aktionismus an innereuropäischen Grenzen.
Auch das wird klar in der bemerkenswerten Ausstellung „Save Land. United for Land“, die anlässlich des 30-jährigen Bestehens des UN-Programms zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) in der Bundeskunsthalle in Bonn läuft. Die Schau nimmt sich der grundlegenden Frage an, wie wir Böden nicht nur schützen, sondern die für uns nutzbare Fläche wieder vergrößern können. Dabei glänzt die Schau schon mit der Art und Weise, wie die erklärenden Texte präsentiert werden: Neben einer ausführlichen und mitunter mit Fachwörtern versehenen Version der einführenden Erläuterungen findet sich immer auch eine Texttafel in einfacher Sprache. So ist schon der Zugang zur Ausstellung niedrigschwellig.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Henriette Pleiger, Tony Simons und Wagaki Wischnewski. Diesem Team ist eine Schau für fast alle Sinne gelungen. Text, Bild und Ton, zum Sehen, Hören und Anfassen: Bedrückende Fakten über unseren Umgang mit dem nicht vermehrbaren Gut Boden wechseln sich mit lehrreichen Ausführungen über dessen Entstehung ab, kombiniert mit Kunstwerken von Julius von Bismarck, Cao Fei, Ximena Garrido-Lecca, Richard Long, Liam Young und anderen. Die Kunst ist an thematisch passenden Stellen in die immersive Ausstellung eingestreut und lädt so dazu ein, den eigenen Gedanken nachzuhängen und die gesehenen Tatsachen um eigene Interpretationen und Schlussfolgerungen zu erweitern – oder mitunter auch einfach nur als Anker des Schönen. Die Daten und Fakten sind interaktiv auf Schautafeln oder raumgreifenden Installationen präsentiert. So gibt es etwa einen Globus, auf dem die Besuchenden auswählen können, welche Bereiche der Erdoberfläche mit Wäldern, Grasland oder Wüsten belegt sind, präzise nachvollziehbare Schaubilder, was gesunden Boden ausmacht und wie lange es braucht, um ihn zu bilden (lange) und wie viel gesunden Boden es noch gibt (immer weniger), großflächige Projektionen unterschiedlicher Vegetations- und Klimazonen sowie utopischer Siedlungsformen oder Monitore mit Echtzeitdaten der Entwicklung vermeintlicher Anpflanzungen auf dem Mars.
„Save Land“ macht auch deutlich, welche Rolle Städte bei der Bodenzerstörung auf der einen und den Überlebenschancen unserer Spezies auf der anderen Seite spielen: Jenes Habitat also, in dem schon heute über die Hälfte der Menschen weltweit lebt – bis 2050 werden es wahrscheinlich zwei Drittel der globalen Bevölkerung sein. Sowohl künstlerisch wie konkret geht die Ausstellung der Frage nach, wie das Leben in Städten ökologischer werden kann und welche Rollen dabei Architektur, Kommunen und jede und jeder Einzelne spielen kann.
Die Stärke der Ausstellung besteht dabei darin, die Besuchenden nicht bloß mit dem desillusionierenden Status quo zurückzulassen, sondern sowohl durch die künstlerischen Arbeiten individuell füllbare Denkräume zu öffnen als auch gelingende Beispiele des Wandels aus unterschiedlichen Weltregionen, vor allem aber ganz konkrete Ansätze zu liefern, wie wir alle unseren eigenen Lebenswandel adaptieren und damit den Boden schützen können. Diese Ansätze, mit denen die Ausstellung die Besuchenden wieder in die Welt da draußen entlässt, sind dabei ebenso niedrigschwellig wie die einleitenden Erklärungstexte. So verharrt „Save Land“ nicht nur im anklagenden Aufzeigen der Missstände, sondern geht den ermunternden Schritt weiter und macht deutlich, wie und wo jede und jeder selbst Hand anlegen und den eigenen Lebenswandel adjustieren kann.
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