Hauslandschaften
Chen Kuen Lee in der ifa-Galerie Stuttgart
Text: Kögel, Eduard, Berlin
Hauslandschaften
Chen Kuen Lee in der ifa-Galerie Stuttgart
Text: Kögel, Eduard, Berlin
Als der damals staatenlose Chinese Chen Kuen Lee (1915–2003) 1953 in Westberlin und in Stuttgart Architekturbüros eröffnete, war das für die Zeit außergewöhnlich. Seine von der langjährigen Mitarbeit bei Hans Scharoun geprägte Architektur erstaunt auch heute noch. Neben einigen chinesischen Restaurants und wenigen Gewerbebauten befasste sich Lee vor allem mit Wohnungsbau. Vom kleinen Einfamilienhaus über Villen in der Landschaft, Apartmenthäuser im städtischen Kontext bis zum sozialen Wohnungsbau im Märkischen Viertel in Berlin reicht die Bandbreite. Die meisten seiner über sechzig realisierten Bauten, einige heute denkmalgeschützt, stehen jedoch in Süddeutschland.
Die ifa-Galerie in Stuttgart zeigt nun in einer von Michael Koch und Valérie Hammerbacher kuratierten Ausstellung zwanzig Wohnbauten unter dem Titel „Hauslandschaften“. Chen Kuen Lee, der 1931 aus Shanghai zum Studium nach Berlin kam, fand nach dem Diplom 1937 für sechs Jahre im Büro von Hans Scharoun Unterschlupf, dann folgte er 1943 dem Chinaforscher Ernst Boerschmann nach Bad Pyrmont und blieb am Ende des Krieges auf dem Weg nach Dänemark in Schobüll an der Nordsee hängen. Bei Boerschmann begann er eine Dissertation zum traditionellen chinesischen Städtebau, an der er bis zu seiner Rückkehr ins Büro von Scharoun 1949 arbeitete, ohne sie zu beenden. Weitere vier Jahre blieb Lee bei Scharoun, bevor ihm dieser über seinen großen Freundeskreis Kunden vermittelte und ihn damit in die Selbstständigkeit entließ.
Im Büro von Scharoun erlebte Lee die Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekten Hermann Mattern. Die Verbindung von Bauwerk und Landschaft, die durch Lees Arbeit bei Boerschmann mit chinesischen Themen genährt wurde, stand im Mittelpunkt seiner Entwurfshaltung. So wundert es nicht, dass er viele Projekte mit Landschaftsarchitekten wie Hermann Mattern und später mit dessen Schüler Hannes Haag realisierte. Auch arbeitete er regelmäßig mit dem ehemaligen Assistenten Scharouns Günter Ssymmank zusammen, dessen feingliederige, elegante Treppen und Balustraden die Innenräume der Wohnhäuser wesentlich prägen.
Der Untertitel der Ausstellung, „Organisches Bauen in Stuttgart, Berlin und Taiwan“, verweist auf den Begriff organische Architektur, den Häring und Scharoun in Anlehnung an Frank Lloyd Wright synonym mit Neuem Bauen verwendeten. Die Entwurfsentwicklung von Innen nach Außen versucht die Ausstellung mit dem Phänomen des Ineinandergreifens von Landschaft und Architektur kompakt zusammenzufassen. Daneben wird die Einbindung Lees in das Netzwerk der Moderne, seine Lehrtätigkeit in Taiwan (1981–95) sowie die Frage der Transkulturalität thematisiert. Zum Beispiel brachte die während der Kriegsjahre von Lee, Häring und Scharoun gemeinsam geführte Auseinandersetzung mit der traditionellen chinesischen Architektur in ihren Bauten komplexe, kristalline Raumfiguren und Dachlandschaften hervor – letztere eine besondere Pointe angesichts des von den Nationalsozialisten erzwungenen Steildachs. Lees Bauten veranschaulichen darüber hinaus den Mut zum Experiment, das seine Anregung von der Avantgarde der Vorkriegszeit erfuhr.
Zu Lebzeiten Lees blieb seine Architektur einem kleinen Kreis von Kennern vorbehalten. Mit der Ausstellung in der ifa-Galerie wird zum ersten Mal gezeigt, welch kreative Raumschöpfung und welch komplexe Beziehung zwischen Innen und Außen seinen Architekturbegriff prägten. Die versetzt angelegten Wohntableaus werden meist mit gefalteten Dachkonstruktionen beschirmt, der offene Grundriss zeugt von uneingeschränkter Freude am Raum bevor Energiekosten einen Deckel auf die künstlerische Freiheit legten.
Nur wenige seiner Bauten wurden nach Fertigstellung professionell dokumentiert. Bis Anfang der sechziger Jahre fotografierte Ernst Deyhle die Häuser Lees, in den folgenden Jahren blieben meist private Schnappschüsse die einzigen Dokumente. Dies mag ein Grund dafür sein, warum Lees Werk in der Öffentlichkeit wenig Beachtung fand. Auch ein latenter Rassismus gegen den „kleinen Chinesen“, wie ihn manche Baubeamte nannten, wenn sie Bauherren vor seinen „schwierigen“ Entwürfen warnten, mag dazu beigetragen haben.
Für die Ausstellung hat die ifa-Galerie Fotografen beauftragt, einige Häuser neu abzulichten und so, fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung, ihre noch immer spektakuläre Integration in die Landschaft zu dokumentieren. Daneben liefert die sehenswerte Ausstellung historische Fotos und Pläne auf Bannern, sowie einige Modelle, ein Tondokument und eine Installation des Künstlers Jaro Straub.
0 Kommentare