Lebende Bauwerke
Im neueröffneten „LindenbauMuseum“ in Neudrossenfeld erfährt man alles über geleitete Linden
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Lebende Bauwerke
Im neueröffneten „LindenbauMuseum“ in Neudrossenfeld erfährt man alles über geleitete Linden
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Neudrossenfeld liegt auf halbem Weg von Kulmbach nach Bayreuth. Mitten im Dorf, gleich neben dem vom jungen Gontard ab 1752 umgebauten Schloss und seinem Terrassengarten, befindet sich das heute „Bräuwerck“ genannte Areal der ehemaligen Brauerei Hölzel. Am Südrand dieses um 1700 entstandenen Gasthof- und Brauerei-geländes, direkt an der Hangkante über dem Tal des Roten Main, steht ein seltsamer Baum. Eine alte Linde, die untersten Äste merkwürdig gewachsen; fast horizontal zunächst vom Stamm weg sich spreizend, um dann fast senkrecht emporzusteigen. Unter den Ästen Überreste steinerner Säulen. Was hat es damit auf sich?
Seit Ende September kann man mehr über diesen Baum und andere, ähnliche Linden erfahren, die sich einst in vielen Dörfern und Städten Mittel- und Süddeutschlands fanden und dort über Jahrhunderte als ein Mittelpunkt der Dorfgemeinschaften und Stadtgesellschaften fungierten (in der Umgebung von Neudrossenfeld, in Limmersdorf und Peesten, finden sich zwei weitere Exemplare). Ende September eröffnete auf dem Bräuwerck-Areal das „LindenbauMuseum“ in einem ehemaligen landwirtschaftlichen Nebengebäude, das für diese Bestimmung von den Büros Christoph Gatz, Bamberg, und H2M, Kulmbach/München, im Zuge der Revitalisierung des gesamten Ensembles umgebaut worden ist. Die Arbeitsgemeinschaft hat auch den kubischen Ausstellungsneubau geplant, dessen Obergeschoss rechts neben der Linde über die Hangkante ragt und künftig Kunst nach Neudrossenfeld bringt. Die Ausstellung zeigt, was der in Innsbruck lehrende Bauhistoriker Rainer Graefe in vielen Jahren über diese „lebenden Bauwerke“, die im frü-
hen Mittelalter häufig als Gerichtssitz und später meist als Tanzdiele dienten, erforscht hat. Denn um „Bauwerke“ handelt es sich bei den Bäumen insofern, als ihre Form vom Menschen gemacht ist: Die Äste wurden geleitet, um eine über eine Leiter begehbare, mit Dielen auslegbare Ebene zu schaffen, der die Zweige auch gleich eine belaubte „Außenwand“ lieferten. Die Last, die diese Ebene etwa beim „Tanz auf der Linde“ zu tragen hatte, wurde über steinerne oder hölzerne Säulen abgetragen, die die Äste des Baumes stützen. Das Dach des Bodens formten die nächsten, ebenfalls in die Horizontale geleiteten Zweige, die mitunter auch als ein zweiter Boden genutzt wurden, dessen Dachzweige als ein dritter.
Die – schon lange zerstörte – Linde von Pressburg (heute Bratislava) war die mit sieben Stu-
fen höchste der bekannten geleiteten Linden; von einer Zwiebelhaube bekrönt, fügte sie sich als Architektur in die Silhouette der Stadt. Anhand von Modellen im Maßstab 1:20, die an der TU Innsbruck entstanden, historischen Darstellungen sowie Aufmaßen und Fotografien der heute noch existierenden Linden werden die Bäume und ihre Besonderheiten dem Besucher nahe gebracht, auf eine ebenso anschauliche wie informative Weise. Übrigens sind selbst in Schinkels Werk zwei Stufenlinden zu finden: eine von ihm gezeichnete neben dem Schloss Charlottenhof, die tatsächlich existierte, und eine erfundene, die er 1820 in sein Gemälde „Schloss am Strom“ hineingemalt hat. Ulrich Brinkmann
hen Mittelalter häufig als Gerichtssitz und später meist als Tanzdiele dienten, erforscht hat. Denn um „Bauwerke“ handelt es sich bei den Bäumen insofern, als ihre Form vom Menschen gemacht ist: Die Äste wurden geleitet, um eine über eine Leiter begehbare, mit Dielen auslegbare Ebene zu schaffen, der die Zweige auch gleich eine belaubte „Außenwand“ lieferten. Die Last, die diese Ebene etwa beim „Tanz auf der Linde“ zu tragen hatte, wurde über steinerne oder hölzerne Säulen abgetragen, die die Äste des Baumes stützen. Das Dach des Bodens formten die nächsten, ebenfalls in die Horizontale geleiteten Zweige, die mitunter auch als ein zweiter Boden genutzt wurden, dessen Dachzweige als ein dritter.
Die – schon lange zerstörte – Linde von Pressburg (heute Bratislava) war die mit sieben Stu-
fen höchste der bekannten geleiteten Linden; von einer Zwiebelhaube bekrönt, fügte sie sich als Architektur in die Silhouette der Stadt. Anhand von Modellen im Maßstab 1:20, die an der TU Innsbruck entstanden, historischen Darstellungen sowie Aufmaßen und Fotografien der heute noch existierenden Linden werden die Bäume und ihre Besonderheiten dem Besucher nahe gebracht, auf eine ebenso anschauliche wie informative Weise. Übrigens sind selbst in Schinkels Werk zwei Stufenlinden zu finden: eine von ihm gezeichnete neben dem Schloss Charlottenhof, die tatsächlich existierte, und eine erfundene, die er 1820 in sein Gemälde „Schloss am Strom“ hineingemalt hat. Ulrich Brinkmann
0 Kommentare