Raumempfinden
In der Bonner Bundeskunsthalle kann ein nervenaufreibender Parcours von Räumen des Künstlers Gregor Schneider begangen werden
Text: Winterhager, Uta, Köln
Raumempfinden
In der Bonner Bundeskunsthalle kann ein nervenaufreibender Parcours von Räumen des Künstlers Gregor Schneider begangen werden
Text: Winterhager, Uta, Köln
Achtung, meine Kleidung könnte schmutzig werden, ich könnte stolpern, mich stoßen, ich könn-te Angstzustände bekommen, die Orientierung verlieren, gesundheitliche Beeinträchtigungen davontragen. Das klingt vielversprechend für eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle. Ich möchte Gregor Schneiders „Wand vor Wand“ besuchen. Dann die Entwarnung: Ich könne mich jederzeit an die Aufsichtspersonen wenden, sie seien mit Taschenlampen ausgestattet und würden im Notfall eine Fluchttür öffnen. Ein Kompromiss, ein Zugeständnis der Institution. Der Künstler allerdings macht keine Kompromisse.
Grob umrissen könnte man sagen: Gregor Schneider (Jahrgang 1969) sammelt Räume. Seit dreißig Jahren trägt er sie zusammen, baut sie nach, zerstört sie, löst sie aus ihrem Kontext. Fast immer sind es gewöhnliche Räume, Zimmer, mit denen er, so Kurator Ulrich Loock, „an einige der empfindlichsten Schmerzpunkte der Gesellschaft rührt“. Für Bonn hat Schneider einen Parcours aus zwanzig Räumen entwickelt.
Dass es zwanzig sind, entnehme ich dem Pressetext, denn wie angekündigt verliere ich erst die Orientierung, taumle dann in einer Mischung aus Angst und Neugier vom Dunkel ins Helle, vom Kalten ins Warme, krieche durch ein Rohr und einen Schrank, versuche flach zu atmen, weil die Luft schlecht ist. Ich bin ein Opfer der Kunst, spiele das Spiel des Sich-Verlierens mit und bin am Ende ein wenig mehr berührt denn erleichtert, als ich feststelle: Wir sind noch im Museum, der Boden ist sicher, das Licht kontrolliert, die Räume sind klimatisiert. Selten war eine Ausstellung so Anti-White-Cube.
„Wand vor Wand“ bezieht sich auf Schneiders erste Intervention im „Haus u r“, einem Haus in der Unterheydener Straße in Mönchengladbach-Rheydt, in dem der damals Sechzehnjährige begann, Räume in Räumen zu verdoppeln, Decken und Böden zu motorisieren, Zugänge abzuschneiden. Auch in seinem jüngsten Werk, das er an den Anfang der Bonner Schau gestellt hat, steckt etwas von „Haus u r“, dessen Keller und Straßenabschnitt: „Kolkata Goddess“, ist ein Tempelbau samt Göttinnen, den Schneider 2011 für das Durga-Purja-Festival in Kolkata realisierte. Vier Millionen Pilger strömten durch ein Loch in den um 90 Grad gedrehten Keller, der mit einem 30 Meter hohen Straßennachbau aus Lehm, Holz und Bambus zum Heiligtum wurde.
Verstümmelte Strohpuppen sehen und riechen wir, hinter ihnen laufen Projektionen des Festivals, schrille, bunte Filme, schnelle Schwenks, alles irgendwie unaufhaltsam, schwindelerregend. Kaum möglich, danach die unheimliche Stille der sterbenden Dörfer im Einzugsgebiet des niederrheinischen Braunkohletagebaus zu verstehen. Die „Hauptstraße, Garzweiler 2008“ war 2008 schon tot, heute gibt es sie nicht mehr. Hinter einer Tür beginnt die Folge der Räume, deren unmittelbares Nacheinander eine ganz andere Lesart jedes einzelnen erzwingt.
Die unheimliche Stille der Hauptstraße wird weitergeführt in einem Gang, hochglänzende Wände, Schiebetüren in dunklem Rot, der Boden – man riecht es – Linoleum, die Decke um die gleißenden Leuchten schallisoliert. „Passageway Nr. 1“ heißt die Arbeit, die einen Zellentrakt aus Guantanamo abbildet, so wie die, die lebend dort herausgekommenen sind, ihn beschrieben haben. Die Instrumente der Weißen Folter, die äußerlich keine Spuren hinterlassen, sind hier nicht sichtbar, doch spürbar. Und plötzlich wird auch eine Garage unheimlich: Weil hier ein Trinker einsam und heimlich gesoffen hat? Dann ein Badezimmer mit laufender Dusche, ein Kinderzimmer ohne Kindliches, muffige Kellerräume, eine Liebeslaube ohne Liebe und mitten darin der Sterberaum: zwei Fenster, zwei Türen, Lampen, Parkettboden – der Nachbau eines Zimmers aus Mies von der Rohes Haus Lange in Krefeld.
Als Schneider 2008 den Wunsch äußerte, einen Menschen in einem Ausstellungsraum sterben zu lassen, erhielt er Morddrohungen. Hier stirbt niemand, aber allein der Gedanke daran beweist, dass der Tod nicht, wie Schneider es anregt, aus der Tabuzone herausgerissen werden kann. „Wand an Wand“ fühlt sich genauso an: wie eine Tabuzone. Menschen liegen auf dem Boden, zwei von ihnen könnten echt sein. Alles, was wir hier sehen, in dem wir uns bewegen, sind Bilder, die erschrecken – weil sie echt sind.
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