Zwei Labore der Moderne
WChUTEMAS und Bauhaus – Ausstellungen in Berlin und Dessau
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Zwei Labore der Moderne
WChUTEMAS und Bauhaus – Ausstellungen in Berlin und Dessau
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Auf der letztjährigen Architektur-Biennale in Venedig kommentierte Russland das von Rem Koolhaas vorgegebene Motto „Absorbing Modernity 1914–2014“ mit einem parodistischen Beitrag. Eine fingierte Baumesse präsentierte die Grundfeste russischer Baukultur, darunter auch eine Neuauflage der Architekturschule WChUTEMAS, die 1920 gegründet und bereits 1930 wieder aufgelöst wurde. Biennalebesucher durften mit Knetmasse das pädagogische Konzept der Schule probieren; in schlichten Regalen wurde zudem der Inspirationsquell postrevolutionärer Architekturformen demonstriert, die in manch einem aktuellen Investorenprojekt in Moskau oder St.Petersburg megalomane Wiederauferstehung erleben.
Vom ästhetischen und didaktischen Wirken der WChUTEMAS geht eine ungebrochene Faszination geht aus. Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin belegt dies eindrucksvoll anhand von rund 250 Architekturskizzen, Planzeichnungen und Modellen aus dem Moskauer Schtschussew Museum für Architektur. Die „Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten“, so die Dechiffrierung des Namenskürzels WChUTEMAS, wurden nach der Oktoberrevolution aus dem Zusammenschluss mehrerer Akademien geschaffen, um Künstlern und Architekten, die die Revolution befürworteten, zu institutioneller Wirkmacht zu verhelfen. Ihre avantgardistischen Impulse sollten in den Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft einfließen, die von der Kunst unter der synthetisierenden Ägide der Architektur und einer breiten Volksbildung gleichermaßen getragen würde.
Während das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus zeitlebens eine exklusive Einrichtung mit jährlich etwa 150 Studienanfängern blieb, wurden die WChUTEMAS in der neu ernannten Hauptstadt Moskau von Beginn an auf rund 1500 Neueinschreibungen pro Jahr ausgelegt. Nicht nur aufgrund dieser Größe, sondern auch, weil die künstlerische Avantgarde keinesfalls unumstritten war, gliederte sich die unter den acht Fakultäten dominierende Architektur in mehrere, durchaus widerstrebende Abteilungen, darunter auch „Akademische Werkstätten für eine lebendige Klassik“. Sowohl die kritische Aneignung der Kunst der Vergangenheit als auch revolutionäre Ausrichtungen galten als Bestandteile einer sozialistischen Kultur; keine Richtung sollte eine andere verdrängen, so lautete die Programmatik.
Zwischen Mystizismus und Utopie
Das dialektische Nebeneinander von Tradition und Avantgarde schuf die wohl einzigartig schöpferische Atmosphäre der Institution, bedingte aber auch ihre heftige Streitkultur sowie ein unüberschaubares Parallelsystem verwissenschaftlichter Lehrmethoden zwischen orthodox-russischem Mystizismus und technologischer Utopie. Der auch in Westeuropa stark beachtete Konstruktivismus um den erfolgreichen Architekten und Künstler Alexander Wesnin stand im Wettstreit mit der experimentellen Architektur Konstantin Melnikows und dem psychoanalytisch fundierten Rationalismus von Nikolaj Ladowski und Wladimir Krinski. Gemeinsam wiederum grenzten sie sich gegen den Akademismus ab. Ladowskis systematische Lehre der „Disziplin Raum“ wurde Basis des mehrjährigen Vorkurses aller Fakultäten, die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Künstlern obligatorisch, ebenso die Arbeit am Modell. Einer wissenschaftlichen Ausrichtung auf die Prozessoptimierung der Bauproduktion entsprach 1927 die Umbenennung in Künstlerisch-Technisches Institut. Auch wenn sich die Entwurfs- und Diplomaufgaben mit realen Bauvorhaben beschäftigten, den Studenten mangelte es an Praxisbezug. Dies führte 1930 zur Auflösung unter der sich verfestigenden politischen und ästhetischen Diktatur Stalins.
In den nur zehn Jahren ihres Bestehens entfachten die WChUTEMAS die stürmische Produktivität eines gesellschaftlichen Experiments.
Der Austausch mit dem Westen wurde trotz Sanktionen, etwa der Welthandelsblockade, inten-
siv gepflegt: El Lissitzky und Wassily Kandinsky wirkten an den WChUTEMAS und in Deutschland, Bauhäusler folgten Einladungen nach Moskau. Auf der Pariser „Exposition des Arts Décoratifs“ sorgte die Sowjetunion 1925 mit dem epheme-ren Pavillon von Melnikow nicht nur für ästhetisches Aufsehen, sie erhielt dort auch den Grand Prix d’Architecture.
Der Austausch mit dem Westen wurde trotz Sanktionen, etwa der Welthandelsblockade, inten-
siv gepflegt: El Lissitzky und Wassily Kandinsky wirkten an den WChUTEMAS und in Deutschland, Bauhäusler folgten Einladungen nach Moskau. Auf der Pariser „Exposition des Arts Décoratifs“ sorgte die Sowjetunion 1925 mit dem epheme-ren Pavillon von Melnikow nicht nur für ästhetisches Aufsehen, sie erhielt dort auch den Grand Prix d’Architecture.
Das verprügelte Gefühl
Während das sowjetische Ausbildungsmodell die freien und die angewandten Künste, die Tradition und das utopische Potenzial gleichermaßen an einen gesellschaftlichen Auftrag band, sah sich das Bauhaus ausschließlich als Protagonist moderner Alltagskultur. Der russische Dichter Ilja Ehrenburg schätzte es zwar als einzig lebendige Kunstschule Deutschlands, die an die Moskauer WChUTEMAS erinnere, nur fehle eben die totgesagte Kunst: Man habe das Gefühl mit dem Lineal verprügelt. Dem künstlerischen Mangel dieser puritanischen Ausrichtung begegnete eine ganze Reihe von Bauhaus-Schülern, indem sie abseits des offiziellen Lehrprogramms der verfemten Staffelei-Malerei nachgingen – so wie ihre russischen Kollegen. Erst zum Wintersemester 1926/27 wurde am Bauhaus das Seminar für freie plastische und malerische Gestaltung eingerichtet. Freie Malklassen unter Wassily Kandinsky und Paul Klee institutionalisierten ab 1928 die bildende Kunst. Eine kleine Ausstellung zeigt derzeit rund 150 Arbeiten von über 60 Schülern am historischen Ort in Dessau. Die jungen Bauhaus-Künstler schienen, quer durch alle Disziplinen, die neue Freiheit begeistert angenommen zu haben, ihre Kreativität reicht vom konstruktivistischen Objekt bis zum expressionistischen Porträt. Eine erste Ausstellung im Halleschen Kunstverein 1929 bestätigte den Erfolg. Der Schweizer Student Xanti Schawinsky collagierte in fast postmodernem Stilpluralismus das Plakat „Klassische Architektur“: über Säulen und Kapitellen der markante Balkon des Dessauer Atelierhauses.
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