Bauwelt

Learning from Latin America

Lateinamerikanische Architektur im MoMA

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    The United Nations Economic Commission for Latin America and the Carribean (CEPAL), Santiago, Chile, 1962–1966 von Emilio Duhart
    Foto: Courtesy PUC Archivo de Originales

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    The United Nations Economic Commission for Latin America and the Carribean (CEPAL), Santiago, Chile, 1962–1966 von Emilio Duhart

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    Bank of London and South America, Buenos Aires, Argentina, 1959–1966 von Clorindo Testa
    Foto: Archivo Manuel Gomez Piñeiro

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    Bank of London and South America, Buenos Aires, Argentina, 1959–1966 von Clorindo Testa

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    Edificio Palmas, Mexiko City, 1955 von Juan Sordo Madaleno
    Foto: Guillermo Zamora, Museum of Modern Art, NY

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    Edificio Palmas, Mexiko City, 1955 von Juan Sordo Madaleno

    Foto: Guillermo Zamora, Museum of Modern Art, NY

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    Torres del Parque Residencial, Bogotá, 1964–1970 von Rogelio Salmona
    Foto: Leonardo Finotti

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    Torres del Parque Residencial, Bogotá, 1964–1970 von Rogelio Salmona

    Foto: Leonardo Finotti

Learning from Latin America

Lateinamerikanische Architektur im MoMA

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Der Auftakt ist spektakulär: Sieben Leinwände, die eine elliptische Kurve bilden, zeigen den erstaunlichen Gleichklang des „modernismo“ in sieben lateinamerikanischen Metropolen. Es sind Filmschnipsel, vorwiegend aus den 20er Jahren, die den Optimismus und das Selbstbewusstsein der Zeit vermitteln, vor dem Hintergrund von aufschießenden Hochhäusern, wimmelnden Fußgängermassen, rasenden Eisenbahnen und rauchenden Schloten. Es ist dies allerdings das Selbstbild der „Ersten“ Welt, das die „Zweite“ begierig übernahm. Wo blieb da das Eigene des südlichen Subkontinents, wenn es denn überhaupt ein Eigenes gab?
Der Film-Auftakt zu „Lateinamerika im Bau. Architektur 1955–1980“ ist höchst suggestiv. Denn auch wenn es im Verlauf dieser mit rund 500 Objekten bestückten Ausstellung nicht um die Vorkriegszeit geht, sondern um den Zeitraum von 1955 bis 1980, so ist doch mit der sorgfältig choreografierten Filmanimation der Grundton gesetzt, dem die Melodie der Bautätigkeit in allen gezeigten Ländern folgt. „Modernität“ lautete das Zauberwort; nicht zurückbleiben hinter der „Ersten“ Welt, die die Standards gesetzt hatte und weiter setzte.
Tat sie das wirklich? Die Rahmendaten der Ausstellung haben weniger mit der Realgeschichte zu tun als vielmehr mit der Ausstellungsgeschichte des Museum of Modern Art in New York (MoMA), das bereits 1955 eine Übersicht über ein Jahrzehnt lateinamerikanischer Architektur nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt hatte und, so Museums-Chef Glenn Lowry, über „weltweit unvergleichliche Bestände“ zu Lateinamerika verfügt. Das Museum will nun also an die damalige Ausstellung anknüpfen und einmal mehr der allzu eurozentrischen Ausrichtung des Hauses etwas entgegensetzen.
Das ist halb und halb gelungen, und es kann nur halb und halb sein. Denn nirgendwo hat der „International Style“ in seiner durchaus dogmatischen Ausformung durch Le Corbusier und Ludwig Mies van der Rohe begeistertere Adepten gefunden als in Südamerika. Brasilia, diese Ikone des modernismo, ist das sichtbarste Beispiel. Gleichwohl interessant ist, wie sehr sich der internationale Stil überall wiederfindet – und wie sehr
er den jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasst wurde. Das betrifft vor allem den Wohnungsbau. Das deutliche Bevölkerungswachstum rückte das Problem des „affordable housing“ in den Mittelpunkt, nicht allein der Architektentätigkeit, sondern unmittelbar der Politik. Fotos von zugleich sorgenvoll wie paternalistisch über Modelle und Plänen sich beugender Präsidenten und Generäle bestätigten visuell den Vorrang des Wohnungsbaus. In der Ausstellung setzt eine Zeitschiene die politischen Ereignisse mit denen des Wohnungsbaus auf dem Subkontinent in Beziehung.
„Learning from Latin America“ überschreibt Barry Bergdoll, Leiter der MoMA-Architekturabteilung, mit Hintersinn ein Kapitel seiner Katalogeinleitung: Lateinamerika brachte mit Architekten wie Luis Barragán (Mexiko), Juan Borchers (Chile) oder Rogelio Salmona (Chile) im besten Sinne vorbildliche Architekten hervor. Salmona errichtete in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá mit den „Parktürmen“ rings um eine Stierkampfarena Ende der 60er Jahre ein eigenes Stadtquartier inmitten einer kleinteiligen Bebauung.
Ein ganz außerordentliches Gebäude schufen SEPRA Arquitectos mit Clorindo Testa zwischen 1959 und 1966 mit der Hauptverwaltung der Ban-co de Londres y América del Sur in Buenos Aires, die ihr konstruktives Gerüst nach außen kehrt und vielfältige Blicke ins Innere erlaubt, das realiter gleichwohl verschlossen bleibt. Apropos Argentinien: Reinster Le Corbusier ist das Gemeindezentrum von Santa Rosa von Dabinovic Gaido Rossi Testa (1955–63), das bis auf die fehlenden pilotis eine perfekte Adaption von Corbusiers Unité d’habitation darstellt. Der vielleicht größte Wohnkomplex entstand im venezolanischen Caracas zwischen 1955 und 1957, wo der plötzliche Reichtum durch Ölförderung ein enormes Wohnbauprogramm ermöglichte. Carlos Raúl Villanueva stellte, finanziert durch die Banco Obrero (Arbeiterbank), weit mehr als ein Dutzend Wohnhausscheiben in die „Urbanizacíon 2 de Diciembre“ und weitere acht in die „Cerro Piloto“. Auch in anderen Städten des Landes entstanden vergleichbare Großeinheiten.
Modernität lautete das Zauberwort
Brasilia darf nicht fehlen, und eindrücklich genug ist die zeitgenössische Farbfotografie von 1958, die die sechs hintereinander gestellten Scheiben der Ministeriumsbauten (Lúcio Costa, Oscar Niemeyer) als nackte Stahlgerippe zeigt. Den „Platz der drei Gewalten“ in einer Luftaufnahme von 1960 als Ansammlung von Solitären inmitten der noch unberührten Hochebene rings um Brasilia zu sehen, lässt den europäischen Besucher die Größe und Radikalität erahnen, eine komplette Hauptstadt buchstäblich ins Nichts zu stellen. Da ist noch einmal der Traum von der Schöpfung aus dem Nichts, der im übrigen Brasilien jedoch keinerlei Realität hatte. Die vorzügliche Fakultät für Architektur und Städtebau von João Batista Vilanova Artigas und Carlos Cascaldi aus den Jahren 1961–69 musste mitten ins quirlige São Paulo hineingestemmt werden, wie auch das Kunstmuseum der Stadt (1957–68) von Lina Bo Bardi.
Neben Brasilien ist Mexico das lateinamerikanische Land mit der größten Zahl architektonisch bemerkenswerter Bauten. Erstaunlich sind die Markthallen, unter denen der Mercado de la Merced (1957) in Mexico-City von Enrique del Moral aus wunderschönem Backstein und einander überlappenden Segmentbogendächern sicher der beeindruckendste ist.
Gigantisch, was Mexiko als Wohnsiedlung unter dem Namen Conjunto Urbano Nonoalco-Tlatelolco in Mexiko-Stadt verwirklicht hat (1960–1964, Entwurf Mario Pani, Luis Ramos Cunningham) – da liegt der Vergleich mit sozialistischen Plattensiedlungen allerdings nahe. Man kann es auch so formulieren: Die Notwendigkeit massenhaften Wohnungsbaus ließ die architektonischen Visionen der 60er Jahre auf das technisch und ökonomisch Machbare schrumpfen.
Es gibt eine Fotografie aus dem Jahr 1957, auf der Lúcio Costa und Mies van der Rohe ein Modell mit „superquadras“, mit Superblöcken, betrachten; jenen, die für Brasilia geplant waren. Wenn Lateinamerika die Region darstellt, in der die Visionen des International Style am deutlichsten formuliert wurden, so unterstreicht die Ausstellung im MoMA dies, wenn auch womöglich gegen ihre Intention. Aber dass die „Erste“ Welt von der „Zweiten“ lernen kann und lernen muss, das ist in dieser Ausstellung evident.

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Bilder Latin America im MoMA

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