Bauwelt

Steine des Anstoßes

Eine Tagung des Journals Candide erörterte Streitfälle der Architektur. Ist Streit unliebsamer Begleiter oder unschätzbares Potenzial?

Text: Schürkamp, Bettina , Köln

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    „Divis Flats“ in West-Belfast als Ort politischer Konflikte Foto: Jez Coulson
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    „Divis Flats“ in West-Belfast als Ort politischer Konflikte Foto: Jez Coulson

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Steine des Anstoßes

Eine Tagung des Journals Candide erörterte Streitfälle der Architektur. Ist Streit unliebsamer Begleiter oder unschätzbares Potenzial?

Text: Schürkamp, Bettina , Köln

„Das Bekenntnis zur fortschrittlichen Architektur ist ein politisches Bekenntnis, denn ihre Geburtsstätte ist die Barrikade und nicht das Reißbrett.“ Jörn Janssen vom European Institute for Construction Labour Research zielte mit diesem Zitat von Hannes Meyer mitten hinein in die „Architektur als Streitsache“. Die gleichnamige Tagung des Architekturjournals Candide reflektierte „Architektur als handlungsmächtigen Akteur in konfliktgeladenen Prozessen“. Auf dem Symposium Ende Januar an der RWTH Aachen erörterten Wissenschaftler Streitfälle, die sich am technischen Fortschritt, Formen der Partizipation oder an politischen Krisen entzündeten.
Die Studentenunruhen 1968 markieren eine Zäsur auch für die Streitkultur in der Architektur. Im selben Jahr fing die Ausstellung „Structures Gonflable“ der „Groupe Utopie“ und des Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris mit pneumatischen Objekten die Aufbruchstimmung ein. Craig Buckley von der Yale University zeichnete die Genese der Schau nach, die in Workshops mit Naturwissenschaftlern und Industriezweigen wie der Raumfahrt entwickelt wurde.
Tanja Herdt, ZHdK Zürich, und Kush Patel, University of Michigan, erinnerten an die gruppendynamischen Entwurfsprozesse für das Inter-Action Centre in Kentish Town von Cedric Price (1971) und den Gebäudekomplex „La Mémé“ für die Universität Leuven von Lucien Kroll. Trotz der internationalen Anerkennung entließ die Universität den Architekten 1978 im Streit. Architekten seien Katalysatoren für kreative Prozesse und soziale Entwicklungen, resümierte Lucian Kroll sein Experiment. Auch das flexible Gebäude von Cedric Price für die Graswurzelbewegung „Inter-Action Group“ führte, nach euphorischem Auftakt, zu einem langjährigen Gerichtsprozess.
In den 70er und 80er Jahren verbanden sich die partizipatorischen Strömungen mit Denkmalschutz und Ideen von Nachhaltigkeit zu einer politischen-ästhetischen Assemblage mit neuen Zielen. Die IBA Berlin 84/87 dokumentiert für Kim Förster von der ETH Zürich, wie sich aus Bürgerinitiativen und Instand(be)setzungen ehrgeizige Öko-Projekte und ein neuer Lebensstil herausbildeten. Isabelle Doucet, University of Manchester, illustrierte, wie sich das politische Engagement der belgischen „Counter-Projects“ zu einer entpolitisierten, postmodernen Faszination für historische Stadtmodelle wandelte.
Athanasios Lazarou, University of Adelaide, untersucht die mediale Entwicklung politischer Demonstrationen in Athen. An den Mauern der Akropolis hingen im Sommer 2011 riesige Banner, die die Weltkulturerbestätte und Tschumis Akropolismuseum in die Krisen-Proteste einbezogen. Auch Adam Page von der Leuphana Universität Lüneburg fragte in seinem Vortrag über das 1972 fertiggestellte Sozialwohnungsbauprojekt „Divis Flats“ im katholischen West-Belfast nach der Rolle von Architektur in politischen Konflikten. Wurden die Straßenschlachten und Bombenangriffe während des Nordirlandkonflikts durch die Ghettosituation in dem heruntergekommenen Wohnkomplex verschärft? Aber: Können im Gegenzug Reurbanisierungen in Krisengebieten wie der UN-Pufferzone auf Zypern brisante Konstellationen entzerren? Pavlos Fereos, The Bartlett UCL, blickte ernüchtert auf die seit 2013 in Studentenworkshops entwickelten Perspektiven für das entmilitarisierte Niemandsland.
Der indianische Jemez-Pueblo-Stamm im US-Bundesstaat New Mexico kämpft um das Landschaftsgebiet „Valles-Caldera“, in dem sich auf einer Fläche von 404 Quadratkilometern heilige Stätten befinden. Nina Kolowratnik, Columbia University, erarbeitete Diagramm-Zeichnungen und räumliche Notationssysteme, die die spirituelle Bedeutung des Gebiets aufzeigen, jedoch die rituelle Nutzung verschlüsseln und so den Geheimhaltungskult des Stammes wahren. Die Architekturzeichnungen verbinden rechtliche Vorschriften, spirituelle Praxis und Landschaft zu einer Streitsache, die zuvor für den Stamm schwer belegbar war. Bettina Schürkamp

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