Bauwelt

Thomas Hirschhorn: Nachwirkung

Ruine als Systemkritik

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Thomas Hirschhorn, Nachwirkung, 2015; Installationsansicht Kunsthalle Bremen
Courtesy: Thomas Hirschhorn/Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein Bremen; Foto: Tobias Hübel

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Thomas Hirschhorn, Nachwirkung, 2015; Installationsansicht Kunsthalle Bremen

Courtesy: Thomas Hirschhorn/Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein Bremen; Foto: Tobias Hübel


Thomas Hirschhorn: Nachwirkung

Ruine als Systemkritik

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Dem Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn wird ja vorgeworfen, seit einem Vierteljahrhundert immer das gleiche zu machen, nämlich vorgefundene, wohlgepflegte Räumlichkeiten in mehr oder weniger bedrohliche Arrangements fortgeschrittenen Verfalls zu transformieren. 1957 im beschaulichen Bern geboren, lebt Hirschhorn seit 1984 in Paris, einer Stadt mit großer Tradition im Errichten revolutionärer Barrikaden. Hirschhorns Requisitenkiste greift dann auch zu ähnlicher Handwerkstechnik: Geborstene Stahlträger, einstürzende Decken- und Wandsegmente, rudimentäre Treppen und jede Menge modernen Ausbaumaterials wie Rohre und Kabel versperren den Weg durch seine Raumschöpfungen – und geben semantische Rätsel auf.
Hirschhorn versteht sich als moderner Potemkin, alles ist aus leichtem Pappwerk und Styropor gefertigt, für jedermann sichtbar mit Paketklebeband zusammengehalten und mit Farbe kaschiert. Anders als der russische Reichsfürst und Feldmarschall, der Zarin Katharina die zivilisatorische Rückständigkeit der Krim hinter illusionistischen Scheinfassaden zu verbergen suchte, bekennt sich Hirschhorn zur Täuschung und setzt dem Surrogat architektonischer Schönheit die morbide Macht der Destruktion entgegen.

Die ehrwürdige Kunsthalle Bremen hat Thomas Hirschhorn derzeit drei Säle ihrer Großen Galerie im Erdgeschoss überlassen. Für seine Installation Nachwirkung fährt er sein bekanntes Arsenal auf und setzt simple Graffitis dazwischen: Totenköpfe mit Sentenzen zur Kunst. Man liest etwa: „Kunst ist die schönste Lüge“, oder auch: „Kunst ist kein Verbrechen“. Fünf Meisterwerke der Sammlung hängen in derangierter Schräglage in diesem Katastrophenambiente, fast so, als hätten sie zerstörerischem Furor getrotzt. Die fünf Bilder erzählen von existenzieller Selbstbehauptung, Widerständigem, Exzess und extremem Willen. So kämpft sich Arnold Böcklins Ritter unbeirrt durch eine karge Landschaft mit Gebeinen von Toten, das zarte Reh im Blumengarten von Franz Marc rebelliert gegen seine Fragmentierung in der farbintensiven Komposition. Hirschhorns Mussumsruine zelebriert diese Geschichten als visuelle Offenbarungen, hält der akademisch institutionellen Kunstbetrachtung eine aufbegehrend emotionale Kunsterfahrung entgegen. Die Fallhöhe dieses Experiments ist groß, wie ein Rundgang durch die weiteren Räume der Kunsthalle vor Augen führt – Räume, die nicht das geringste ästhetische Risiko einzugehen bereit sind.
Fakten
Architekten Hirschhorn, Thomas, Paris
aus Bauwelt 43.2015
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