Bauwelt

Ungebautes Alaska

Die neue Hauptstadt Alaskas sollte ein herausragendes Beispiel für bürgernahen, ökologisch orientierten Städtebau werden. In einem vorbildlichen Beteiligungs­verfahren wurde die Bevölkerung in jeden Planungsschritt einbezogen. Doch genau diese gut gemeinte Mitbestimmung brachte das Projekt letztendlich zu Fall. Ein Erfahrungsbericht

Text: Cannelos, George, Anchorage

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    In der neuen Hauptstadt Alaskas hätte sich ein Blick auf Mount McKinley, den höchsten Berg Nordamerikas, geboten
    Foto: Design Pics Inc/National Geographic Creative

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    In der neuen Hauptstadt Alaskas hätte sich ein Blick auf Mount McKinley, den höchsten Berg Nordamerikas, geboten

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    Gebiete unterschiedlicher Bebauungsdichte fügten sich in die Landschaft ein
    Grafik: Sebastian Vollmar

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    Gebiete unterschiedlicher Bebauungsdichte fügten sich in die Landschaft ein

    Grafik: Sebastian Vollmar

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    Das Stadtzentrum war komplett autofrei geplant, mit ausgedehnten Parkplätzen an den Rändern
    Grafik: Sebastian Vollmar

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    Das Stadtzentrum war komplett autofrei geplant, mit ausgedehnten Parkplätzen an den Rändern

    Grafik: Sebastian Vollmar

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    Das Stadtzentrum vom Sommersee aus gesehen
    Zeichnung: George Cannelos

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    Das Stadtzentrum vom Sommersee aus gesehen

    Zeichnung: George Cannelos

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    Impressionen der Innenstadt.
    Zeichnung: George Cannelos

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    Impressionen der Innenstadt.

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    Vom Wintergarten aus ist Mount McKinley in der Ferne zu sehen
    Abb.: Bull Stockwell Allen Architects

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    Vom Wintergarten aus ist Mount McKinley in der Ferne zu sehen

    Abb.: Bull Stockwell Allen Architects

Ungebautes Alaska

Die neue Hauptstadt Alaskas sollte ein herausragendes Beispiel für bürgernahen, ökologisch orientierten Städtebau werden. In einem vorbildlichen Beteiligungs­verfahren wurde die Bevölkerung in jeden Planungsschritt einbezogen. Doch genau diese gut gemeinte Mitbestimmung brachte das Projekt letztendlich zu Fall. Ein Erfahrungsbericht

Text: Cannelos, George, Anchorage

In meinen vierzig Jahren als Regionalplaner war für mich das spannendste Projekt die Planung zur Verlegung der Hauptstadt von Alaska an einen neuen Standort in der Wildnis. Trotz immensem Planungsaufwand wurde es letztlich nicht realisiert. Über einen Zeitraum von sieben Monaten, in den Jahren 1977 und 1978, engagierte sich eine internationale Planungselite für das Projekt – sowohl in Zusammenarbeit als auch im Wettbewerb. Ihre Pläne zeigten kreative Ansätze für fußgängerfreundliche Gemeinden und nachhaltiges Wohnen unter arktischen Bedingungen.
Die Hauptstadt-Debatte
Die Debatte über den Sitz der Regierung des Bundesstaats Alaska zog sich Jahrzehnte hin. Als die USA Alaska im Jahr 1867 von Russland kauften, war Sitka, ein hübsches Städtchen direkt am Pazifischen Ozean, die Hauptstadt. Die US-Marine empfahl jedoch, die Hauptstadt wegen der exponierten Lage am Ozean zu verlegen; hinter dem Inselwall des Alexanderarchipels wäre die Verteidigung leichter. 1906 wurde Juneau zur Hauptstadt bestimmt. Eingezwängt zwischen Fjorden und eisbedeckten Gipfeln gehört sie mit Honolulu zu den beiden Hauptstädten der US-amerikanischen Bundesstaaten, die nicht über Straßen erreichbar sind.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich der Bevölkerungsschwerpunkt Alaskas aus dem Südosten in das nordwestlicher gelegene Gebiet von Anchorage. Eine Koalition von Politikern begann darauf zu drängen, die Hauptstadt näher an das neue Siedlungszentrum zu verlegen. Einwohner aus dem Norden und Westen Alaskas argumentierten, dass die Hauptstadt Juneau für sie nur sehr umständlich und unter hohen Kosten zu erreichen wäre: Zunächst mussten sie zu einem Verkehrsknoten fliegen. Von dort brachte sie ein Flugzeug nach Anchorage, wo sie oft noch übernachten mussten, ehe sie, wenn das Wetter mitspielte, schließlich einen Flug nach Juneau bekamen. Bei schlechtem Wetter wurden die Flüge wegen des schwierigen Landeanflugs nach Seattle umgeleitet, wo die Passagiere dann übernachten mussten, ehe sie schließlich an ihr Ziel gebracht wurden. Noch vor der vergleichbar aufreibenden Rückreise beliefen sich die Reisekosten leicht auf über 1000 US-Dollar. Abgesehen von der schlechten Erreichbarkeit bemängelten viele Bürger, dass die Abgeschiedenheit Juneaus eine schlechte Verwaltung und mangelnde Transparenz begünstigen würde.
Mitte der siebziger Jahre wurde abgestimmt, ob die Hauptstadt westwärts, jenseits des 141. Längengrads, verlegt werden sollte – also außerhalb des südlichen Landzipfels. Ein Viertel der Einwohner gaben ihre Stimme ab: 46.659 stimmten mit Ja, 35.683 mit Nein. In einem zweiten Schritt wurden mehrere Standorte nordwestlich von Anchorage vorgeschlagen, die alle weiter als die erforderlichen 30 Meilen (rund 48 km) von Alaskas größter Stadt entfernt lagen. Die Wähler entschieden sich für den Anchorage am nächsten gelegenen Standort nahe Willow, nördlich des neuen George Parks Highway, der Anchorage mit Fairbanks verbindet. Ironischerweise lag der neue Standort am Deception Creek – frei übersetzt „Fluss der Täuschung“ –, in den Ausläufern der Talkeetna Mountains.
Das Parlament setzte die „Capital Site Planning Commission“ ein, stellte ihr 1,7 Millionen US-Dollar zur Verfügung und beauftragte sie, die Planung der neuen Stadt für 37.500 Einwohner innerhalb von nur sieben Monaten fertigzustellen.
Vorbild Columbia, Maryland
Als ich zu dem kleinen Team der Planungskommission stieß, war ich ein junger Planer, der erst zwei Jahre zuvor seinen Abschluss an der University of Pennsylvania gemacht hatte. Der Stadtplaner Morton Hoppenfeld war der Geschäftsführer der Kommission. Er hatte sich durch die Leitung der Planung für Columbia in Maryland einen Namen gemacht, einer Planstadt nach dem Konzept von James Rouse. Mit Columbia wollte sein Stadtentwicklungsbüro The Rouse Company beweisen, dass ein privater Entwickler in Abstimmung mit der Verwaltung eine lebendige städtische Gemeinschaft entwerfen, entwickeln und betreiben kann.
Zu einer Zeit, als viele die Stadt als Quelle allen Übels ansahen, konterte die Rouse Company mit „Markthallen“, angelehnt an den europäischen Marktplatz, wie der Faneuil Hall in Boston oder Harborplace, dem Zentrum der wiederbelebten Innenstadt und des inneren Hafens von Baltimore. Für die geplante Gemeinde wurden ehrgeizige Ziele verfolgt: Gute Stadtplanung und Verwaltung sollte humanistische Werte fördern und die Segregation unterschiedlicher Ethnien, Religionen und Klassen überwinden. Das war Mitte der sechziger Jahre, als viele Unternehmen noch ganz offen Segregation betrieben, ungeheuer progressiv.
Rouse brachte für die Planung von Columbia Experten aus verschiedenen Disziplinen zusammen: Ökonomie, Soziologie, Religion, Verwaltung, Bildungswesen, Medizin, Wohnungsbau, Freizeitindustrie und Kommunikationswesen. Hoppenfeld plante die Stadt mit mehreren unterschiedlichen Vierteln oder „Dörfern“, die jeweils die besten Eigenschaften amerikanischer Kleinstädte reproduzieren sollten. Jim Rouse war überzeugt, „dass Menschen in kleinen Gemeinden von 5000 bis 10.000 Menschen am besten leben, in denen die Institutionen, die ihr Leben bestimmen, für sie verständlich sind und in ihrer Verantwortung liegen.“ Die neun „Kerndörfer“ bestanden aus einer Reihe verschiedener Wohntypen unterschiedlicher Preisklassen, um für möglichst viele Menschen attraktiv zu sein. In jedem Viertel wurden vielfältige Verkehrsmittel angeboten; Geschäfte und Arbeitsplätze sollten leicht erreichbar in der Nähe angesiedelt werden.
Hoppenfeld brachte diese ambitionierten Ideen in den Planungsprozess für Alaskas Hauptstadt ein. Sein Wunsch war, dass die neue Hauptstadt offen werden sollte – eine Stadt für alle Einwohner des Bundesstaats, unabhängig davon, ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnten, ob sie Einheimische oder Zugewanderte waren. Byron Mallott, der heutige Vizegouverneur Alaskas, vertrat die Einwohner aus ländlichen Gebieten und die indigener Herkunft, Arliss Sturgulewski brachte die Sichtweise der Bewohner von Anchorage ein.
Ein öffentlicher Prozess
Die Kommission machte sich die Talente von Dutzenden Bürgern zunutze, die zu einer Reihe kreativer Treffen kamen, auf denen sie sich über Schwerpunktthemen austauschten. Wir verschickten unzählige Einladungen an alle, die daran interessiert waren, konstruktive Ideen zum Wohnen, zur Beschäftigung, zur Verwaltung, zum Leben im Winter, zum Verkehrswesen, zu Versorgungseinrichtungen usw. beizutragen. Die Treffen fanden in lockerer Atmosphäre statt, und es gab immer viel zu essen. Die Tradition des gemeinsamen Essens ist in Alaska eine Sitte beim Besprechen von Streitfragen und dem Abschließen von Geschäften. Hoppenfeld und Mallott wussten: Menschen, die miteinander essen, sind eher bereit, auch vernünftig miteinander zu reden.
Ich bewunderte Hoppenfelds Vorträge, in denen er leidenschaftlich darlegte, dass das Herz einer Stadt nicht aus Mörtel und Ziegeln besteht, sondern aus den Menschen, die in ihr leben, und der Art und Weise, wie sie miteinander umgehen. Die Verantwortung des Planers bestehe darin, die materiellen und die verwaltungstechnischen Voraussetzungen zu schaffen, dass die Menschen miteinander interagieren und den Ort zu ihrem Lebensraum machen könnten. Dementsprechend achtete er peinlich genau darauf, die gesamte Planung öffentlich zu verhandeln. Regelmäßig kamen Developer und Spekulanten, um die neuesten Pläne der Stadt und ihrer Verkehrsschneisen zu begutachten. Vermutlich sind bis heute einige Grundstücksbesitzer auf dem Land, das sie in jenen Tagen voreilig erstanden haben, sitzen geblieben.
Mehr als 150 Unternehmen bewarben sich um eine Reihe von Aufträgen zur Gestaltung und Umsetzung der neuen Stadt. Die Rouse Company wurde als Hauptberater für die Evaluierung und die Ausarbeitung von Finanzen und Verwaltung engagiert. Sie brachten ein damals neues Instrument der Finanzanalyse mit, die Computer-Tabellenkalkulation. Wenn eine Berechnung geändert wurde, änderten sich automatisch alle damit zusammenhängenden Berechnungen! Wir konnten nun leicht Szenarien durchspielen. Heutzutage ganz normal, damals eine unglaubliche Erleichterung.
Zehn Architekturbüros aus den USA kamen in die engere Wahl für die fünf Plätze der Finalrunde. Die Entwürfe wurden streng nach Bewertungskriterien geprüft: Der Regierungskomplex sollte transparent und für alle offen sein; gleichzeitig markant, aber nicht einschüchternd und die Werte der Einwohner widerspiegeln. Es war eine dichte Bebauung gefordert – aber bitte nicht dermaßen strukturiert, dass sich die Einwohner reglementiert fühlten. Die Stadt sollte sowohl während der langen, dunklen Winter als auch während der hellen Sommer gut funktionieren. Sie sollte in einem Park liegen (nicht der Park in der Stadt) und nach Süden ausgerichtet sein, um das Sonnenlicht maximal zu nutzen. Das Verkehrssystem musste Autos, Busse, Fußgänger und Skifahrer integrieren. Getreu dem Modell von Columbia versuchte Hoppenfeld auch, eine nicht-konfessionell gebundene, religiöse Stätte nahe dem Zentrum auszuweisen. Jedoch sperrten sich die etablierten Kirchen, weil jede einen eigenen prominenten Standort erhalten wollte.
Für die nächste Stufe der Bürgerbeteiligung zog Hoppenfeld den renommierten Stadtplaner Kevin Lynch hinzu. Er erklärte, wie man die Pläne der Architekten und Planer bewerten konnte. Bei einer fesselnden Präsentation im Anchorage Museum erläuterte Lynch der Öffentlichkeit, wie sich zweidimensionale Karten und Entwürfe interpretieren lassen: „Stellen Sie sich in die Karte! Denken Sie sie ins Dreidimensionale um. Dann starten Sie von Ihrer Wohnung aus den Alltag. Wie kommen Sie zur Arbeit? Haben Sie Wahlmöglichkeiten? Können Sie zur Arbeit laufen oder mit dem Rad fahren? Ist die Route sonnig oder schattig? Wie kommen Ihre Kinder zur Schule? Müssen Sie vielbefahrene Straßen überqueren? Wie steht es um Einkaufsmöglichkeiten – bequem erreichbar oder weit entfernt? Funktioniert alles auch bei schlechtem Wetter, in der Dunkelheit? Wie sieht Ihr Arbeitsplatz aus?“ Indem sie die eigenen Antworten mit denen der anderen verglichen, konnten auch Laien die Vorzüge jedes Entwurfs herausfiltern und eine Vorstellung von der Lebensqualität gewinnen, die jeweils von ihnen zu erwarten war.
In nur dreißig Tagen mussten die fünf Finalisten ihre Präsentation ausarbeiten. Da wir ihnen ein Honorar zahlten, konnten wir in der nächsten Phase der Hauptstadtplanung die besten Elemente aus jedem der Entwürfe nutzen.
Die Entwürfe
Einen Monat später lagen die fünf Entwürfe vor. Mehrere Firmen präsentierten eindrucksvolle, große Tischmodelle der neuen Stadt. Damals wie heute präsentierten die meisten Architekten in Alaska und anderswo im Norden ihre Projekte leider mit Sonnenschein und unter sommerlichen Bedingungen. Ich trete seit langem dafür ein, lieber zu zeigen, wie ein Projekt in Kälte und Dunkelheit wirkt und funktioniert, denn dann gewinnt man ein realistischeres Bild von seiner tatsächlichen Erscheinung und den Chancen seines Gelingens. Immerhin zeigte ein Modell die neue Stadt im Winter, inklusive Miniaturlampen für die Simulation einer Nacht-Ansicht. Die Modelle gingen in Staatsbesitz über. Heute weiß niemand, wo sie geblieben sind – vielleicht stecken sie irgendwo in einem verstaubten Lagerhaus?
Das einzige Büro aus Alaska, das in die Auswahl der besten Fünf einbezogen wurde, entschied sich für einen Standort nördlich des Deception Creek, gleich oberhalb der Baumgrenze, in Richtung auf den Hatcher Pass. Obwohl schwieriger zu erreichen, meinten die Architekten, dieser kühn gewählte Standort würde den Pioniergeist und die Unabhängigkeit der Einwohner von Alaska widerspiegeln. Kritiker bezeichneten den Entwurf, bei dem die Stadt ungeschützt der Witterung ausgesetzt worden wäre, als Shoppingmall oder Flughafenterminal. Die mächtige Stadt zu beheizen, hätte gewaltige Kosten verursacht. Die vier übrigen Büros konzentrierten sich auf das Gebiet am Deception Creek. Ein beeindruckender Entwurf erinnerte an eine italienische Hügelstadt. Alle sahen eine dichte Bebauung vor, um eine fußläufige Gemeinde mit leicht erreichbaren Vierteln und großzügigen Freiflächen zu schaffen.
Der Siegerentwurf stammte vom Architekturbüro Bull Field Volkmann & Stockwell aus San Francisco. Er sah vor, die Stadt in zwei Hälften zu teilen: Das Wohnviertel und das Verwaltungs- und Geschäftsviertel mit dem Kapitol in der Mitte. Alle Bereiche waren fußgängerfreundlich und boten eine Vielfalt an Wohnungstypen. Newsweek lobte das preisgekrönte Konzept: „Bull Field Volkmann Stockwell haben eine Stadt entworfen, die sehr gut mit der Landschaft harmoniert. Es soll keine Hochhäuser geben, und selbst das Kapitol wird nur drei Stockwerke haben, sodass der Blick auf den nur 145 Kilometer entfernten, 6194 Meter hohen Mount McKinley, Nordamerikas höchsten Gipfel, nicht verstellt wird. Der Durchgangsverkehr wird aus der Innenstadt herausgehalten, ein gut ausgebautes öffentliches Nahverkehrsnetz soll für siebzig Prozent der Haushalte in einer Entfernung von höchstens 300 Meter erreichbar sein. Gehwege abseits der Hauptstraße öffnen das Gelände direkt nach Süden, um die in Alaska tiefstehende Wintersonne maximal zu nutzen. Überdachte Arkaden werden Läden und Büros verbinden und die Passanten vor den Schneefällen schützen, die sich auf jährlich zwei bis drei Meter belaufen. Die meisten Gebäude werden bunt gestrichen werden, um einen Kontrast zu dem frostigen, eintönigen Umland zu bieten.“
Das Kapitol sollte mit neuester Technologie ausgestattet werden, um den Bürgern von jedem Standort aus die Teilhabe an der Arbeit der Regierung zu ermöglichen. Großer Wert wurde auf Besuchereinrichtungen und Informationsmöglichkeiten über die Arbeitsweise der staatlichen Behörden, die Landesverfassung und die Rolle des Parlaments und seine Gesetzgebungsverfahren gelegt. Alaskas gegenwärtiges Parlament, ein früheres Bundesgebäude aus den dreißiger Jahren, in dem sich seit den siebziger Jahren nicht viel verändert hat, ist ein unübersichtliches Labyrinth aus Fluren und kleinen Büros mit nur sehr begrenzten Möglichkeiten, Besuchern anschaulich zu machen, was in ihm eigentlich vorgeht.
Direkt gegenüber dem Kapitol platzierten die Planer den Wintergarten, eine Konstruktion aus Holz und Glas, die den Sommer in den kalten Winter Alaskas bringen sollte. Die Planer nahmen an, dass man von dem neuen Kapitol und dem Wintergarten aus einen Blick auf den Mount McKinley und die Alaskakette haben würde. Allerdings war keiner von ihnen je vor Ort gewesen. Daher verabredete ich mich an einem kalten Morgen im Januar 1978 mit meinen Kollegen am Flughafen in Anchorage. 45 Minuten dauerte der Hubschrauberflug zum Standort am Deception Creek. Da GPS seinerzeit noch Science Fiction war, mussten wir mit Karte und Kompass hantieren, um den Weg zu einem zugefrorenen See, einige Hundert Meter entfernt vom geplanten Standort des Kapitols, zu finden.
Auf Schneeschuhen stapften wir unserem Ziel entgegen. Als wir die kleine Anhöhe, auf der das Kapitol gebaut werden sollte, erreichten, blickten wir nach Nordwesten – in der Hoffnung, den Mount McKinley und die Alaskakette zu sehen. Aber inmitten der langen Schatten, die die tiefstehende Sonne warf, erblickten wir nichts als endlose Birken- und Erlenwälder. Also schnallte ich meine Schneeschuhe ab und kletterte auf eine der höheren Birken. In ungefähr sechs Meter Höhe bot sich mir durch die Baumwipfel ein prachtvoller Anblick: In der Wintersonne glänzte das weiße Massiv der höchsten Berge Nordamerikas. Ich machte ein Foto, das zum Ausgangspunkt aller folgenden Illustrationen wurde, die damit warben, dass das neue Parlament in Sichtweite von Denali, „des Großen“, liege.
Die Planung zerschellt an der Politik
Juneaus Bürgermeister Bill Overstreet drängte uns, auch zu untersuchen, welche Auswirkungen der geplante Hauptstadtumzug auf Juneau haben würde. Overstreet betonte, dass der National Environmental Policy Act – das Bundesgesetz war damals gerade acht Jahre in Kraft – vorschrieb, immer die Alternative zu untersuchen, alles beim Alten zu lassen. Die Gesetzgebung Alaskas kannte einen solchen Vorbehalt nicht. Gleichwohl stellten wir eine faire Untersuchung zu den Auswirkungen des vorgeschlagenen Umzugs auf Juneau an – und sie waren zweifellos schwerwiegend. Der Bürgermeister, ein redegewandter Fürsprecher seiner Gemeinde, erklärte, die Verlegung der Hauptstadt wäre „eine Lösung aus dem 19. Jahrhundert für ein Problem des 20. Jahrhunderts“.
Die Politik spielte ihren Trumpf aus, als es um die Frage ging, ob die neue Stadt eine aufwendige Infrastruktur, z.B. ein Krankenhaus und einen Flughafen, benötige. Die Umzugsbefürworter, die wohl wussten, welche zusätzlichen Kosten damit verbunden waren, verneinten dies – es gäbe in den nahegelegenen Ortschaften bereits ein Krankenhaus und einen kleinen Flughafen, der Internationale Flughafen von Anchorage sei nur eine Fahrtstunde entfernt. Die Umzugsgegner, die hauptsächlich aus Juneau und Südostalaska kamen, argumentierten, dass diese Einrichtungen selbstverständlich wesentliche Teile einer künftigen Hauptstadt seien. Am Ende wurden ein Flughafen und ein Krankenhaus in die Kostenschätzung einbezogen.
In meiner Naivität glaubte ich, die politischen Entscheidungsträger würden die umfangreichen Planungsdokumente und Studien eingehend prüfen. Als wir das Projekt vor dem Parlamentskomitee in Juneau vorstellten, musste ich schockiert feststellen, dass viele Exemplare unserer aufwendig gemachten Berichte gleich in der Mülltonne gelandet waren. Ich begriff, dass es gleichgültig war, wie zwingend und detailliert unsere Argumentation sein mochte – diejenigen, die sich bereits entschieden hatten, würden sich auch durch noch so viele Analysen nicht umstimmen lassen.
Die geschätzten Gesamtkosten für den Umzug der Hauptstadt und die Errichtung der neuen Stadt beliefen sich auf annähernd 4,4 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen und privaten Mitteln. In jenen Tagen verfügte Alaska dank der Öleinnahmen aus der Trans-Alaska-Pipeline über diese finanziellen Möglichkeiten. Doch dann organisierten die Umzugsgegner die FRANK-Initiative – „Frustrated Alaskans Needing Knowledge“. Sie forderten, dass vor einem Umzug alle Kosten, für die eine Bürgschaft zu leisten sei, offengelegt und von den Wählern gebilligt werden müssten. Im November 1978 nahmen die Wähler diese Initiative an und lehnten gleichzeitig, mit 88.783 Nein- gegen 31.491 Ja-Stimmen, die Freigabe von 966 Millionen US-Dollar in Kommunalobligationen für den Beginn des Baus der neuen Hauptstadt ab. War es am Ende also eine rein finanzielle Frage? Mein Eindruck war, dass trotz all unserer Bemühungen viele Einwohner Alaskas nicht bereit waren, auf ihre Autos und ihr „Pionierleben“ zu verzichten um stattdessen in einer geplanten, dicht bebauten Stadt zu leben.
Epilog
Nach dem die Kommission ihre Vorschläge dem Parlament unterbreitet hatte, löste sie sich auf. Hoppenfeld wurde mein Mentor. Er betonte, dass es zwei Arten von Planern gäbe: diejenigen, die Daten aufzeichneten, und jene, die Veränderungen bewirken. Er trieb mich an, meine Talente als Planer dafür einzusetzen, positive und nachhaltige Veränderungen zu fördern. Ich habe seine Ratschläge während meiner vielseitigen Berufslaufbahn nie vergessen und versucht, sie an andere weiterzugeben.
Ich setzte meine Karriere als Planer in Alaska fort. Heute lebe ich in Verrado, einer Plansiedlung in Arizona, die viele der besten städtebaulichen Traditionen weiterträgt – eine kompakte, fußgängerfreundliche Gemeinde mit funktionierenden öffentlichen Räumen und Interesse an guten Entwürfen, die ein echtes Gemeindeleben fördern. Planer setzen heute weithin auf diese Prinzipien. Seinerzeit, als ich in der Planung von Alaskas
nie gebauter Stadt in der Wildnis beteiligt war, waren solche Konzepte kühn und gewagt.

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