Bauwelt

Was Gebautes mit uns anstellt

Das Museum für Architekturzeichnung Berlin zeigt die großartigen Grafiken und Tonreliefs des russischen „Papierarchitekten“ Alexander Brodsky

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Palast des allgemeinen Wohlstands, 1998, Siebdruck, 101x76 cm
    © Alexander Brodsky

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    Palast des allgemeinen Wohlstands, 1998, Siebdruck, 101x76 cm

    © Alexander Brodsky

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    ohne Titel, 2014, ungebrannter Ton, 84x175 cm


    © Alexander Brodsky

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    ohne Titel, 2014, ungebrannter Ton, 84x175 cm


    © Alexander Brodsky

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    Fluchtpunkte, 1997, Radierung, 45x80 cm
    © Alexander Brodsky

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    Fluchtpunkte, 1997, Radierung, 45x80 cm

    © Alexander Brodsky

Was Gebautes mit uns anstellt

Das Museum für Architekturzeichnung Berlin zeigt die großartigen Grafiken und Tonreliefs des russischen „Papierarchitekten“ Alexander Brodsky

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Die beiden Inneneinrichtungen, die Alexander Brodsky in Moskau ausgeführt hat, sind bereits wieder zerstört. Verwunderlich ist das nicht. Sowohl das Café-Restaurant „Ulitza OGI“ von 2002 als auch das Café „Apschu“ aus dem folgenden Jahr lagen im Keller und waren nur über unscheinbare Treppen zu erreichen. Man musste Bescheid wissen und stieg, gemeinsam mit anderen Eingeweihten, hinab in eine Unterwelt, in der es Fenster gab und Licht scheinbar von draußen, ohne dass man den Wunsch verspürte, diese Fenster aufzureißen. Eine müde Melancholie legte sich über alles, und vielleicht war das der Grund, warum sich die Eigentümer dieser von der Moskauer Avantgarde heiß geliebten Kneipen ihrer nach nur einem Jahrzehnt entledigten.
Alexander Brodsky hat fast ausschließlich temporäre Architekturen geschaffen. Vielleicht sind es, im Sinne des Wortes, nicht einmal Architekturen, sondern Installationen oder Eingriffe. Aus Türen und Fenstern von Moskauer Abrisshäusern – und in der russischen Hauptstadt wird rücksichtslos abgerissen, was dem Kommerz im Weg steht – hat er gestaltet, was man, in Ermangelung eines besseren Begriffs, wohl als „poetisch“ umschreiben kann. Legendär ist der „Pavillon für Wodka-Zeremonien“, den er 2004 an das Ufer eines stillen Sees stellte, geografisch nicht weit von Moskau entfernt und doch seelisch, wenn man so will, unendlich weit weg. 2010 erhielt Brodsky mit dem Kandinsky-Preis die wertvollste russische Auszeichnung für einen Künstler.
„Es erstaunt mich immer noch, dass ich ein Architekt geworden bin“, lautet ein geradezu sprichwörtlich gewordener Satz von Brodsky. Architekt ist er nur in zweiter Hinsicht. Zuallererst ist er Künstler, das heißt, ein Schöpfer von Ideen, Bildern, Visionen, die sich um eine etwaige Realisierbarkeit nicht zu kümmern brauchen, weil sie selbst bereits Realität sind: geistige Realität. Sein Metier ist das Papier und darüber hinaus alles, was als Fläche geeignet ist, diese schöpferischen Vorstellungen vor Augen zu führen. Diese umständliche Definition ist vonnöten, benutzt Brodsky doch neben dem Papier seit Jahren auch Dachpappe und ungebrannten Ton.
Im Museum für Architekturzeichnung, das der Architekt Sergej Tchoban – und der ist nun wahrlich ein praktizierender Architekt – in Berlin gestiftet und gebaut hat, ist jetzt eine Ausstellung von Brodskys zweidimensionalen Arbeiten zu sehen, Radierungen und Zeichnungen und eben Arbeiten mit dem graubraunen, bröckeligen Ton. „Brodskys Tonreliefs sind keine Modelle oder Prototypen“, schreibt dazu die als Kuratorin tätige, junge Architekten Daria Paramonova in dem ausgezeichneten Katalog: „Auch sie sind grafische Werke, deren Struktur weder Pastell noch Kreide nachzubilden vermag.“
In Berlin sind Arbeiten in diesem spröden Material bereits vorgestellt worden, Ende 2012 im O&O Depot von Manfred Ortner (Bauwelt 4.2013). Das unterstreicht, welchen Respekt Brodsky bei den bauenden Kollegen genießt. Der 1955 Geborene, immerhin Absolvent des Moskauer Architekturinstituts, ist kein Entwerfer, vielmehr bannt er in bezwingende Bilder, was Gebautes mit uns anstellt, ja, was über das Gebaute hinaus in und um uns geschieht. Seine Radierungen der 90er Jahre zeigen bedrückende Industrielandschaften, ohne Ausweg, deren Schwärze alles übermächtigt. Mit solchen pessimistischen Ansichten ist Brodsky einer der herausragenden Künstler der so genannten Papierarchitektur geworden, die in den bleiernen Jahren der Breschnew-Zeit entstand.
Die im Museum für Architekturzeichnung gezeigten Blätter sind jüngeren, nachsowjetischen Datums, doch auch in ihnen herrscht „eine wehmütige, in getrübten Idealismus gehüllte Stimmung des Verlustes und der Ironie“, wie Brian Hatton in seinem Katalogessay schreibt. Verlust und Ironie bilden im Grunde eine unmögliche Kombination; doch man muss nur den großformatigen Farbsiebdruck „Palast des allgemeinen Wohlstands“ von 1998 betrachten, diese unter der Kuppel des Pantheons angesiedelte surreale Szenerie von trinkenden Herren an Brunnen inmitten von Wasser, um genau diese Kombination bestätigt zu finden. Die beiden dürren Hunde, die aus diesem Wasser, eher Pfütze als See, trinken, sind die zum Bild geronnene Armseligkeit der Existenz. In den 90er Jahren, als Brodsky zeitweilig in New York lebte, hat er die stillgelegten Gleise eines U-Bahnhofs mit Wasser bedeckt und darauf venezianische Gondeln fahren lassen, matt erleuchtet vom Schein schwacher Glüh­birnen.
Im zweiten Obergeschoss des Berliner Museums sind die Tonreliefs zu sehen, bei auf 40 Lux gedimmtem Licht. Nicht Dämmerung herrscht, sondern Düsternis. Die Reliefs bilden Fassaden ab, man ist im ersten Moment geneigt, wegen der Vasen auf dem angedeuteten Dachfirst an Paläste zu denken. Doch die als Rechtecke aus gleichmäßigen Löchern gebildeten Fenster deuten auf Gefängnis, auf das vergitterte Eingeschlossensein. Andere Silhouetten lassen an die Fabriken denken, die im anderen Ausstellungsgeschoss auf fein gestrichelten Bleistiftzeichnungen wieder und wieder variiert werden. Gefängnis und Fabrik, das macht keinen Unterschied. Aber darin liegt keine Anklage, kein Protest, die Reliefs sind ganz und gar lakonisch,
so wie ihr Schöpfer selbst, der wenig spricht, jedoch von sich berichtet, allzeit zu zeichnen.
Die Ausstellung, gleichermaßen knapp „Alexander Brodsky – Werke“ betitelt, ist die erste eines lebenden Künstlers im Museum der Tchoban Foundation. Auch das quittierte Brodsky bei der Eröffnung mit leiser Ironie. Mit dem grafischen Werk zeigt die Ausstellung den Kern von Brodskys Arbeit, der als Sohn eines bekannten Künstlers früh mit eigenen künstlerischen Versuchen begann. Eine Architekturpraxis, wenn man davon überhaupt sprechen kann, unterhält er erst seit 2000. Im Jahr zuvor war Brodsky nach Moskau zurückgekehrt, wo er in einer verwunschenen Dachgeschosswohnung lebt und arbeitet, als ob es kein Draußen gäbe. Er benötigt es auch nicht wirklich. Denn was er produziert, hat er längst schon vor seinem inneren Auge geschaffen.

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