Weltmarketing-Bummeln
Ein erster Rundgang am Tag der Eröffnung. Bei vielen Pavillons vermisst man ernsthafte Perspektiven und Ideen mit Blick auf die großen Fragen zur zukünftigen Ernährung der Weltbewölkerung
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Weltmarketing-Bummeln
Ein erster Rundgang am Tag der Eröffnung. Bei vielen Pavillons vermisst man ernsthafte Perspektiven und Ideen mit Blick auf die großen Fragen zur zukünftigen Ernährung der Weltbewölkerung
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Für diesen einen Tag soll alles vergessen sein: die Korruptionsfälle, die Verzögerungen am Bau, und der Einfluss der Großkonzerne. Vergessen auch, dass noch gestern Ticket-Schalter am Expogelände hastig mit Tischen möbliert wurden, dass das Akkreditierungs-System der Expo mehrmals abstürzte, dass sich die Menschen vor den Schaltern am Castello Sforzesco drängten und ohne ein Ticket fortgeschickt wurden.
All das soll heute, am 1. Mai, dem Eröffnungstag der Expo, vergessen sein. Das eigentliche Thema dieser Weltausstellung – die Ernährung der Weltbevölkerung – sei schließlich zu wichtig, als dass man sich mit den Organisationsschwierigkei-ten einer Großveranstaltung aufhalten müsse, so Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi.
All das soll heute, am 1. Mai, dem Eröffnungstag der Expo, vergessen sein. Das eigentliche Thema dieser Weltausstellung – die Ernährung der Weltbevölkerung – sei schließlich zu wichtig, als dass man sich mit den Organisationsschwierigkei-ten einer Großveranstaltung aufhalten müsse, so Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi.
Äthiopischer Energieschub
An diesem Morgen begrüßt das Expopersonal die ersten Besucher mit einem kräftigen und freundlichen Buongiorno, als könnte es damit auch alle Kritik der letzten Monate hinwegfegen. Zielgerichtet lenken sie die Gäste durch die Bahnstation Rho Fiera zu den Sicherheitsschleusen am Westeingang. Von hier führt ein überdachter Steg mit perforierten Metallwänden über Autokreisel, parkende Militärjeeps und Bahngleise zum Expogelände. Es geht die Treppe hinab, bis der Weg vor einem zweigeschossigen Holzbau mit Veranda und Laubengang endet. Das Gebäude sieht aus wie eine Gartenlaube XXL, in der ein Baumarkt Rasenmäher verkaufen könnte. Tatsächlich aber handelt es sich um eine Toiletten- und Imbiss-Raststätte, von denen es auf dem Gelände mehrere gibt. Ein Stück weiter, am linken Rand, fällt der Blick auf einen kostbar wirkenden Holzwürfel auf Stelzen, der die Aufschrift Ferrero trägt. Die Besucher schlendern an dem Sponsorendenkmal jedoch unbeeindruckt vorbei und biegen wie ferngesteuert auf die Wirbelsäule des Geländes: ein 1500 Me-ter langer Boulevard, der „Decumanus“. Er wird überdacht von hunderten kleinen Zeltplanen, die abwechselnd auf- und absteigen (Foto Seite 20). Entlang dieser Achse reihen sich die Länderpavillons, markiert durch kleine Nationalfahnen, auf. Eine „Fressmeile der Nationen“ – das wollte man unbedingt vermeiden. Von Obstständen und Theken mit Probierhäppchen ist hier nichts zu sehen.
Stattdessen bietet sich den Besuchern beim Gang entlang dieser Achse eine Vorgarten-Freakshow, da die Pavillons auf dem mittleren bis hinteren Teil der länglichen Grundstücke sitzen und im vorderen Teil Platz für Experimente ist: Vor dem tschechischen Pavillon badet eine große Plastiktaube ohne Federn in einem Pool, um zum brasilianischen Pavillon zu kommen, krabbeln Besucher über ein Kletternetz ins Innere (Foto Seite 23), ein Wasserrad, auf dem eine Leinwand das Fließen des Wassers simuliert, zerteilt den mit Rasenstücken belegten Hobbithügel von Weißrussland. Auffällig sind auch die am We-gesrand stehenden Container der renommierten italienischen Marke TechnoGym, in denen Menschen „For a better World“ in die Pedale eines Fitnessrades treten (Foto Seite 18). Zwischen den Pavillons tauchen auf: ein Eisstand von Langnese, ein Pralinen-Häuschen von Baci, eine Snack-Bar von Nutella (Seite 40) und eine Expo-Schokoladenfabrik von Lindt.
Der erste Stopp: am Kaffee-Cluster. In ihm sind mehrere afrikanische Nationen vertreten. Allerdings ist von den Ländern, bis auf die Nationalfahnen und einige wenige Randnotizen, kaum etwas zu erkennen. An einer Theke mit großem illy-Emblem drängen sich Menschen, um die Kaffeesorten der ausstellenden Nationen zu probieren. Meine Wahl: Äthiopien, süßlich-bitter, ein Energieschub.
Worstenbrood, Tajine-Hähnchen
Auf der anderen Seite wellt sich das Holzdach des Chinesischen Pavillons. Ein Schaukasten auf dem Vorplatz zeigt kleine Plastikpandas mit Bambusstäbchen, daneben ein zweiter Schaukasten mit Bettwäsche aus chinesischer Produktion. Buchsbäumchen versperren noch den Zugang. Von Außen kann man dennoch ins Innere spähen: Eine Terrakottaarmee aus Leuchtstäbchen erhellt den Raum bis zur gewölbten Decke. Von oben klimpert es atmosphärisch; aus der Küche auf der Rückseite strömt Bratenduft: Ente, Chilly, Knoblauch.
In der Glaskugel von Aserbaidschan erläutern Touchscreens in Obstkisten wie viel Käse im Land aus Schafs- und aus Kuhmilch hergestellt wird. Daneben stehen Einmachgläser mit echten Gurken. Ein Mädchen beugt sich herab und fotografiert das Glas mit ihrem Smartphone. Die nächsten Pavillons – der bunte Quader von Ecuador und der gefaltete Schlauch von Kolum-bien – greifen ebenfalls auf digitale Vermittlungsmethoden zurück: In Kinoräumen führen Leinwandreisen vom Schnee bedeckten Berggipfel hinab, durchs Dickicht des Dschungels bis auf die Straße einer südamerikanischen Großstadt. Daneben stehen Temperaturanzeigen. Das Besucherverhalten vor und in diesen Pavillons wiederholt sich wie ein Ritual: Stehenbleiben, ein Foto vor der Fassade – das wird die Expo der Selfies! –, hineinströmen, Foto vom Innenraum, Fakten an Schautafeln wie Fastfood konsumieren, weiter.
Im Niederländischen Pavillon ist die Erste Welt zuhause, in der man sich nach authentischer Landidylle sehnt und diese Sehnsucht mit Witz und Understatement verbinden will: Käse-, Wurst- und Obstwagen, wie man sie vom Wochenmarkt kennt, parken neben einem knalligen Zirkuszelt. „Enjoy the Dutch Pavillon“, lacht eine junge Holländerin am Wegesrand und tänzelt im Kreis. Ein Stand bietet Worstenbrood an, eine halbrohe Mettwurst im Teigmantel. Im Zirkuszelt erläutert ein Filmbeitrag eine neue App, bei der der Nutzer seine Finger über das Ipad zieht. Dadurch wandert irgendwo in Holland ein roter Punkt über eine Stallwand, dem die Schweine hinterher schnüffeln. Auch Tiere wollen spielen, kommentiert der Untertitel.
Nicht gesättigt vom holländischen Hotdog führt der Ping-Pong-Lauf über den Boulevard zur rostbraunen Pavillonburg von Marokko. Ein Hähnchen-Tajine-Topf in der Pappschale wird zum Erlebnis, dank saurer Zitronenstückchen, die bei jedem Biss an die Geschmacksknospen knallen, als liefe einem Spülmittel über die Zunge. Im Hintergrund plätschert ein Wasserrad, links und rechts stehen Wüstenzelte, am Himmel dröhnt der Polizeihubschrauber. Als Nachtisch wird ein Minzblatt aus dem Kräutergarten von Katar
geklaut.
geklaut.
Nescafé, Apfelringli
An der Kreuzung des Boulevards Decumanus mit der Querverbindung Cardo schließlich der alle anderen etwas überragende Italienische Pavillon „Palazzo Italia“. Er ist ein mit weißem Geflecht überzogener Glaskörper, der durch ein überdachtes Atrium ans Berliner Sony-Center erinnert. Eine Traube von Menschen drängt sich unter eine Auskragung und umkreist ein Zentrum. „Renzi! Renzi!“, schreit eine Frau. Dann wandert die Traube weiter und klebt wie ein Magnet am Ministerpräsidenten, der irgendwo in dieser Traube gefangen sein muss und offenbar nicht weiß, wohin. Er wan-dert wieder zurück. Die an ihm klebende Masse folgt. Plötzlich: Wasserfontänen vor dem „Baum des Lebens“, ein riesiger geflochtener Pilz, der mit bemalten Knospen in den grauen Himmel strahlt und Seifenblasen spuckt. Das muss die Eröffnungsfeier sein! Wieder: Fontänen. Seifenblasen. Musik. Samba! Das Knäuel irrt weiter seinem Renzi hinterher. Es regnet. Kirmis auf der Expo.
In der Hoffnung auf geordnetere Verhältnisse geht es zum Schweizer Pavillon, der aus einfachen Kuben zusammengesetzt ist. Nach einer Fahrstuhlfahrt erwarten einen im Obergeschoss ein Tour-Guide und vier Lagerräume mit Kartons, gefüllt mit Nescafé-Instantpulver, Salzwürfeln, Apfelringlis und Wasserbechern. „Jeder darf so viel mitnehmen, wie er will“, erläutert der Guide. „Aber man sollte auch an die anderen denken.“ Die Boxen werden nicht nachgefüllt, ebenso wenig ein Wasserspender, der noch 95.947 Liter Wasser enthält. Es ginge um Nachhaltigkeit. „Die kleinen Agrarbauer sind das Rückgrat unserer Landwirtschaft“, steht an einer Wand. „Nestlé is a Sauunternehmen“, schimpft ein Mann, als er hört, dass der Pavillon von dem Großkonzern gesponsert wird und greift in einen Karton mit Plastikbechern.
Wieder auf dem Boulevard, das gummizähe Apfelringli noch im Mund, knallt eine Flotte ita-lienischer Militärflieger durch den Himmel über dem Gelände. Hinter sich spucken die Flugzeuge die Nationalfarben des Landes als Wölkchen aus. 1906 war schon einmal eine Expo in Mailand. Noch immer scheint die Selbstvermarktung auf einer Expo für die gastgebenden Staaten zu verlockend. Die Hostessen sind in den Trachten ihres Landes gekleidet und stellen sich gerne für Fotos zur Verfügung. Vor dem Kasachischen Pavillon – Astana ist Gastgeber der Expo 2017 – intoniert eine Sopranistin in weißem Gewand mit Dauerlächeln Lieder aus ihrer Heimat.
Digitale Sushis, Blauschimmelkäse
Mit letzter Energie geht es nach Japan. Eine Rampe führt im Pendel von Links nach Rechts eine Schräge hinauf ins Obergeschoss. Oben angekommen wird einem erklärt, dass sich der Eingang des Gebäudes im Erdgeschoss auf der anderen Seite befinde. Also wieder runter. Durch eine Mauer aus verkeilten Holzwürfeln geht es ins Innere, wo Holzstäbe so dicht von der Decke hängen, dass Kinder sie vor- und zurückschaukeln können, bis es klimpert. Nach drei Räumen, in denen unter anderem zwei Waldgeister und ein Fahrrad fahrender Roboter die Problematik „Welternährung“ in acht Sätzen erklären und die Besucher beruhigen – „Die Menschheit hat schon andere Krisen überlebt, sie wird auch das Hungerproblem lösen“ – ,erreicht man einen kreisrunden Saal, der als „Restaurant der Zukunft“ vorgestellt wird. In dieser Zukunft gibt es keine analogen Lebensmittel, sondern einen Touchscreen, auf den man mit Stäbchen tickern soll, um digitale Gerichte auszuwählen. Der Tisch, der am schnellsten tickert, gewinnt. Zwischendurch hüpfen eine Japanerin und ein Italiener im glitzernden Superheldenkostüm durch den abgedunkelten Raum. „Essen bringt die Menschen zusammen!“, schmettern sie im Duett. An den Seiten tauchen plötzlich zwei Japanerin-nen mit Hut auf, die auf kleinen sirrenden Honda-Rollern den Saal einmal umrunden, zum Publikum klatschen und wieder verschwinden. Das Publikum klatscht vereinzelt zurück. Die Sänger erreichen das Finale. Das Licht geht aus. Die Türen auf. Sayonara.
Es ist wärmer geworden. Schweiß läuft von der Stirn. Der Kopf dröhnt. Im schnellen Schritt geht es zum Slow-Food-Stand von Herzog & de Meuron (Seite 28): zum Runterkommen. Kurzer Blick links auf den Russischen Pavillon (Foto links), dessen konvex auskragende und spiegelnde Frontseite beeindruckend tief ins Grundstücks-innere ragt und den benachbarten Estnischen Pavillon in den Arm zu nehmen scheint. Nur der Amerikanische Pavillon mit einer riesigen US-Flagge als Querseite und der Aufschrift AMERICAN FOOD 2.0 zieht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich.
Endlich: der Slow-Food-Pavillon von Herzog & de Meuron – drei robuste Holzhäuser mit Dächern auf Stelzen, die einen Kräutergarten umlagern. In einem Haus gibt es Monitore mit Dokus über die Agrarwirtschaft am anderen Ende der Welt. Leider fehlt fürs Vertiefen am anderen Ende dieses Boulevards die Zeit und die Lust. Auch die vier Slow-Food-Käsesorten mit Reiscrackern werden im Stehen verschlungen. Ein kleines Heft erklärt beiläufig, dass alle drei Stunden eine Tier- oder Pflanzenart ausstirbt und der westliche Mensch im Jahr 280 Kilo an Essen wegschmeißt. Der Blauschimmelkäse wird darauf komplett verdrückt.
Der Rückweg übers Gelände führt hinter den Pavillons am Kanal vorbei. McDonaldʼs-Mitarbeiter rauchen ihre Zigaretten. Daneben gönnt sich ein Taco-Eisbären-Maskottchen offenbar eine Verschnaufpause und ein Asiate hat seinen Laptop für ein Skype-Gespräch auf einen Berg aus Müllbeuteln gestellt. Noch kurz einen Espresso – diesmal Costa Rica, Indien war ausverkauft – dann ist der Ausgang erreicht.
Randale
Auf dem Weg ins Zentrum steigen No-Expo-Demonstranten in die Bahn. Es riecht nach Schweiß und Alkohol. Manchen tränen die Augen. Ein Junge zeigt seinem Sitznachbarn verwackelte Handyaufnahmen: Autos, Qualm, Polizei. Die Randale sei eine Schande fürs Land, werden Zeitungen Renzi am Folgetag zitieren. Sie ignoriere die wichtigen Absichten der Expo.
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