Wie bauen, wie weiter leben?
Frei Ottos Vision vom ökologischen und gemeinsamen Bauen
Text: Förster, Kim, Zürich
Wie bauen, wie weiter leben?
Frei Ottos Vision vom ökologischen und gemeinsamen Bauen
Text: Förster, Kim, Zürich
Frei Ottos Ökohäuser, im Zuge der Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/87 am südlichen Tiergartenrand errichtet, zählen heute zu den bekanntesten Vorläufern eines nachhaltigen Bauens in Deutschland. Mit Blick auf die dem Prinzip „Rohbau und Ausbau im Selbstbau“ inhärenten Widersprüche – das Auseinanderklaffen von Anspruch und Realisierung, die Kompromisse bezüglich Ästhetik und Technik – lohnt es sich zu fragen, weshalb dieses ausgefallene Projekt in letzter Zeit wieder als Vorbild für umweltbewusstes und selbstbestimmtes Bauen ausgegraben wurde. Was konnten der Architekt und die Bewohner, trotz oder gerade wegen aller Streitigkeiten, unter dem Stichwort der Partizipation, im Kontext der Berliner Stadterneuerung mit Schwerpunkt auf Ökologie und Energie, erreichen?
Was Selbstbau eigentlich bedeuten sollte, entwickelte und änderte sich im Projektverlauf über die achtziger Jahre. Auf Einladung von Josef Paul Kleihues sollte Frei Otto zur IBA ein Projekt zum Thema „Natur und Bauen“ beitragen. Mit seinem Team entwickelte er 1981/82 zunächst eine Studie, wie sich die Idee der Baumhäuser aus den späten Fünfzigern – eine Art Clip-on-Wohnhochhaus mit Versorgungskern als Stamm und Wohnungen als Äste beziehungsweise Nester – auf ein Grundstück am Askanischen Platz in Berlin-Kreuzberg übertragen ließe.
Ottos Expertise bestand darin, dass er immer wieder mit Anpassungsfähigkeit, unterschiedlich temperierten Zonen und passiver Solarenergienutzung experimentiert hatte. Mit partizipa-torischem Design hingegen hatte er kaum Erfahrung. Doch Bürgerbeteiligung gehörte zu den grundsätzlichen IBA-Zielen. Die Bauausstellung griff als quasi-institutioneller Akteur, politisch gefordert, Ansätze von Partizipation auf, die damals infolge der Krise des Großwohnungsbaus und des Rückzugs des Staates entstanden. Ottos Grundidee war bestechend einfach: Er entwarf zwei 35 und 60 Meter hohe Stahlbetongerüste à la Dom-ino von Le Corbusier als baukonstruktive und versorgungstechnische Infrastruktur, verzichtete aber auf die Autorenschaft für Grundrisse und Fassade.
Selbstbau hieß hier, dass die Bewohner eigenverantwortlich (beraten durch Architekten und Ingenieure) ihre Wohnungen auf „Bauplätzen auf der Etage“ nach ihren Bedürfnissen und Wünschen gestalten konnten. Aufgrund der Variabilität der Grundrisse ermöglichte dies gemeinschaftliche Wohnformen und individuelle Lebensmodelle. Die liebevolle Do-it-yourself-Ästhetik, die bereits im Architekturmodell zutage trat, veranschaulicht, wie Otto das naturnahe, energiesparende Wohnen anging und gibt Auskunft über den Stand der Technik und das vorherrschende Ökologieverständnis: Die Begrünung von Balkonen, Terrassen und Dächern war als großer Garten gedacht, und an den unterschiedlichen Typen der Solarkollektoren lässt sich die Kritik an Großtechnologien wie der Atomkraft ablesen.
Nach Zuweisung eines alternativen, viel kleineren Grundstücks durch die IBA – im Block 192 am Landwehrkanal, es wurde im Erbbaurecht von 75 Jahren vergeben – und einer Adaption der ursprünglichen Idee, plante das Atelier Frei Otto (mit Rolf Gutbrod Hermann Kendel und dem Büro Happold) von 1982 bis 1985 schließlich drei Ökohäuser mit nunmehr 26 Wohnungen, die in der Höhe an die umliegende Bebauung angepasst wurden.
Ein erster Schritt des Selbstbaus war die Bildung einer Baugemeinschaft. Ökologisch Interessierte, angesprochen durch umfassende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, wurden als zukünftige Eigentümer durch die Stadthaus GmbH informiert, beraten und betreut. Der Baubeginn verzögerte sich jedoch selbst nach Baugenehmigung im Herbst 1986 u.a. aus baurechtlichen und organisatorischen Gründen. Zusätzlich traten Probleme mit Finanzierung und der Bauträgerschaft auf, und die Kommunikation zwischen Frei Otto als Vordenker, den Sub-Architekten und den Bauherren missglückte. Mit dem Auslaufen der IBA Ende 1987 drohte das Projekt zu scheitern, da Fachingenieure noch nicht involviert waren und die Bauleitung der „Betongestelle“ zurücktrat. Otto hatte sich zunehmend aus der konkreten Umsetzungsplanung zurückgezogen; seine Tochter Christine Kanstinger, die schon in der Projektierungsphase involviert war, stieg für ihn ein.
Mit Baubeginn im Frühjahr 1988 wurden aus den Ökohäusern mangels Interesse an Selbstbau und wegen Komplikationen innerhalb der Eigentümergemeinschaft schließlich zwei Projekte: Die beiden Südhäuser konnten durch das Eigentumsförderungsprogramm des Landes und mit einer Zusatzförderung des Bundes realisiert werden. Das Nordhaus wurde als sozialer Wohnungsbau im dritten Förderweg errichtet.
Was die Ökohäuser zu leisten vermochten, wurde während der Ausführung zwischen 1988 und 1991 deutlich. Ökologie war zunächst auf die Baustelleneinrichtung bezogen. Gleichwohl verursachten die Maßnahmen – der Erhalt des Baumbestandes, der Verzicht auf den Einsatz schweren Baugeräts, Aushub ohne Absenkung des Grundwasserspiegels – einiges an Mehrkosten. Es wurden durchaus Grundsätze des natürlichen Bauens nach damaligem Stand umgesetzt: große südexponierte Fensterflächen oder Wintergärten zur Nutzung der Sonnenenergie, thermische Pufferzonen in der Grundrissgestaltung, differenzierte Materialkreisläufe einschließlich Grauwasserrecycling, Verwendung ökologisch unbedenklicher Materialien und vieles mehr. Im Zentrum stand die Freiflächengestaltung, weshalb die Vegetation in das Gebäudekonzept und die Gestaltung von Fassade und Dach einbezogen wurde. Von den 18 Eigentumswohnungen in den beiden Südhäusern wurden schließlich nur zwei wirklich im Eigenbau erstellt, die anderen von professionellen Architekten. Letztlich lebte das Projekt davon, dass sich die Bauherren mit der Idee des Ökohauses identifizierten, doch mussten sie dafür einen außergewöhnlich hohen Qua-dratmeterpreis zahlen. In der Fachpresse wurde nach Fertigstellung teils heftige Kritik an dem komplizierten Bauvorhaben geäußert, nicht nur an der postmodernen Ästhetik der „Patchwork-Häuser“ (Gerhard Ullmann), die sich in der Bricolage der Südseitenverglasung manifestierte, sondern auch an bauphysikalischen Unzulänglichkeiten. Dass das Zusammenspiel von parti-zipatorischem Bauen und Ökologie am Ende Stückwerk blieb, wurde auf Ottos „starre Gerüste“ und die verhaltene Baukoordination zurückgeführt. Erst die Dokumentation „Der Traum vom Baumhaus“ (2011, Regie: Beate Lendt) ging empathisch auf die Planungs- und Realisierungsgeschichte aus Sicht der Bewohner ein.
Angesichts eines angespannten, den Mechanismen der Bau- und Immobilienwirtschaft unterliegenden Wohnungsmarkts und des Anteils, den Architektur und Städtebau an der ökologischen Krise haben, sollten die von der IBA initiierten Ökohäuser, trotz ihrer Ambivalenzen, weitergedacht werden. Für Frei Otto war Selbstbau weder Selbstzweck, noch diente er allein der Eigentumsbildung an einem attraktiven Standort. Gemäß einem prozessualen Architekturverständnis müsste das Zusammenwirken von Planen, Bauen und Wohnen in Hinblick auf das von Otto geforderte Haushalten mit Volumen, Fläche, Baumasse und Energie bedacht werden – auch in globaler Perspektive mit Blick auf Ressourcen und Materialien. Darüber hinaus gilt es den Gebrauchswert betreffend, die Aufteilung und Nutzung von Individual- und Gemeinschaftsbereichen bezogen auf Besitz-, Miet- und Pachtverhältnisse zur Diskussion zu stellen.
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