Gehry im Altbau, Koolhaas bescheiden
Editorial
Text: Kleilein, Doris, Berlin; Redecke, Sebastian, Berlin
Gehry im Altbau, Koolhaas bescheiden
Editorial
Text: Kleilein, Doris, Berlin; Redecke, Sebastian, Berlin
Braucht Berlin-Mitte noch einen Konzertsaal? Michael Naumann, Ex-Kulturstaatsminister und amtierender Direktor der Barenboim-Said Akademie (BSA), hat zu dieser Frage 2015 im Berliner Abgeordnetenhaus Stellung genommen. Bündnis 90/Die Grünen wollten damals wissen, wie sich das Bauvorhaben in die Nachbarschaft einfüge – in der auch andere Häuser gut ausgestattete Säle bieten, etwa das Konzerthaus, die Hanns-Eisler-Hochschule, die Komische Oper, das Radialsystem und irgendwann einmal auch die Staatsoper Unter Linden und das Humboldtforum.
Eine Frage, wie sie wohl nur in Berlin gestellt werden kann: keinen Euro dazuzahlen, aber meckern. Nicht das Land Berlin finanziert die BSA. Die Mittel kommen direkt vom Bund und von privaten Stiftern. Die Stipendien für die Studierenden aus dem Nahen Osten trägt das Außenministerium (das sich übrigens auch in der Nachbarschaft befindet). Was hat Michael Naumann geantwortet? „Das Symbol, das hier gegeben wird, ist: Harmonie ist möglich.“ Ein Satz, der sich auch auf die Architektur anwenden lässt: Es dürfte eine Weltpremiere sein, dass ein Konzertsaal von Frank Gehry in einen Altbau gequetscht wird, und der Architekt sich nicht einmal mit einer klitzekleinen Freiform im Straßenraum zu erkennen gibt. Ber-lin hat Gehry bereits am Pariser Platz gezähmt, jetzt ist es auch in der Französischen Straße gelungen.
Im gläsernen Andreaskreuz
Eine neue öffentliche Bibliothek stellt heute die Frage nach ihrer Berechtigung. Brauchen wir noch größere Häuser der Bücher, wenn digitales Suchen und Lesen in den eigenen vier Wänden oder sonst wo im rasanten Tempo voran schreitet? Man braucht sie – mit erweiterten Aufgaben. Entsprechend ist das Programm zugeschnitten. Rem Koolhaas sieht die Bibliothek mit mehreren Medienformen schon seit langem als ein offenes Haus des Austauschs. Seine Bibliothek Alexis de Tocqueville in Caen bietet ein frei zugängliches Forum und einen Lesesaal als flexibel zu nutzende Halle mit zahlreichen Möglichkeiten, sich in einer Gemeinschaft zu fühlen. So wird die Bibliothek zu einem Angebot, aus der meist einsamen rein digitalen Welt zu entfliehen. Außerdem öffnet sie sich mit großen Schaufenstern in alle Richtungen und stärkt die Identität, das Miteinander in einer immer mehr anonymisierten Stadtgesellschaft. Für das Bistro ist einer der besten Köche der Stadt, Benoît Guillaumin vom Restaurant „Aux casseroles qui chantent“, verantwortlich. Es ist eine richtige Entscheidung mit kulturell-sozialer Dimension, sich als Stadt einer anders definierten Bibliothek zu widmen. Die Öffnungszeiten müssten allerdings ihren neuen Aufgaben entsprechend angepasst werden.
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