Schnappschüsse aus der Zigarrenkiste
Es gab die Zeit, als ein Moment exakt eineinhalb Minuten lang war. „Sofort“ war einmal auch mehr wert als „jetzt gleich“. Das zeigt Wim Wenders mit seinen Sofortbildern. c/o Berlin präsentiert die Polaroids aus den Anfangsjahren seines Filmschaffens.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Schnappschüsse aus der Zigarrenkiste
Es gab die Zeit, als ein Moment exakt eineinhalb Minuten lang war. „Sofort“ war einmal auch mehr wert als „jetzt gleich“. Das zeigt Wim Wenders mit seinen Sofortbildern. c/o Berlin präsentiert die Polaroids aus den Anfangsjahren seines Filmschaffens.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Fein in Passepartout gefasst, hängen sie an den Wänden. Diese Fotos haben ein Leben hinter sich, und das sieht man ihnen an. Sie erinnern an Philip Winter, den Protagonisten aus Wim Wenders’ drittem Film „Alice in den Städten“ – wie bei Winter wirkt auch hier die Aufmachung irgendwie sperrig. Der Film von 1974 und der drei Jahre später gedrehte „Der amerikanische Freund“ stehen beispielhaft für Wenders‘ bildnerisches Schaffen und seine Zuneigung zum Polaroid. Die Kunst des Regisseurs lässt sich nicht auf seine Filme reduzieren, die ja Gemälde, Erzählkunst, Fotografie und auch Architektur vereinen; die Sofortbilder sind sein Handwerkszeug. Die Geschichten, die er im Audioguide erzählt, machen neugierig, hinter die Kulissen zu blicken.
Frisch abgezogen, wanderten die Momentaufnahmen mal in die eigene Hosentasche, mal in die eines Freundes, ehe sie für Jahre in Zigarrenkisten verschwanden. Die Sofortbilder, die hauptsächlich Wenders’ Erleben in Deutschland und Amerika einfangen, sind keine Kunst, findet er. Jedenfalls wurden sie nicht als solche geschossen. Aus ihnen entstand aber Kunst. Sie hielten die reale Kulisse fest für die alltägliche Leere, das Suchen, das Getriebensein – wovon die Filme so oft handeln. Durch die beiläufig geknipsten Bilder verstand Wenders die Städte und die Landschaften seiner Geschichten. Ein bisschen trostlos sind diese Kulissen immer, sei es die Großstadt, sei es die Wüste, sei es in Amerika oder in Deutschland. Diese Trostlosigkeit aber tritt in keinem Film in den Vordergrund, sie ist vielmehr oft akzeptiert, gar in produktive Reibung verwandelt.
Die Hängung der Polaroids bei c/o Berlin geht mit der Zeit. Das erste Bild zeigt den leeren Platz aus „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Leere ist überall. Wer die Leere nicht aushält, für den mögen Wenders’ Filme und mögen auch seine Bilder schwer zu verstehen sein. Hält man es aber mit jenem Philip Winter, den Wenders erst ohne und dann mit dem Mädchen Alice durch Amerika und Deutschland schickt, dann bekommt die Leere der Bilder Sinn. Leere bedeutet nicht nichts. Winter zum Beispiel, wie später auch „Der amerikanische Freund“, hält seine Polaroidkamera immer wieder auf das gleiche Motiv. Als wolle er sich vergewissern, dass es diese Leere nicht gibt, die er spürt.
Für Wim Wenders war der Blick durch den Sucher der Polaroidkamera selbstverständlicher Blick in die Welt, die Kamera sein steter Begleiter in jungen Jahren. „Es waren die Jahre in denen wir uns zu allem fähig sahen“, beschreibt er diese Zeit. Ein Bild, ein Moment, ein Unikat. Polaroids erlauben keine Retusche, keine Vervielfältigung, jedenfalls nicht in Zweit-Polaroid-Qualität. Diese Ehrlichkeit, der Zufall und das Warten zeichnen sie aus.
„Da ist ja gar nichts drauf“, sagt Alice zu Winter. Darauf Winter: „Gib ihm einen Moment.“
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