KANAL-Centre Pompidou
noAarchitecten, Brüssel | Sergison Bates architects, London | EM2N, Zürich
Text: Geipel, Kaye, Berlin
KANAL-Centre Pompidou
noAarchitecten, Brüssel | Sergison Bates architects, London | EM2N, Zürich
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Städtische Vitrine. Welch spektakuläre, geradezu kinohafte Rolle das Auto als eigenständiger Akteur in der Stadt des 20. Jahrhunderts gespielt hat, und wie sehr es auch in Bauwerken die Großstadtentwicklung prägte, macht die Großgarage am Ufer des Brüsseler Kanals deutlich. Als dieser Bau 1934/35 in nur fünf Monaten errichtet wurde, war der 200 Meter lange Stahlbau eine riesige Vitrine für die französische Automarke Citroën, ein Aushängeschild für die Expansionsbestrebungen von André Citroën Richtung Belgien.
Team. Heute ist Citroën als Marke in die zweite Reihe der Autoproduzenten zurückgetreten. Die Großgarage im Besitz der französischen PSA Group stand jahrelang leer. Nachdem die Phase der großen Museumsneubauten, die andere europäische Großstädte seit den 80er Jahren betrieben haben, an Brüssel vorübergegangen war, entschied sich die Stadt 2015 für den Kauf und die Transformation der Garage zu einem Kunst- und Kulturzentrum. 2017 wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, den mit noAarchitecten, Sergison Bates und EM2N eine illustre belgisch-englisch-schweizerische Kooperation gewann (Bauwelt 11.2017).
Matsch und Wind. Als wir Anfang Februar die Baustelle vom Quai des Péniches aus besichtigen, sind die alten Fassaden zur Sanierung ausgehängt. Nach der Eingangskontrolle laufen wir im Erdgeschoss durch tiefen Matsch, Wind pfeift durch das Gebäude. Die Erschließung des Zentrums erfolgt auch künftig über die beiden Längsseiten. In der Mitte trifft diese Eingangsachse auf eine bis unter das Dach offene Längsachse. Vieles soll „as found“ hergerichtet werden, vor allem auch die den Gesamteindruck prägenden cremefarbenen Stahlstützen und Träger, die verglasten, gewächshausähnlichen Dachflächen und der dunkelrote Estrich in den Obergeschossen. Drei neue, vertikal die Struktur durchstoßende Betonkuben sorgen für die nötigen kuratorischen Bedingungen der Ausstellungsräume. Sie beherbergen das in Kooperation mit dem Pariser Centre Pompidou geführte Museum für moderne Kunst, das Architekturmuseum CIVA und einen Veranstaltungskubus mit einem Auditorium und Bühnen.
Ein Zentrum der kulturellen „Produktion“. Philippe Viérin von noAarchitecten führt uns durch das Gebäude und erläutert die Prinzipien des Wettbewerbsentwurfs. Kanal soll nicht nur Kunstmuseum sein, sondern vielfältige Räume der künstlerischen Produktion in den Hallen umfassen. Dafür sei die einstige Großgarage gut geeignet. Im Grunde lasse sich dieser Hallenbau, in dem einst Autos ausgestellt, verkauft, repariert und geparkt wurden, gar nicht „vollenden“. Viérin spricht vom Prinzip eines „never ending finish“. Das lässt auch uns glauben, dass trotz der umfangreichen Sanierungsaufgaben die Eröffnung Ende 2025 realistisch erscheint.
Public Spaces. Ein Großteil der 35.000 Quadratmeter bleibt auch künftig Erschließungsfläche. Die Überzeugungskraft des Wettbewerbsentwurfs beruht darin, dass sie die Funktion der ehemaligen Garage nicht gewaltsam in eine Museumsnutzung überführt. Dort, wo früher Autos die Rampen auf und abfuhren, wird man auch künftig gleichsam „absichtslos“ durch den Bau flanieren können. Vom Piano Nobile aus blickt die Fußgängerin dann im Westen auf den Kanal, auf der anderen Seite auf den Parc Maximilien. Am südlichen Ende der mittigen Rampe stößt sie auf den „Empty Space“ des geschosshoch verglasten ehemaligen Showrooms. Dieses städtebaulich markante Eck spielt eine wichtige Rolle im Entwurf der drei Büros. Philippe Viérin: „Das Gebäude brauchte keine zusätzliche, besonders auffällige Architektur. Das gestalterische Icon zur Square Sainctelette war bereits vorhanden.“ Das ist stark untertrieben – das haushohe Schaufenster Richtung Innenstadt ist so eindrucksvoll, dass sich der Vergleich mit der Turbinenhalle in London von Herzog & de Meuron aufdrängt. Viel Platz also für Kunstinterventionen, ebenso wie in den hallenförmigen Räumen der kreuzförmigen Erschließung.
Rolle für Brüssel. Städtebaulich ist das Kultur- und Kunstzentrum ein wichtiger Baustein der „sanften Erneuerung“ längs des Industriekanals. Ähnlich wie das Centre Pompidou in Paris bei der Eröffnung 1977 den Willen der französischen Hauptstadt zur architektonischen Erneuerung markierte, wird dem Kulturzentrum eine für Brüssel in mehrfacher Hinsicht wichtige Rolle zukommen. Einerseits macht es die eindrucksvolle Kompetenz der Stadt in Bezug auf klimagerechte Re-Use- und Weiterbau-Strategien in einem großen, architektonisch beispiellosen Umbauprojekt deutlich. Andrerseits ist es zentraler Bestandteil der sozialen Sanierungsstrategie längs des Kanals, deren Ufer sich nicht, wie in anderen europäischen Großstädten, zu einer durchgentrifizierten „Wasserstadt“ verwandeln sollen. Hier ist das künftige Nutzungskonzept gefordert. Zum Programm gehört, dass sich das Kunstzentrum nicht nur auf ein internationales Publikum ausrichten, sondern auch der sozial benachteiligten Gemeinde Molenbeek-Saint-Jean als „Ort der Produktion“ zur Verfügung stehen soll. Nachbarschaftsgruppen wurden von Anfang an eingebunden. Inwieweit die Offenheit gelingt, wird man sehen. Dass das Architekturmuseum CIVA mit von der Partie sein wird, macht das Zentrum Kanal auch für die Architekten der Stadt zu einem sozial wie kulturell besonderen Ort.
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