Allmachtsfantasien
Die Geschichte der deutschen Besatzung Polens erzählt eine Ausstellung in Poznań aus der Perspektive der Architektur und des Alltagslebens.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Allmachtsfantasien
Die Geschichte der deutschen Besatzung Polens erzählt eine Ausstellung in Poznań aus der Perspektive der Architektur und des Alltagslebens.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
„Iluzje wszechwładzy“ (dt.: „Allmachtsphantasien“) heißt die Sonderausstellung im Kulturzentrum im Schloss in Poznań, die neben den Auswirkungen der NS-Herrschaft auf die polni-sche Bevölkerung vor allem die umfangreichen, nur teilweise realisierten Architektur-, Stadt- und Raumplanungen dieser Zeit beleuchtet. Das Schloss selbst, in dem die Ausstellung größtenteils in den während des Krieges umgestalteten Räumen stattfindet, wird dabei zum eindrucksvollste „Exponat“ der Schau.
Die Stadt Poznań, die bis 1918 unter ihrem deutschen Namen Posen zu Preußen und dem Deutschen Reich gehörte, sollte vor dem Ersten Weltkrieg zur Residenzstadt für Kaiser Wilhelm II. ausgebaut werden. Dafür entstand hier 1905-13 eine monumentale neoromanische Schlossanlage, entworfen vom Architekten der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Franz Schwechten. Der Kaiser besuchte das Schloss nur zweimal. Nach der Gründung der Zweiten Polnischen Republik wurde es sowohl von der Universität als auch als Residenz des polnischen Präsidenten genutzt.
Der deutsche Überfall auf Polen 1939 war für die Nationalsozialisten mit der Vision vom „Lebensraum im Osten“ verbunden, die auf eine Vertreibung von Polen und Juden bei gleichzeitiger Ansiedlung von „Volksdeutschen“ abzielte. Nach der Zerschlagung des polnischen Staates wurde das von der Warthe durchflossene Gebiet rund um Posen als Reichsgau Wartheland („Warthegau“) in das Deutsche Reich eingegliedert und „germanisiert“.
Von Zwangsarbeitern wurde das Schloss 1940-44 zur „Führer- und Gauleiterresidenz“ umgebaut. Adolf Hitler wollte die frühere Kaiserwohnung im ersten Obergeschoss selber nutzen – er hat das Schloss jedoch auch nach der Umgestaltung nie besucht. Albert Speer fungierte als Schirmherr für das Projekt, die verantwortlichen Architekten waren Franz Böhmer und Georg Petrich. Zu den Baumaßnahmen gehörten der Einbau einer pompösen Treppenanlage zu den Empfangsräumen sowie das Herausreißen der Schlosskapelle, um an dieser Stelle das „Führerarbeitszimmer“ mit „Führerbalkon“ einzubauen. Außerdem wurden die wilhelminischen Interieurs entfernt und viele Räume im damals üblichen NS-Repräsentationsstil neugestaltet, teilweise nach dem Vorbild von Speers Neuer Reichskanzlei in Berlin. Ein Teil der Entwürfe stammte dabei vom Innenarchitekten Heinrich Michaelis, der vorher bereits die Gebäude am Obersalzberg ausgestattet hatte.
Das Schloss wurde im Krieg kaum zerstört, seit den 1960er Jahren wird es als Kulturzentrum genutzt. Einige Teile der aktuellen Ausstellung werden in den für Hitler umgestalteten, heutzutage als Nussbaum-, Birken- und Marmorzimmer bezeichneten Räumen gezeigt, die damals als Ess-, Wohn- und Empfangszimmer angelegt waren, funktional verbunden mit dem heute als Kaminzimmer bezeichneten „Führerarbeitszimmer“. Hier sind die aufwendigen, während der NS-Zeit eingebauten Wand-, Decken- und Fußbodengestaltungen immer noch vorhanden, sodass man einen Eindruck der damals gewünschten Raumwirkung bekommt.
Der (west-)deutsche Blick auf die heute zu Polen gehörenden, früher zeitweise „deutschen“ Gebiete wird vor allem durch die Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen und Schlesien bestimmt. Die von der polnischen Architektur- und Kunsthistorikerin Aleksandra Paradowska kuratierte Ausstellung zeigt dagegen die davor liegenden Jahre der deutschen Gewaltherrschaft im annektierten „Warthegau“ und dem zur wirtschaftlichen Ausbeutung vorgesehenen „Generalgouvernement“, das die zentralpolnischen Gebiete umfasste. Dabei zeigt sie mithilfe von Architekturzeichnungen, Fotoaufnahmen, Gemälden und Skulpturen, Drucksachen und privaten Unterlagen, Einrichtungsgegenständen und Geschirr sowohl das Agieren der Besatzer als auch die vielfältigen Auswirkungen der NS-Herrschaft auf die Unterdrückten.
Zentrale Aspekte der Besatzungspolitik waren die umfassende „Germanisierung“ der Orte und Städte, Enteignung, Vertreibung, Umsiedlung und Deportation. Viele der überlieferten Bauten wurden umgestaltet, komplette Altstadtquartiere überplant, Kirchen als Lagerhallen oder Sammelquartiere für die umgesiedelten Deutschen genutzt. Die meisten der Synagogen wurden abgebrochen und das dabei gewonnene Baumaterial, wie auch die Grabsteine von jüdischen Friedhöfen für den Straßenbau verwendet. Die Synagoge in Posen wurde zum Wehrmacht-Schwimmbad umgebaut, die kostbare Innenausstattung dabei zerstört.
In einem Ausstellungssaal geht es um die nationalsozialistischen Architekturplanungen und ihre teilweise Umsetzung während der Besatzungszeit. Dabei werden ganz unterschiedliche Projekte vorgestellt. Die polnische Hauptstadt Warschau sollte im Zuge des „Pabst-Planes“ ab 1940 durch umfangreiche „Abbau“-Maßnahmen zu einer nur noch mittelgroßen deutschen Provinzstadt umgestaltet werden. In dieser sollte es auf dem rechten Weichselufer einen abgegrenzten Bereich für die polnische Bevölkerung geben. Bereits während des Krieges entstanden in einem offiziell nur für Wohnsiedlungen zuständigen Architektur- und Stadtplanungsbüro – zunächst unter der Leitung von Szymon Syrkus, später, nach seiner Verhaftung, geführt von Helena Syrkusowa und Roman Piotrowski – geheime Pläne für das zukünftige Warschau. Diese wurden später zu einem wichtigen Ausgangspunkt für den Wiederaufbau der Stadt. Auch die von Hermann Henselmann und weiteren Architekten geplanten Bauten in Musterdörfern wie Balzweiler im Kreis Hohensalza werden gezeigt.
In den besetzten Gebieten entstand ein dichtes Netz von Konzentrationslagern, die größtenteils aus Baracken bestanden. Die Planungen für Auschwitz sahen eine deutsche Musterstadt mit einem Marktplatz nach historischem Vorbild vor, bei der das KZ seine Außenlager und die IG-Farben-Industrieanlagen Bestandteile der Stadtstruktur sein sollten, um Einnahmen zu generieren. In der Schau sind auch beeindruckende Buntstift-Zeichnungen vom Architekten Simon Wiesenthal für die Innenraumgestaltung einer Konditorei in Poznań zu sehen, die er während seiner Gefangenschaft im KZ Mauthausen für einen polnischen Mitgefangenen anfertigte.
Den letzten Teil der Ausstellung bildet eine „Gelbe Kohle“ genannte Installation der Künstlerin Iza Tarasewicz in dem für Hitler eingerichteten Arbeitszimmer, die sich auf eine bekannte polnische Kurzgeschichte aus dem Jahr 1939 bezieht. Sie soll, weil sie an ein nach dem Krieg verlassenes Schlachtfeld erinnert, das vielschichtige Narrativ dieses geschichtsträchtigen Raumes aufbrechen und gleichzeitig zur Reflexion über Vergangenheit und Gegenwart einladen.
Die Erläuterungstexte in der Ausstellung sind nur auf Polnisch, man kann davon jedoch per QR-Code deutsche und englische Übersetzungen abrufen. Damit wächst die Vorfreude auf die angekündigte Abschlusspublikation, die voraussichtlich weitere Einblicke bieten wird.
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