Architektur Europas. 25 Jahre Mies van der Rohe Award
Seit 1988 wird alle zwei Jahre der Mies van der Rohe-Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur vergeben. Als offizielle Würdigung der EU will er europäische Architektur und Büros bekannt machen, versteht sich aber auch als Plattform für die transnationale Vernetzung von Akteuren. Was er in den letzten 25 Jahren erreicht hat, wo seine Schwächen sind und wie er sich zum Neuen Europäischen Bauhaus verhält.
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Architektur Europas. 25 Jahre Mies van der Rohe Award
Seit 1988 wird alle zwei Jahre der Mies van der Rohe-Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur vergeben. Als offizielle Würdigung der EU will er europäische Architektur und Büros bekannt machen, versteht sich aber auch als Plattform für die transnationale Vernetzung von Akteuren. Was er in den letzten 25 Jahren erreicht hat, wo seine Schwächen sind und wie er sich zum Neuen Europäischen Bauhaus verhält.
Text: Stumm, Alexander, Berlin
24. September 1988, 16.30 Uhr: Im barocken Stadtpalais Palau de la Virreina direkt an der La Rambla in Barcelona treffen der britisch-US-amerikanische Architekturhistoriker Kenneth Frampton, die Architekten Hans Hollein aus Wien, der Mailänder Vittorio Gregotti, die beiden Barceloner Ricardo Bofill und Ignasi de Solà-Morales und der Theoretiker François Burckhardt aus Paris aufeinander. Man stellt sich vor: Ein schwül-heißer Tag, die Luft wird vom Rauch ungezählter Zigaretten durchsetzt. Über die Pläne und Fotos von rund 70 Bauten auf dem großen Projekttisch entbrennen hitzige Debatten. Wer soll den ersten Mies van der Rohe-Preis, dieser im Vorjahr vom Europäischen Parlament und dem Stadtrat von Barcelona initiierten neuen Ehrung für Europäische Architektur, erhalten: Aldo Rossi? Gae Aulenti, Mario Botta, Renzo Piano, Jean Nouvel, Richard Rogers, OM Ungers? Norman Foster oder James Stirling? Die ursprüngliche Idee, fünf der Einreichungen in einer Finalisten-Vorauswahl zu würdigen, musste aufgegeben werden; die Kriterien Innovation, städtebauliches Feingefühl und historisches Bewusstsein eines pluralistischen Europas ließen sich den Juroren unter Vorsitz von Frampton zufolge nicht eingrenzen. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich schließlich: der Gewinner des ersten Mies van der Rohe-Preises lautete Álvaro Siza Vieira.
Mit der Entscheidung kürte man den schon damals bekannten portugiesischen Großmeister, der aber erst in den Folgejahren mit dem Pritzker-Preis (1992), dem Praemium Imperiale (1998) und zweimal mit dem Goldenen Löwen (2002/2012) geehrt werden sollte. Anders als diese Preise zeichnet der Mies Award nicht Architekten, sondern konkrete Bauprojekte aus. Im Falle Sizas war es die Borges & Irmão Bank im portugiesischen Vila do Conde von 1982-86 – rückblickend nicht eines seiner wichtigsten Werke. Die Kombination aus wohlklingendem internationalem Architektennamen – das Konzept des Starchitect ist gerade Hoch im Kurs – und Gebäude aus der zweiten Reihe des Oeuvre zieht sich in den folgenden Jahren durch: Foster + Partners erhält ihn 1990 für das Flughafenterminal Stansted in London statt für sein HSBC-Hochhaus in Hongkong von 1986, Zaha Hadid 2003 für den Parkplatz und die Straßenbahnhaltestelle Hœnheim Gare in Straßburg statt 1994 für ihre Feuerwache in Weil am Rhein, OMA für die Niederländische Botschaft in Berlin (2005) statt für sein Wohnhaus in Bordeaux (1998). Die Würdigung des Architekten war wichtiger als der eingereichte Entwurf. Eine bewusste Setzung von Themen durch besonders bemerkenswerte Projekte war in der frühen Phase weniger im Fokus.
Integraler Bestandteil des Preises war von Anfang an die räumliche Situierung. Der Barcelona–Pavillon von Ludwig Mies van der Rohe, sein kongenialer Entwurf des fließenden Raums, repräsentierte die Weimarer Republik auf der Weltausstellung 1929 als ein modernes und demokratisches Land. Noch im selben Jahr wieder abgebaut, ist heute die simulierende 1:1-Rekonstruktion der Architekten Cristian Cirici, Fernando Ramos und Ignasi de Solà-Morales aus den Jahren 1983–86 der Spielort für die Preisverleihung mit begleitender Ausstellung. Der Pavillon – vielleicht das meistreproduzierte Meisterwerk der modernen Architektur – soll der Preiswürde eine besondere Aura verleihen. Wie beim Neuen Europäischen Bauhaus kommt auch hier, mit Mies als letztem Direktor, das Image vom Bauhaus als Identität stiftender Innovationstreiber und „Paradigmenwechsel“ der Architektur zum Tragen.
Mit der Jahrtausendwende werden die Weichen für den Preis neu gestellt. Seit 2001 wird er gemeinsam von der Fundació Mies van der Rohe und der Europäischen Kommission organisiert. Damit einher ging die Umbenennung zum „Mies van der Rohe-Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur“, und wurde der offizielle Architekturpreis der EU. Außerdem vergab man seither eine Sonderauszeichnung für Emerging Architects. Erster Preisträger in der Kategorie Nachwuchs war Florian Nagler, damals 34 Jahre jung und mit seinem Büro in München erst seit zwei Jahren aktiv. Das Projekt war eine einfache Halle mit Kränen für die Lagerung, Veredelung und Kommissionierung von Leimholzelementen der Firma Kaufmann Holz. Unter enormem Zeitdruck war binnen fünf Monaten ein Gebäude mit einfacher Struktur entstanden; die transparente Fassade aus schlagfesten, raumhohen Polycarbonatplatten konnte in ganzer Gebäudehöhe hochgefahren werden – schon damals ein echter Nagler.
Vergegenwärtigt man sich die ausgezeichneten Projekte auf einer Landkarte, zeichnet sich ein deutliches Übergewicht Westeuropas ab. Die EU-Osterweiterung hat sich beim Mies Award gefühlt noch nicht durchgesetzt. Mit der Philharmonie im polnischen Stettin von Barozzi/Veiga 2015 ging bisher nur ein Hauptpreis an ein Projekt in einem Land östlich von Österreich. Bei den Emerging Architects sind es mit Bevk Perovic arhitekti aus Slowenien (2007) und Studio UP aus Kroatien (2009) immerhin zwei Büros. Erst seit kurzem zeichnet sich hier eine Neuausrichtung und eine Ausweitung des Spektrums auf den ganzen europäischen Raum ab. Neben den Ländern der Europäischen Union sind heute außerdem Architektenbüros aus Albanien, Armenien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Island, Kosovo, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, Serbien, Tunesien und Ukraine berechtigt, Projekte einzureichen. 2022 kamen so 532 Einreichungen aus 41 Ländern zusammen. Großbritannien dagegen ist mit dem Brexit ausgeschieden und wird zukünftig nicht mehr berücksichtigt.
Bis vor wenigen Jahren schien die Architekturwelt – abgesehen von Zaha Hadid – nur aus männlichen Vertretern unserer Spezies zu bestehen. Der Mies Award war hier keine Ausnahme. Inzwischen werden endlich auch Frauen gewürdigt: 2019 Anne Lacaton (zusammen mit Jean-Philippe Vassal) und jüngst Yvonne Farrell und Shelley McNamara von Grafton Architects. Auch Fragen von sozialem sowie ökologischem Bauen treten in den Vordergrund. Zuerst ist hier das von Lacaton & Vassal Architectes, Frédéric Druot Architecture und Christophe Hutin Architecture realisierte Grand Parc Bordeaux (Bauwelt 39.2016) zu nennen – die Sanierung von 530 Wohneinheiten in einem Komplex von drei modernen Sozialbauten. Es kann als Paradebeispiel für eine ressourcenschonende und zugleich sozialverträgliche Transformation gelten. Schon bei der vorangegangenen Ausgabe 2017 war mit DeFlat von XVW architectuur und NL architects ein Sanierungsprojekt mehrerer Wohnscheiben in Kleiburg im Speckgürtel von Amsterdam prämiert worden. Diesen Mai konnten sich nach der Juryentscheidung unter Vorsitz von Tatiana Bilbao das irische Büro Grafton über die Prämierung ihres Akademieneubaus für die Kingston University, London freuen; Lacol aus Barcelona erhielt die Auszeichnung Emerging Architects für die genossenschaftliche Wohnanlage La Borda, die mit kollaborativen Formen den komplexen Problematiken der Gentrifizierung und Bodenpreissteigerung begegnet, und dabei auch ästhetisch überzeugen kann. Insgesamt ist man damit zwar kein Trendsetter, aber zumindest ein Spiegel der aktuellen Debatten.
Vergegenwärtigt man sich die ausgezeichneten Projekte auf einer Landkarte, zeichnet sich ein deutliches Übergewicht Westeuropas ab. Die EU-Osterweiterung hat sich beim Mies Award gefühlt noch nicht durchgesetzt. Mit der Philharmonie im polnischen Stettin von Barozzi/Veiga 2015 ging bisher nur ein Hauptpreis an ein Projekt in einem Land östlich von Österreich. Bei den Emerging Architects sind es mit Bevk Perovic arhitekti aus Slowenien (2007) und Studio UP aus Kroatien (2009) immerhin zwei Büros. Erst seit kurzem zeichnet sich hier eine Neuausrichtung und eine Ausweitung des Spektrums auf den ganzen europäischen Raum ab. Neben den Ländern der Europäischen Union sind heute außerdem Architektenbüros aus Albanien, Armenien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Island, Kosovo, Moldawien, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, Serbien, Tunesien und Ukraine berechtigt, Projekte einzureichen. 2022 kamen so 532 Einreichungen aus 41 Ländern zusammen. Großbritannien dagegen ist mit dem Brexit ausgeschieden und wird zukünftig nicht mehr berücksichtigt.
Bis vor wenigen Jahren schien die Architekturwelt – abgesehen von Zaha Hadid – nur aus männlichen Vertretern unserer Spezies zu bestehen. Der Mies Award war hier keine Ausnahme. Inzwischen werden endlich auch Frauen gewürdigt: 2019 Anne Lacaton (zusammen mit Jean-Philippe Vassal) und jüngst Yvonne Farrell und Shelley McNamara von Grafton Architects. Auch Fragen von sozialem sowie ökologischem Bauen treten in den Vordergrund. Zuerst ist hier das von Lacaton & Vassal Architectes, Frédéric Druot Architecture und Christophe Hutin Architecture realisierte Grand Parc Bordeaux (Bauwelt 39.2016) zu nennen – die Sanierung von 530 Wohneinheiten in einem Komplex von drei modernen Sozialbauten. Es kann als Paradebeispiel für eine ressourcenschonende und zugleich sozialverträgliche Transformation gelten. Schon bei der vorangegangenen Ausgabe 2017 war mit DeFlat von XVW architectuur und NL architects ein Sanierungsprojekt mehrerer Wohnscheiben in Kleiburg im Speckgürtel von Amsterdam prämiert worden. Diesen Mai konnten sich nach der Juryentscheidung unter Vorsitz von Tatiana Bilbao das irische Büro Grafton über die Prämierung ihres Akademieneubaus für die Kingston University, London freuen; Lacol aus Barcelona erhielt die Auszeichnung Emerging Architects für die genossenschaftliche Wohnanlage La Borda, die mit kollaborativen Formen den komplexen Problematiken der Gentrifizierung und Bodenpreissteigerung begegnet, und dabei auch ästhetisch überzeugen kann. Insgesamt ist man damit zwar kein Trendsetter, aber zumindest ein Spiegel der aktuellen Debatten.
Der Mies Award will aber mehr sein als ein Preis. In der Selbstdarstellung versteht er sich als „Plattform“, der „europäische Bürger – in Städten und in weniger dicht besiedelten Gebieten lebende Menschen – zusammenbringt“ und „Werte wie Freiheit und Kreativität“ fördert. Die Aufzählung der Mitglieder des Beirats liest sich ansehnlich, darunter das Az W in Wien, das dänische Architekturzentrum in Kopenhagen, das DAM Frankfurt, das RIBA in London, das Berlage in Delft, die Triennale di Milano, das Institut français d’architecture, Paris sowie die Architekturzentren und Architekturmuseen in Breslau, Budapest, Kopenhagen, Tallinn, Helsinki, Ljubljana, Oslo, ganz zu schweigen von einer langen Liste der nationalen Architekturverbände. Man sieht: Die europaweite Vernetzung ist gegeben. Was aber kann der Mies van der Rohe-Preis nicht, was nun das Neue Europäische Bauhaus richten soll? Ein entscheidender Unterschied: Letzteres will aktiv in Stadtgestaltung eingreifen, in dem es nicht nur Architektinnen und Architekten für ihre Arbeiten würdigt, sondern indem es direkt neue Projekte protegiert. Und dabei stehen entschieden größere Mittel zur Verfügung. Während der Mies Award mit 60.000 Euro und der angeschlossene Preis für Emerging Architects mit 20.000 Euro dotiert ist, kommen den fünf Leuchtturmprojekten des Neuen Europäischen Bauhauses jeweils fünf Millionen Euro zugute.
Daneben ist seit letztem Jahr außerdem ein New European Bauhaus Award ausgeschrieben, mit 52 Finalisten im Jahr 2022. Im Fokus sind hier aber dezidiert keine arrivierten Architekturbüros mit ohnehin schon erhöhter Medienwirksamkeit, sondern kooperativ arbeitende, lokal vernetzte Bottom-up-Formate, die mit nachwachsenden Rohstoffen und zirkulären Ansätzen operieren. Neben dem Haupt-Award gibt es außerdem den Rising Star Award für Teilnehmende unter 30 Jahren.
Der Mies Award ist jedoch kein schlicht parallellaufender Preis, sondern zugleich mit dem Neuen Europäischen Bauhaus assoziiert. Konkret unterstützte die Fundació Mies van der Rohe mit ihrem Fachwissen und Netzwerk sowie einer Veranstaltung im Pavillon vor Ort die Absicht der Europäischen Kommission, die neue Bauhaus-Bewegung mit anzustoßen. Lag es daran, dass mit der Ausrufung des Neuen Europäischen Bauhauses keiner ganz genau wusste, wie es genau aussehen soll, und jeder auf eine Art an der Euphorie und den potenziellen Entwicklungen teilhaben wollte? Sich zu vernetzen schadet ja schließlich nie.
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