Aus dem Depot
Die Bauten von Barkow Leibinger bleiben den Besuchern im Haus am Waldsee verborgen. Kann Architektur ohne lokalen und gesellschaftlichen Kontext verstanden werden?
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Aus dem Depot
Die Bauten von Barkow Leibinger bleiben den Besuchern im Haus am Waldsee verborgen. Kann Architektur ohne lokalen und gesellschaftlichen Kontext verstanden werden?
Text: Kasiske, Michael, Berlin
„Statt einer Retrospektive“ soll die Ausstellung „einen thematischen Schnitt“ durch das Werk des Berliner Architekturbüros legen. Dazu führten Frank Barkow und Regine Leibinger zunächst ihre an mehreren Orten eingelagerten Archivalien in einer Industriehalle zusammen. Aus der überwältigenden Fülle an Modellen und Materialproben, die Ergebnis einer über 25-jährigen äußerst erfolgreichen Architekturpraxis ist, arbeitete der Kurator Ludwig Engel mit seiner Auswahl „das Experimentelle“ und „das Skulpturale“ als Charakteristika von Barkow Leibinger heraus.
Ersteres findet sich in den Räumen des Hauses am Waldsee wieder: Im Erdgeschoss werden auf Metallstellagen unzählige Material-, Form- und Modellstudien wie in einem Schaulager nebeneinander präsentiert. Geordnet nach den Begriffen „Bundles“, „Casting“, „Topographical“, „Liminal Facade“, „Ultrastructural“ und „Frames“ führt eine projektscharfe Nummerierung zu den an die Wand gepinnten Legenden, die lediglich die wesentlichen Angaben wie Titel, Ort, Aufgabe etc. umfassen.
Für „Casting“ sind Projekte ausgewählt worden, bei denen der Abguss von Formen maßgeblich den Entwurf beeinflusst hat. Ein gebautes Beispiel, im Katalog wenigstens abgebildet, ist der „Tour Total“ in Berlin, dessen bewegte Fassade offensichtlich einem solchen Vorgehen geschuldet ist (Bauwelt 28.2013). Bei dem unter „Topographical“ eingruppierten Betriebsrestaurant für Trumpf in Ditzingen lässt sich am Modell nachvollziehen, wie der Bau als Teil der Erdoberfläche zu lesen ist, der Charme der realen Raumlandschaft wird jedoch leider vorenthalten.
Im Obergeschoss wird die experimentelle Praxis des Büros mit Installationen in Szene gesetzt, die etwa bei den formal identischen Hochhausmodellen in unterschiedlichen Materialien didaktisch wirkt und dennoch verblüfft. Hier steht auch das Bühnenbild für die Fidelio-Inszenierung von Christoph Waltz für das Theater an der Wien, dessen Idee einem vietnamesisch-amerikanischen Architekten zugeschrieben wurde, sich einer Zürcher Kritikerin zufolge allerdings in der gemeinsamen Liebe zum klassischen Motiv doppelt gewundener Treppen gründet.
Die Ausstellung richtet sich explizit „an ein Publikum, das nicht nur an gebauten Ergebnissen, sondern auch an Entwicklungsprozessen in der zeitgenössischen Architekturpraxis interessiert ist.“ Doch so reizvoll die minimalistische Präsentation ist, für Architektur-Laien – die unter den Besuchern des Haus am Waldsee die Mehrheit stellen – sind die abstrakten Gestaltungsmethoden ohne das Endprodukt kaum verständlich, manchen Besuchern drängt sich gar der Eindruck autistischer Spielerei auf. Architektur wird, wenn sie keine Utopie verheißen will, an ihrer Beständigkeit im Alltag gemessen. Der sich Barkow Leibinger zweifelsohne stellen kann, denn ihre Bauten zeigen, dass sie über Experiment und Skulptur hinaus tiefer in die Aufgaben einsteigen.
Das Skulpturale findet zuvörderst im Außenraum statt. Ein Segment des „Serpentine Pavillons“ erscheint als glänzende Metallstruktur im Garten; vor dem Haus steht die „Schlucht“, so der Mann am Empfang, nämlich zwei Wände aus Leichtbeton, zwischen deren schroffen Innenseiten die Besucher dem Eingang zustreben können. Die Raumerfahrung mit dem Zeigefinger wirkt zwar angejahrt, doch das Material beweist wie die Architektur von Barkow Leibinger sichere Zeitgenossenschaft.
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