Bin das etwa ich auf dem Monitor?
350 Millionen Überwachungskameras gibt es weltweit, 2012 waren es nur halb so viele. Die Überwachung durch Satelliten, Kameras und Mikrofone sowie die von digitalen Spuren ist spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen zu einem großen gesellschaftlichen Thema geworden. In der Ausstellung „Watched! Surveillance, Art & Photography“ präsentiert das C/O Berlin Künstlerpositionen, die sich mit freiwilliger und unfreiwilliger Sichtbarkeit befassen.
Text: De Giorgi, Luca, Bozen
Bin das etwa ich auf dem Monitor?
350 Millionen Überwachungskameras gibt es weltweit, 2012 waren es nur halb so viele. Die Überwachung durch Satelliten, Kameras und Mikrofone sowie die von digitalen Spuren ist spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen zu einem großen gesellschaftlichen Thema geworden. In der Ausstellung „Watched! Surveillance, Art & Photography“ präsentiert das C/O Berlin Künstlerpositionen, die sich mit freiwilliger und unfreiwilliger Sichtbarkeit befassen.
Text: De Giorgi, Luca, Bozen
Bin das etwa ich auf dem Monitor? Gleich die erste Installation irritiert den schwungvollen Besucher. Es ist zwar allgemein bekannt, dass man in zentralen öffentlichen Räumen und Verkehrsmitteln ständig dem Blick von Überwachungskameras ausgesetzt ist, aber selten wird man mit der eigenen Videoaufnahme im Bildschirm konfrontiert. Es folgen winkende Bewegungen, um die Kamera ausfindig zu machen. Stirnrunzelnd stelle ich mir die Frage, ob es denn überhaupt erlaubt ist, einfach so gefilmt zu werden. Ein lächerlicher Gedanke, wenn man bedenkt, wie oft man sonst gefilmt wird, und doch hat ein so einfaches Bild wie das eigene Antlitz im Monitor diesen Effekt.
Über diesen Einstieg gelangt man in eine Ausstellung, die sich weniger emotional als vielmehr intellektuell erschließt. Die Arbeiten der rund zwanzig ausgestellten Künstler sind in ihrer Kritik subtil. Ohne die nötige Geduld, um auf jedes Werk einzugehen und den Beitext zu lesen, wird ein Besuch der Ausstellung eine seichte Angelegenheit, Flaneure auf der Suche nach eindrücklichen Bildern à la Banksy werden enttäuscht sein.
Ein schönes Beispiel dafür ist die Arbeit „Waldprotokolle“ von Florian Menhert, welche die ausufernde Überwachung thematisiert. Mit rund 15 Kopfhörern die in einer Ecke hängen, kann man den heimlich aufgenommenen Gesprächen von Spaziergängern lauschen. Indem Menhert den Rückzugsort Natur unter Überwachung stellt, stößt er eine Reflektion über unsere schrumpfende Privatsphäre an.
Im zweiten Raum der Ausstellung füllen kleinformatige Fotos eine ganze Wand. Auf den meisten sind leere Räume einer Wohnung zu sehen, nur manchmal ist eine Person zu erkennen. Der Vergleich zur Unmenge an Informationen, die von Überwachungsdiensten gesammelt werden, liegt nahe. Erst auf den zweiten Blick lässt sich in der Bildflut ein bekanntes Gesicht erkennen ähnlich den Informationsungetümen von Big Data muss der relevante Datensatz erst einmal gefunden werden. Tatsächlich handelt es sich bei den vertrauten Gesichtszügen um Ai Weiwei, der in diesem Kunstwerk dokumentiert, wie er sich selbst überwacht.
Adam Broomberg und Oliver Chanarin stützen sich hingegen in der Porträtserie „Spirit is a Bone“ (siehe Seite 16) mehr auf Emotion als auf Ratio. Die Bilder wurden mithilfe einer neuen russischen Software produziert, die in der Lage ist, aus Videoaufnahmen ein 3D-Modell des Gesichts einer Person zu erstellen, auch ohne deren Kooperation. Durch Ungenauigkeiten im Programm entstanden Missbildungen, die den maskenhaften Porträts eine verstörende Aura verleihen und den vorbeischweifenden Blick unweigerlich einfangen.
Die vorwiegend europäischen Künstler haben überraschend viele Medien eingesetzt, neben den zu erwartenden Fotos und Mitschnitten von Überwachungsaufnahmen sind Audioaufzeichnungen, Collagen, Kurzfilme, Gemälde, Bücher, Poster, Objekte und Installationen zu sehen. Auch die Bandbreite der Betrachtungsweisen ist beindruckend und spiegelt die Komplexität des Themas „Überwachung“ wider.
Trotzdem sind in der Heterogenität bestimmte Gemeinsamkeiten offensichtlich. Vor allem in den Collagen von Trevor Paglen und den Bildern von Paolo Cirio lässt sich der Einfluss von dokumentarischer und investigativer Fotografie erkennen. Cirio hat im Netz Fotos hochrangiger Beamter der US-Geheimdienste gefunden, die hinter den amerikanischen Überwachungsprogrammen stehen. Die nicht autorisierten Porträts sprühte er als Graffiti auf öffentliche Wände mehrerer Großstädte. Trevor Paglen visualisiert in Karten und Fotos die Stelle vor der Küste Marseilles, an der die NSA die Unterseekabel angezapft hat, die Europa und die USA verbinden.
Auffallend viele Arbeiten basieren auf Informationen, die direkt oder indirekt von Google stammen. Unter anderem haben die Exponate von Mishka Henner, Hito Steyerl und Victoria Binschtok ihren Ursprung in Bildern aus Google Earth und Street View. In „World of Details“ stellt Binschtok Bildschirmaufnahmen aus Street View eigenen hochauflösenden Fotografien gegenüber. Indem sie die Schauplätze der automatisierten Bildaufnahme aufsucht und mit Detailfotos aus der menschlichen, persönlichen Perspektive bereichert, reflektiert sie über die Tiefe und den Nutzen von Googles Daten.
Was der Ausstellung fehlt, ist Biss. Die Ausmaße unserer Überwachungskultur dürften den meisten Besuchern längst bekannt sein, dem fügen Künstler mit ihren Arbeiten nur interessante Details hinzu. Sie zeigen zwar Fakten und Tech-niken der Überwachungskultur, lassen uns dann aber damit allein. Eine der wenigen Ausnahmen ist Ruben Pater, der in „Drone Survival Guide, 2013“ ein Kompendium der gängigen Modelle erstellt und dann noch einen Schritt weiter geht. Auf einem handlichen Poster zum Mitnehmen erklärt er, wie die verschiedenen Dronen vom Boden aus unterschieden werden können, ob sie bewaffnet sind und wie man sich am besten vor ihnen versteckt.
Kritisch sind die Arbeiten schon allein dadurch, dass sie sich mit diesem Thema befassen. Dies aber hinterlässt einen fahlen Beigeschmack. Es fehlen zwei, drei ironisch-emotionale Werke die zum Widerstand aufrufen. Hätte der Ausstellung doch noch etwas Banksy gut getan?
0 Kommentare