Bauwelt

Das Gold der Stadt

Text: Crone, Benedikt, Berlin

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Wenn nicht abgerissen würde, sondern weitergebaut.
Visualisierung: Filip Dujardin

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Wenn nicht abgerissen würde, sondern weitergebaut.

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Das Gold der Stadt

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Sind unsere Städte zu behäbig? Oder wir ihnen zu schnell? Zumindest scheint unser Raum-Zeit-Verhältnis aus den Fugen geraten. Sprich: Der Raum kommt der Zeit nicht hinterher. Die von der Politik versprochenen Wohnungen kommen nicht rasch genug. Genehmigungsverfahren ziehen sich in die Länge. Der Einzelhandel hat Trends verschlafen, sodass Shopping Malls wirken wie Tempelanlagen einer vergangenen Zivilisation. Menschen sind zweimal vom Land in die Stadt und zurückgezogen, bevor städtebauliche Entwicklungskonzepte ihre Wirkung entfalten konnten. Sanierungen sind vielerorts überfällig, allein für den Schulbau ermittelte die Kreditanstalt für Wiederaufbau deutschlandweit einen Sanierungsstau von mehr als 45 Milliarden Euro. Für alle kommunalen Infrastrukturen in Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern kommen sogar 159 Milliarden zusammen.2 Selbst wenn jemand diese Summen zauberhaft übers Land verteilen würde, gäbe es nicht genug Fachkräfte, die beauftragt werden könnten. Hinzu kommt der üppige Anstieg der Baukosten und Zinsen, der das Gespenst eines absoluten Stillstands geistern lässt.
Dabei wurde lange gebaut, als gäbe es kein Morgen. Über 250.000 Wohnungen wurden zuletzt in Deutschland jährlich fertiggestellt – und jedes Jahr 5000 Ein- und Mehrfamilienhäuser abgerissen.3 Was widersprüchlich klingt, könnte als emsiger Umformungsprozess einer jeden Stadt verstanden werden. Leider läuft es nur nicht wie im Sandkasten, wo aus dem Alten einfach Neues gepresst werden kann. Mehr als die Hälfte des Abfall­aufkommens in Deutschland geht auf den Bausektor zurück. Nur ein Teil davon wird „recycelt“, was oft heißt, er wird für Zwecke wie den Straßenbau „downgecycelt“. Die ungeliebten Schätze der Abbruchopfer – verklebte, verputzte, verbrauchte Bauelemente – finden kaum den Weg zurück in ein neues Haus. Und für ausrangierte Fenster, Türen oder andere Stücke jenseits des Innenausbaus verlangt das Baugesetzbuch eine Rezertifizierung. Vielleicht hilft es, das Gold der Stadt breiter zu fassen als – durchaus löblich – ihre baulichen Einzelteile vom Fensterrahmen bis zum Bürokomplex.
Trotz der berechtigten Kritik, wir bedienten die vielen Wenden (Bauwende, Verkehrswende, Klimawende, Bodenwende, etc.) zu langsam, sind die Städte und Dörfer keine Pfannkuchen, die man mit einem beherzten Schwung wenden kann. Historisch sind überstürzte Stadtumbauten immer mit schwerwiegenden Nebeneffekten einhergegangen: der Abriss der Altstädte um 1900, das Anlegen der autogerechten Stadt der Nachkriegszeit, die innerstädtischen Kahlschlagsanierungen und der Siedlungsbau der 60er und 70er Jahre sowie der Plattenabriss in Ostdeutschland. Es dauerte jeweils nur einen Augenblick, bis die Erkenntnis durchsickerte, dass die heilsversprechende Methode auch ihre Schattenseiten hat. Die wertvollsten Ressourcen einer Stadt sind damit nicht jene, die schnell herbeigebaut wurden, sondern solche, die Veränderungen langfristig trotzen konnten – und dennoch heute einem Nutzen dienen. Dabei kommen bekannte Eigenschaften in den Sinn: Dichte und Mischnutzung, kleinteiliger Städtebau, Grünanlagen, eine erhaltenswerte Gestaltung und Materialien, die nicht einem kurzlebigen Trend der Produktentwicklung entsprungen sind. Buddelt man tiefer, erscheinen Sozial- und Eigentumsstrukturen, derart gewachsen, dass sie am Fortbestand und der Entwicklung ihrer Umgebung interessiert sind. Schließlich stößt man auf den Boden – die wortwörtliche Grundlage jeder sesshaften Gemeinde.
Über diese Ressourcen der Stadt, ihrer Förderung und Ausformung, haben sich Generationen an Architekten und Planerinnen Gedanken gemacht, Entwürfe und Forschungsarbeiten liegen stapelweise vor. Aus dem Fundus müsste sich nur bedient, erprobte Ideen erneuert werden. Allein mit der ideelen Weiterverwertung ist mehr Zeit gewonnen und mehr Raum erhalten als mit einer überhasteten Neuerfindung der Stadt.
1 Bezogen auf die statistisch erfassten Mengen im Jahr 2018, entnommen dem 12. Monitoring-Bericht Kreislaufwirtschaft Bau 2021
2 KfW Bankengruppe (Hg.), Deutsches Institut für Urbanistik: KfW-Kommunalpanel 2022
3 Statistisches Bundesamt: Abriss von Wohngebäuden nach Gebäudeart bis 2021. Juni 2022

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