Bellotto in Dresden: Das Idealbild der europäischen Stadt
Die Dresdner Gemäldegalerie zeigt Veduten von Bernardo Bellotto
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Bellotto in Dresden: Das Idealbild der europäischen Stadt
Die Dresdner Gemäldegalerie zeigt Veduten von Bernardo Bellotto
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Unter den Gemälden, die sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben, nehmen Veduten, das heißt Ansichten von Städten und Baulichkeiten, eine besondere Rolle ein. Denn sie verweisen auf den konkreten Ort, den sie bewahren; so sehr, dass der Ort und sein Bild in eins fallen. Das ist bei den Dresdner Veduten des Bernardo Bellotto der Fall: Wir sehen Dresden in der berühmten Ansicht vom jenseitigen Elbufer überhaupt nur so, wie der Maler sie auf die Leinwand gebannt hat.
Es gibt etwas an Bellottos Bildern, das sie über das bloße Abbild hinaushebt. Und erst in diesem so schwer greifbaren „Mehr“ konstituiert sich die Besonderheit, die seine Veduten zu Idealbildern des jeweiligen Ortes macht. Sie wirken auf den Betrachter als Wiedergabe einer Wirklichkeit, die wirklicher scheint als die damalige oder auch die heutige.
Das lässt sich überprüfen in der Ausstellung „Zauber des Realen. Bernardo Bellotto am sächsischen Hof“, die die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden derzeit ausrichtet. Es ist eine höchst seltene Gelegenheit, denn 33 der durchweg großformatigen Werke des Meisters als Leihgaben großer Museen und Sammlungen zu erlangen und mit den 36 Bildern im Dresdner Bestand zu vereinen, wie es den Kuratoren Stephan Koja und Iris Y. Wagner gelang, stellt eine außergewöhnliche Leistung dar. Dass die in der Petersburger Eremitage bewahrten Gemälde gar nicht erst angefragt wurden, versteht sich angesichts der politischen Lage von selbst.
Bellotto, 1722 in Venedig geboren und ausgebildet bei seinem Onkel Antonio Canal, genannt Canaletto, dessen Künstlernamen er übernahm, hat selbstverständlich auf Wirkung hin gemalt. Die Vedutenmalerei, die ihre Blütezeit im 18. Jahrhundert erlebte, zielte auf das wachsende Publikum von Adligen und wohlhabenden Bürgern, die zu den Kulturstätten Europas reisten und ihre Eindrücke für immer festhalten wollten. So erklärt sich die Vielzahl venezianischer Ansichten in englischen Privatsammlungen.
In Dresden freilich fand der junge Bellotto, mit 25 Jahren auf der Suche nach einem Betätigungsfeld außerhalb des venezianischen Marktes, 1747 einen anderen Auftraggeber: den sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. und als August III. zugleich polnischer König. Der wollte die Pracht seiner im Wachstum begriffenen Residenzstadt und die militärische Stärke seiner Festungen dokumentiert sehen.
Veduten zu malen, verlangt, die Architektur zu kennen. Bellotto muss eine fabelhafte Auffassungsgabe besessen haben, die es ihm erlaubte, noch kleinste Details wahrzunehmen, zeichnerisch festzuhalten und schließlich in seine wohlkomponierten Ansichten einzubauen. So entging ihm nicht, dass auf dem gewölbten Dach der Frauenkirche unterhalb des Kuppeltambours Arbeiter zugange sind, die mit der Ausbesserung des womöglich durch Witterungseinflüsse schadhaften Daches beschäftigt sind. Als Bellotto diese Ansicht, „Neumarkt in Dresden von der Moritzstraße aus“, 1750 malte, war die Frauenkirche gerade erst sieben Jahre fertiggestellt.
Berühmt ist auch die Ansicht „Die Trümmer der ehemaligen Kreuzkirche zu Dresden“ von 1765. Zum einen, weil dies neben der Ansicht seines eigenen, im Siebenjährigen Krieg von den Preußen zerstörten Stadtviertels, der Pirnaischen Vorstadt, die einzige Darstellung von Kriegsfolgen in Bellottos Œuvre ist, zum anderen, weil seiner minuziösen Genauigkeit keiner der wagemutig den zur Hälfte niedergebrochenen Turm besteigenden Freiwilligen entgeht, die lose Mauerstücke aus der Ruine brechen und Stück für Stück den Platz freimachen für den im Vordergrund bereits mit maßgenau behauenem Sandstein betriebenen Neubau der Kirche.
Bellotto kam nach Dresden, ausgebildet als Maler wie als Radierer. Die Gemälde sah die Öffentlichkeit nicht; allein des Kurfürsten mächtiger Minister Graf Brühl konnte sich jeweils eine Replik malen lassen. Aber die Radierungen, die Bellotto von seinen Gemälden anfertigte, konnte er drucken und vertreiben. So sind alle vierzehn im kurfürstlichen Auftrag entstandenen Dresdner Ansichten sowie acht derjenigen von Pirna mit der Festung Sonnenstein als Radierungen einem breiten Publikum bekannt geworden. Anders wäre die Berühmtheit, die der „Canaletto-Blick“ auf die von Türmen akzentuierte Silhouette der Stadt – sein Bravourstück von 1748 – erlangte, kaum zu erklären.
Der Krieg, den Preußens Friedrich vom Zaun gebrochen hatte, machte Bellottos Dresdner Zeit ein Ende. Er zog weiter nach Wien und von dort nach München, wo er jeweils Aufträge erhielt. Aus beiden Gemäldeserien konnten Leihgaben erlangt werden; wie denn auch aus Warschau, der letzten Lebensstation des Malers. Hier wurde er, wie schon in Dresden, faktisch, wenn auch nicht offiziell Hofmaler des Königs Stanislaus II., des Nachfolgers Augusts III.
Erstaunlich ist, wie wenig sich Bellottos Malweise über die Jahrzehnte ändert. Dazu hat auch der Gebrauch der Camera obscura beigetragen. Bellotto benutze den Apparat, den sein Onkel Canaletto in Venedig perfekt beherrschte, um Teilansichten zu beobachten und sie anschließend in seinen, auf den gesamten Blickbereich des menschlichen Auges hin konzipierten Veduten zusammenzuführen. In der Dresdner Ausstellung ist eine englische Camera von 1780 zu sehen, bereits in handlicher Kastenform, nicht größer als die gut sechzig Jahre späteren, ersten Fotoapparate.
In Dresden ist davon nur am Rande die Rede. Denn Bellottos Meisterschaft und seine bis heute anhaltende Faszination beruht nicht auf Technik, sondern jenem „Mehr“, von dem die Rede war. Es ist dies die beiläufige und doch unübersehbare Darstellung alltäglichen Lebens in allen seinen Spielarten, die den Veduten ihre unverwechselbare Eigenart gibt. Aber, und das gilt es zu festzuhalten, es ist Leben im öffentlichen Raum unter Teilhalbe aller. Bellottos Dresden ist das Idealbild der europäischen Stadt.
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